Analyse: EU in der Ukraine-Krise

Seit Jahren fordert die EU die Freilassung der Oppositionsführerin Timoschenko. Und auf einmal sieht sich die Union mit Erwartungen konfrontiert, die kaum zu erfüllen sind: EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton. Foto: Olivier Hoslet

Seit Jahren forderte die EU die Freilassung der ukrainischen Oppositionsführerin Timoschenko. Und auf einmal sieht sich die Union mit Erwartungen konfrontiert, die kaum zu erfüllen sind.

Richtige Freude sieht anders aus. Kurz angebunden kommentiert EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton mitten in der Nacht die politische Wende in der krisengeschüttelten Ukraine. Erst ganz zum Schluss erwähnt die Außenbeauftragte der Union die so lange erwartete Freilassung von Oppositionsführerin Julia Timoschenko. Kein Wort der Ermunterung, stattdessen der eher technische Hinweis zum Problem der «selektiven», also politischen Justiz in der Ukraine.

Das offizielle Brüssel verfolgt die dramatischen Ereignisse und die Eskalation der Gewalt mit vielen Toten in dem osteuropäischen Nachbarland Tag und Nacht. Ashton fordert die Beteiligten auf, verantwortungsvoll zu handeln. Ihre Erklärung liest sich so, als ob man sich Sorgen um die Einheit des großen Landes mit etwa 45 Millionen Menschen Sorgen mache müsse.

Auch andere reagierten zurückhaltend. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und sein französischer Amtskollege Laurent Fabius riefen dazu auf, die Einheit des Landes zu bewahren und keine Gewalt anzuwenden. Der britische Außenminister William Hague warnte, derzeit gebe es in der Ukraine große Chancen, doch die Gefahren seien weiterhin enorm: «Die politische Situation, auch innerhalb der Opposition, ist sehr kompliziert.»

Die Ukraine ist ein Testfeld für eine neue europäische Außenpolitik, die sich einmischt, Risiken eingeht und nicht wegguckt. Die Europäer fordern eine Verfassungsreform, eine neue Regierung und demokratische Wahlen.

Für das wirtschaftliche angeschlagene Land liegt ein ehrgeiziges, fertig ausgearbeitetes Partnerschaftabkommen bereit. Dafür handelten sich die Europäer schweren Ärger mit Russlands Präsident Wladimir Putin ein. Der Herr des Kreml untergräbt das vor fünf Jahren gestartete Vorhaben einer Partnerschaft mit östlichen EU-Nachbarländern, wo es nur geht. Es ist ein Machtkampf zwischen Ost und West, der mit harten Bandagen ausgefochten wird.

Präsident Viktor Janukowitsch legte den Pakt im vergangenen November - auch auf Moskaus Druck - auf Eis. Erst Ende der vergangenen Woche verhandelten mehrere EU-Außenminister, unter ihnen Deutschlands höchster Diplomat Steinmeier, in Kiew ein vorläufiges Abkommen zwischen Janukowitsch und Oppositionsführern zur Lösung der politischen Krise aus - doch es hielt keine 24 Stunden.

Seitdem überstürzen sich die Ereignisse. Und die EU sieht sich auf einmal mit Erwartungen konfrontiert, die sie auf die Schnelle schlecht oder gar nicht erfüllen kann. «Ich bin überzeugt, dass die Ukraine in nächster Zeit Mitglied der Europäischen Union sein und dies alles ändern wird» - das sagte Timoschenko laut Agentur Interfax. Dieser Satz dürfte Brüssel noch länger beschäftigen.

«Die jüngste Erfahrung bei der EU-Außenpolitik zeigt(...), dass es ein Fehler ist, mit einem großen und inhomogenen (uneinheitlichen) Land an der europäischen Peripherie zu früh Beitrittsverhandlungen zu beginnen», wendet der CDU-Europaparlamentarier Herbert Reul ein.

Ziel des Partnerschaftsabkommen, so ergänzen Diplomaten, sei es gerade, der Ukraine eine europäische Perspektive zu bieten, ohne über einen Beitritt zu verhandeln. In Brüssel ist es kein Geheimnis, dass es unter vielen Mitgliedsländern starke Vorbehalte gegen eine Mitgliedschaft der Ukraine gibt.

Und dann ist da noch das Geld. Die Ukraine ist seit Jahren von einem Staatsbankrott bedroht. Es fehlen Milliarden. Der Westen unterstrich mehrfach, es gebe für Notkredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) Regeln - und keine Ausnahmen. Die EU stellte im vergangenen Jahr - noch vor der Krise - in Aussicht, von ihrer Seite 600 Millionen Euro zu geben, falls die Bedingungen für IWF-Stützen erfüllt seien. Dazu kam es aber nie.

Dieser Betrag dürfte laut Experten nicht mehr ausreichen. «Wir haben über kurz-, mittel und langfristige Hilfspakete gesprochen», resümierte Ashton schon Ende vergangener Woche. «Ich habe mit dem IWF, der Europäischen Investitionsbank und der Bank für Wiederaufbau und Entwicklung gesprochen, die alle in der Ukraine engagiert sind.»

Moskau hatte der früheren Sowjetrepublik nach dem erzwungenen Abschied vom West-Kurs Milliardenkredite versprochen. Nach einer ersten Rate von drei Milliarden Dollar stoppte Russland jedoch die Auszahlung. Weitere Hilfe gebe es erst, wenn eine neue Regierung feststehe, entschied die russische Regierung.

Erklärung Ashton