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Ballistiker: Den Waffen auf der Spur

Es war ein Attentat auf Berlins Polit-Prominenz: Als eine Neun-Millimeterkugel die Fahrertür des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters Walter Momper durchschlagen hatte, wurden Terroristen und die Baumafia verdächtigt. Dann sorgten Ballistiker des Landeskriminalamtes für eine überraschende Aufklärung des Falles. Yahoo erklärt Ihnen die spannende Arbeit der Waffenspezialisten.




Der Alltag von Lothar Müller dreht sich um Gewehre, Pistolen und Munition. Müller, 57 Jahre alt, ist Erster Kriminalhauptkommissar und leitet die Waffenuntersuchungsstelle der Berliner Kriminaltechnik; man könnte ihn auch Ballistiker nennen. Seine Truppe untersucht Waffen und Munition, im Schießlabor und unter dem Mikroskop. Ob sie funktionieren, ob sie verboten sind, ob sie bei einem Verbrechen benutzt wurden. Unter dem Lichtmikroskop analysieren die Experten, ob gefundene Waffen und Munition zusammenpassen, nehmen den sogenannten ballistischen Fingerabdruck. Passen die Schmauchspuren? Gehört die Eindrucksspur des Schlagbolzens am Projektil zu der Waffe? Um herauszufinden, ob eine Waffe bei anderen Verbrechen verwendet wurde, wenden sich die Fachleute an das Bundeskriminalamt, wo es eine zentrale Tatmunitionssammlung gibt. Mit Hilfe des BKAs konnten die Experten auch herausfinden, dass die Pistole, mit der der Berliner Polizist Uwe Lieschied im Jahr 2006 erschossen wurde, schon zuvor bei einem Raub verwendet wurde.

Klärung der Mordabsicht

Jeden Tatort untersuchen die Ballistiker genau. Wo liegen wie viele abgefeuerte Patronenhülsen? Wo muss der Schütze gestanden haben? Gibt es Schmauchspuren? Im Fall des ermordeten Polizisten Lieschieds konnte Müller so nachweisen, dass der Killer den Polizisten absichtlich und nicht zufällig erschossen hatte. Bei acht abgefeuerten Schüssen und einem Treffer muss dem Schützen zumindest das Risiko einer Tötung bewusst gewesen sein - eine wichtige Information für den Richter zur Beurteilung. Ein anderes Beispiel dafür, wie entscheidend Müllers Untersuchung sein kann: Nachdem ein Berliner seine Frau mit einer Schrotflinte niedergestreckt hatte, konnte er sich angeblich nicht mehr an die Tat erinnern. Müller musste nun herausfinden, ob der Mann absichtlich gehandelt hatte. Entscheidend war, dass vier Patronen gefunden wurden, die Waffe aber nur mit drei Kugeln geladen werden konnte. Der Mann musste also nachgeladen haben, womit ihm Absicht nachgewiesen werden konnte.

Für das Gericht untersuchen die Waffenexperten auch, welche Verletzungen bei einem Waffengebrauch theoretisch möglich gewesen wären, welches Risiko der Täter also eingegangen ist und ob ihm beispielsweise eine Mordabsicht unterstellt werden kann. Dazu testen sie die Waffen im Schießlabor und feuern auf sogenannte ballistische Gelatine mit synthetischen Knochen. Weil die Kugeln in enormer Geschwindigkeit durch die Luft surren und einschlagen, filmen die Experten die Tests mit speziellen Kameras.

Entlastende Arbeit

Die Untersuchung der Flugbahn des Tatgeschosses sorgte im Fall des Berliner Politikers Walter Momper, dessen Auto Ende 2000 von einer Neun-Millimeterkugel getroffen worden war, für eine überraschende Wende. „In Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt konnten wir nachweisen, dass die Schussentfernung bei 1,4 Kilometern lag. Von da gezielt auf das Auto in der Wohnstraße des Geschädigten zu schießen, ist praktisch unmöglich“, erklärte Müller. So wurde aus dem möglichen Attentat ein Versehen, ein Zufallstreffer. Das Beispiel zeigt: Müllers Arbeitet belastet nicht nur, sie entlastet auch.

Obwohl Müller und seine Kollegen der Waffenuntersuchungsstelle mit grausamen Kapitalverbrechen zu tun haben, gehen die Arbeit den Waffen-Wissenschaftlern nicht sehr nahe. „Wir sind von der Unmittelbarkeit des Geschehens ja entfernt und arbeiten viel sachlich im Labor“, so der Ballistiker. Er ist als Sachverständiger tätig, kennt nicht die Akten, nur die für ihn bedeutenden Materialien. Auch zum Angeklagten pflegt er ein neutrales Verhältnis. Als wichtige Voraussetzungen für einen guten Sachverständigen nennt er ausgezeichnetes Fachwissen, persönliche Integrität, das Absolvieren von fachbezogenen Aus- und Fortbildungen sowie die Fähigkeit, aus den festgestellten Tatsachen die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.

Wie wird man Ballistiker?

In Frage kommen Polizisten sowie Angestellte mit einer technischen Ausbildung wie Maschinenbau-Diplomingenieur oder Ingenieur der Waffentechnik, erklärt Müller. Danach folgen im Allgemeinen eine grundständige waffen- und munitionstechnische Qualifizierung, das Pauken der Rechte und Pflichten von Sachverständigen, das Sammeln erster Erfahrungen bei Gerichtsverhandlungen, die weiterführende Qualifizierung zum Sachverständigen für Schusswaffen und Schusswaffenspuren beim BKA sowie regelmäßige Fortbildungen in den Fachgebieten. „Der Bedarf nach Spezialisten ist vorhanden“, sagt Müller. Und obwohl Pistolen und Gewehre den Großteil von Müllers Arbeitstag ausmachen: Ein Waffennarr ist der Berliner so wie seine Kollegen der Waffenuntersuchungsstelle  nicht. „Damit haben wir gar nichts am Hut“, meint er, und bezeichnet die Waffen lieber als Wärmekraftmaschine. Ganz sachlich, ganz objektiv.