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Analyse: Der Kaiser von Amerika

Die Verkündung im TV-Hauptabendprogramm war eine politische Bombe. Foto: Jim Bourg

«Ich bin nicht der Kaiser der Vereinigten Staaten», hatte US-Präsident Barack Obama im Februar 2013 gesagt. Mit dem Satz wollte er damals versichern, das Einwanderungssystem seines Landes aus rechtlichen Gründen nicht im Alleingang ändern zu können und zu wollen. Doch das war einmal.

In der Nacht präsentiert er seine 180-Grad-Wende: Per Dekret, am Kongress vorbei, gewährt er fünf Millionen Ausländern ohne Aufenthaltserlaubnis, wonach sie sich schon lange sehnen: Schutz vor dem Gesetz. «Sie können beantragen, vorerst in dem Land zu bleiben, ohne Angst vor der Abschiebung», verspricht Obama. Zumindest solange er noch Präsident ist.

Die Verkündung seiner Verfügung im TV-Hauptabendprogramm ist eine politische Bombe. Nicht nur wegen des sensiblen Themas, sondern wegen der Handlungsweise. «Der Präsident sagte, kein König und kein Kaiser zu sein, aber er verhält sich eindeutig wie einer», sagt der republikanische Vorsitzende des Abgeordnetenhauses, John Boehner.

Der Konflikt: Gesetze machen darf in den USA nur der Kongress. Seit Jahren streiten die oppositionellen Republikaner und die Demokraten über eine Einwanderungsreform. Obama will sie unbedingt - doch die Konservativen stellen sich quer. Einen im Senat passierten Entwurf ließen sie im Repräsentantenhaus nicht einmal zur Abstimmung zu. Obama platzte der Kragen: «Ich werde nicht mehr warten», erklärte er.

Monatelang ließ er die Anwälte im Weißen Haus und in den zuständigen Ministerien mehrere Erlasse formulieren. Denn ein US-Präsident darf seiner Regierung durchaus Handlungsanweisungen geben, wenn auch nur in einem engen Rahmen. Den schöpfe Obama nun voll aus, ohne seine rechtlichen Grenzen zu überschreiten, behaupten seine Berater. «Alles juristisch okay», sagen sie.

Obamas Machtwort schützt etwa die Hälfte der 11,4 Millionen sogenannten illegalen Einwanderer vor der Abschiebung. «Diese Menschen, unsere Nachbarn, Klassenkameraden, Freunde, sind nicht hergekommen, um auf unsere Kosten zu leben. Sie sind gekommen, um zu arbeiten, zu studieren und in unserem Militär zu dienen», sagt Obama. Er erwähnt sogar namentlich seinen Vorgänger George W. Bush und übernimmt dessen Zitat: «Sie sind Teil des amerikanischen Lebens».

Die Republikaner schäumen vor Wut. Obama gebare sich also doch als Kaiser, ungeheuerlich in einer Demokratie, empören sie sich. «Eine Machtüberschreitung monumentalen Ausmaßes», sagt Senator Jeff Sessions. «Anarchie», rufen andere. Der Präsident «stürzt das Land in eine Krise», meint der Abgeordnete Steve King. Er verlangt - nicht zum ersten Mal - eine Amtsenthebung.

Was für ein heißes Eisen der Vorstoß ist, zeigt die Reaktion der drei größten Fernsehsender NBC, CBS und ABC. Sie einigten sich laut der Zeitung «Politico», die Rede nicht live im Abendprogramm zu übertragen, weil sie ein einseitiges politisches Manöver des Weißen Hauses sei. Tatsächlich will Obama provozieren. Wem seine Maßnahme nicht gefalle, könne ja ein Gesetz verabschieden, sagt er. Er will die Tatenlosigkeit der Republikaner vorführen.

Die denken bereits an Vergeltung. Manche wollen vor Gericht klagen, andere sprechen gar von Krieg. «Wenn Obama gegen das Volk handelt und dem Land seinen Willen aufzwingt, wird der Kongress handeln», erklärt der künftige Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell. «Wir erwägen verschiedene Möglichkeiten.»

Doch die Drohungen klingen hohl, die Optionen sind eingeschränkt. Schon längst blockieren die Republikaner alle Obama-Initiativen im Parlament. Eigene Gesetze wiederum können sie wegen der Veto-Macht des Präsidenten aber nicht erlassen. Und ob sie es wirklich erneut auf eine Stilllegung der Regierung durch eine Budgetblockade ankommen lassen wie 2013, ist fraglich. Damals nämlich ergoss sich der Zorn des Volkes vor allem auf die republikanischen Verursacher.

Und: Je länger sich die Republikaner über Obamas Vorstoß öffentlich echauffieren, desto schwerer dürften sie es 2016 bei den Präsidentschaftswahlen haben. Zwar werden die Einwanderer auch nach Obamas Erlass nicht wählen. Aber Millionen von ihnen haben Verwandte und Freunde, die legal im Land leben und an den Wahlurnen abstimmen. Auf deren Stimmen können die Republikaner nicht verzichten, wenn sie das Weiße Haus zurückerobern wollen.