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Analyse: Griechen ignorieren alle Warnungen der EU

Anhänger des regierenden Linksbündnisses Syriza feiern den Ausgang des Referendums. Foto: Yannis Kolesidis

Alexis Tsipras lässt sich bereits bei der Stimmabgabe feiern wie ein Popstar. Dabei weiß der griechische Ministerpräsident zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, dass er der große Gewinner des Referendums sein wird.

Kaum jemand in Griechenland hatte damit gerechnet, dass die Bürger des von der Staatspleite bedrohten Landes der Sparpolitik mit einer klaren Mehrheit eine Absage erteilen würden.

Die Griechen ignorierten die Warnungen von EU-Politikern, die bei einem «Nein» in der Volksabstimmung ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone prophezeit hatten. Sie stärkten ihrem Regierungschef mit einer überraschend klaren Mehrheit den Rücken.

Unmittelbar nach Bekanntgabe der ersten Schätzungen strömen Anhänger des regierenden Linksbündnisses Syriza in Athen zusammen und feiern den Ausgang des Referendums.

Die kurzfristige Ansetzung des Referendums brachte Tsipras in anderen EU-Staaten viel Kritik ein. In Griechenland hatte er die etablierten Parteien der Konservativen und der Sozialisten und fast alle großen Medien des Landes gegen sich.

Tsipras schien allein gegen alle zu kämpfen. Aber er verstand es, sich den Wählern nicht als ein Quertreiber, sondern als ein Vorkämpfer eines neuen Europas zu präsentieren. «Ich bin sicher, dass wir für alle Völker Europas einen neuen Weg öffnen werden», verkündet er auf einem Podest, das im Wahllokal aus Paletten für ihn errichtet worden war.

Ein Teil der Griechen kann den Optimismus des Ministerpräsidenten nicht nachvollziehen. Die Tsipras-Gegner befürchten, dass dessen Linie des «Ochi» (Nein) zu den Forderungen der Gläubiger das Land aus der Euro-Zone hinausführen und in ein Wirtschaftschaos stürzen werde. «Ich möchte nicht in die 60er und 70er Jahre zurückgeworfen werden», sagt eine Athener Rentnerin auf dem Weg ins Wahllokal. Eine Begleiterin pflichtet ihr bei: «Ich auch nicht, auf keinen Fall. Ich will weiterhin zu Europa gehören.»

In Griechenland löste das Referendum eine Spaltung der Bevölkerung in zwei politische Lager aust. Die Teilung reichte zuweilen sogar bis in die Familien hinein. «Kann ich Dich vielleicht im letzten Moment noch dazu bewegen, doch mit Ja zu stimmen?», ruft ein Athener seiner Gattin im Stimmlokal zu. «Ochi», ist die prompte Antwort der Frau, die damit zugleich klarstellt, dass sie mit Nein votieren würde.

Bei der Abstimmung gerät für viele Griechen in Vergessenheit, dass das Referendum keinen Ausweg aus der dramatischen Krise des Landes weisen wird. In diesem Punkt waren sich - ausnahmsweise - auch die sonst so meinungsfreudigen Kommentatoren der TV-Sender einig. «Die Probleme des Landes werden dieselben bleiben, egal wie die Abstimmung ausgeht», meinten sie unisono. Dennoch fällt das Ergebnis überraschend deutlich aus.

Seit einer Woche sind Griechenlands Banken geschlossen. Die Griechen können an den Geldautomaten von ihren Konten pro Tag nur 60 Euro abheben. Die Rentner müssen mit 120 Euro in der Woche auskommen. «Wann werden die Banken wieder öffnen?», fragen die Griechen sich besorgt. «Wird es demnächst überhaupt kein Geld mehr aus den Automaten geben?» In der Bevölkerung machte sich zudem die Angst breit, Bankguthaben könnten - ähnlich wie auf Zypern - gekürzt werden, um Geldhäuser vor dem Zusammenbruch zu bewahren.

Die Regierung versuchte, solche Befürchtungen zu zerstreuen. Sie bestritt, dass es Pläne für eine Kürzung von Guthaben gebe. Die Banken sollten am Dienstag wieder geöffnet werden, versicherte Finanzminister Gianis Varoufakis. Er fügte allerdings hinzu, dass dazu eine Einigung mit den Geldgebern erforderlich sei. Und niemand kann sagen, wann es ein Übereinkommen geben wird.

Die von der Regierung verhängten Kapitalverkehrskontrollen haben bereits Auswirkungen in Teilen der Wirtschaft. Besonders betroffen ist der Tourismus, die wichtigste Stütze der Volkswirtschaft. Die Hoteliers beklagten einen drastischen Rückgang der Buchungen - vor allem aus dem Inland. «Man hat den Tourismus zerschmettert», meinte der Hotelbesitzer Dimitris Skalidis in der Gegend Nafplion auf dem Peloponnes. «Es kommt kein Grieche mehr, weil alle sparen müssen.»

Die Lebensmittelhersteller warnten, dass in den nächsten Tagen bestimmte Nahrungsmittel knapp werden könnten. Dies dürfte vor allem für Fleisch- und Milchprodukte gelten, die Griechenland größtenteils aus dem Ausland bezieht und die die Importeure wegen der Zahlungsbeschränkungen nicht mehr beschaffen können.

Innenministerium zum Referendum - Griechisch

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