Neil Harbisson: Der Mann, der Farben hören kann

Neil Harbisson ist anders. Der ausgebildete Pianist kann keine Farben sehen. Er kann sie hören. Und er weiß, wie Menschen klingen: Nicole Kidmans Akkord ist harmonischer als der von Prinz Charles. Neil meint, das liege an ihren türkisenen Augen.

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Die Welt von Neil Harbisson ist grau. „Eine Art Softwarefehler“, erzählt er dem Magazin „Red Bulletin“. „Meine Augen sind in Ordnung, aber mein Gehirn kann die Farbinformationen nicht verwerten.“ Die Meereswellen vor seinem Heimatort Mataró, rund 30 Kilometer nordöstlich von Barcelona, sind für Neil grau. Genauso wie die saftig grünen Bäume oder der orangene Sonnenuntergang am Abend. Achromatopsie ist der medizinische Fachausdruck für Neils totale Farbenblindheit.

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Aber Neil kann Farben hören. Der Tag, an dem sich das Leben von Neil Harbisson verändert, ist der 22. März 2004. Die Urversion des Eyeborgs wird vor Studenten getestet. Neil hat Kopfhörer aufgesetzt und richtet die Kamera auf einen bedruckten Zettel: Es ist das Logo des Betriebssystems Windows. Die erste Farbe, die Neil hört, ist Rot. Dann Gelb, Blau und Grün. Nach 15 Minuten konnte er bereits vier Farben unterscheiden.

Der „Eyeborg“, den er am Kopf trägt, verwandelt Farben für ihn in Töne. Die Antennen-Kamera ist dabei der sichtbare Teil des Apparats. Die Schaltzentrale, ein streichholzschachtelgroßer Chip mit einem 60-Megahertz-ARM7-Prozessor verbirgt sich unter der Frisur, befestigt auf einen Plastikring um den Kopf. Die Farbinformationen der Kamera verwandelt der Chip in Töne, indem er die Lichtfrequenzen der Farben in Schallfrequenzen übersetzt. Richtet Neil die Kamera auf eine rote Rose, hört er die Note F (= 349,23 Hertz), schaut er hinunter auf gelbe Socken, spielt der Eyeborg ein G.

„Mozarts Hauptfarbe ist Gelb, Lady Gaga klingt nach sattem Pink“
Dank seines musikalischen Gehörs kann Neil nicht nur Farben anhand von Tönen erkennen, sondern auch Töne in Farben zurückübersetzen. Im Treppenaufgang seines Elternhauses hängen visualisierte Sinfonien, die Neil gemalt hat: Die hundert ersten Noten von Mozarts „Kleiner Nachtmusik“, dargestellt in bunten Rechtecken. Es ist ein schrilles Abbild klassischer Musik. „Mozarts Hauptfarbe ist Gelb“, erklärt Neil, „Lady Gaga klingt nach sattem Pink.“

Wie spannend die Klangwelt von Neil Harbisson sein kann, zeigen seine Soundporträts berühmter Menschen. Seit 2005 scannt er deren Augen-, Lippen-, Haar- und Hautfarbe und fügt die Töne zu einem Akkord zusammen. Erste Versuchsperson ist 2005 der englische Thronfolger Prinz Charles. „Er hat mein elektronisches Auge bemerkt. Ich habe ihn höflich gefragt, ob ich mir sein Gesicht anhören kann“, erzählt Neil und analysiert: „Charles’ Lippen klingen wie ein hohes E. Aber sein Haar konnte man fast nicht hören.“ Neils gesammelte Soundporträts von Prinz Charles über Nicole Kidman, Woody Allen und Montserrat Caballé bis zu Leonardo DiCaprio kann man sich auf YouTube anhören („Sound Portraits byNeil Harbisson“).


Der Status von Neil Harbissonals Cyborg, also als Mensch, der kybernetische Technologie benutzt, um seine körperlichen Sinne zu erweitern, ist übrigens amtlich anerkannt. Auf seinem aktuellen Passfoto trägt er den Eyeborg am Kopf – als Teil seines Körpers.



Quelle: YouTub