Das dritte Geschlecht

Es gibt Menschen, die haben seit ihrer Geburt sowohl männliche als auch weibliche Sexualorgane — im Volksmund werden sie Zwitter genannt. Doch wie kommt es zu einer solchen „Intersexualität" und wie entscheiden sich die Betroffenen für ein Geschlecht?

Von Intersexualität spricht man, wenn ein Mensch genetisch, anatomisch und hormonell nicht eindeutig dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann.
Von Intersexualität spricht man, wenn ein Mensch genetisch, anatomisch und hormonell nicht eindeutig dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann.

Im Volksmund nennt man sie Zwitter, medizinisch spricht man von Intersexualität, Hermaphroditismus oder einer Sexualdifferenzierungsstörung. All diese Wörter beschreiben jedoch das gleiche: Menschen, die beide Geschlechter besitzen. Mit anderen Worten: Anatomisch, genetisch und hormonell sind diese betroffenen Personen nicht eindeutig dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zuzuordnen. Einer von 10.000 Bürgern in Deutschland gilt als "Zwitter" und jährlich kommen 160 intersexuelle Personen hinzu.

Wie kann das passieren?

Wenn sich das Spermium mit der Eizelle vereinigt, so wird zwar das genetische Geschlecht des Kindes festgelegt (XY - männlich; XX - weiblich), die Geschlechtsmerkmale entwickeln sich jedoch erst später in den ersten Schwangerschaftswochen aus einem neutralen Stadium. Die Gründe zur gestörten Ausprägung von inneren und äußeren Geschlechtsmerkmalen können dann sowohl in einer veränderten genetischen Zusammensetzung als auch in der Anlage der männlichen und weiblichen Keimdrüsen liegen. Das Ergebnis der Fehlentwicklung besteht bei Hermaphroditen darin, dass sie sowohl mit männlichen also auch weiblichen Keimdrüsen, Vagina und Penis ausgestattet sind, die jedoch nicht voll entwickelt sind.

Wenn es um sexuelle Lustgefühle geht, so stehen Zwitter den "Normgeschlechtern" übrigens in den meisten Fällen in nichts nach. Anders sieht es bei der Fortpflanzung aus: Nicht vor und auch nicht nach einer Geschlechtsangleichung können Hermaphroditen Kinder zeugen. Aus diesem Grund erweisen sich auch Gerüchte um angebliche „Selbstbefruchtungen" als völlig haltlos und wissenschaftlich falsch.

Mann oder Frau: Wie entscheiden sich die Betroffenen?

Für die Kinder, die mit einer sogenannten Sexualdifferenzierungsstörung geboren werden, ist es wichtig, eine Identität zu erlangen. Deswegen versucht man, das Geschlecht, in dem ein Hermaphrodit aufwachsen soll, so schnell wie möglich festzulegen. Doch wie macht man das? Das "richtige" Geschlecht des Kindes wird mithilfe von pädiatrischen Endokrinologen, Humangenetikern, Gynäkologen, Urologen und einem Psychologen nach sorgfältiger Diagnostik festgelegt. Auch kulturelle Rahmenbedingungen und natürlich ethische Grundsätze gehen in die Entscheidung, die zusammen mit den Eltern getroffen wird, mit ein. Die große Schwierigkeit liegt allerdings darin, den Willen des Säuglings oder des Kindes abzuschätzen - und dies führt zu einer Zwickmühle: Zwar will man einerseits äußere Genitale bis zum Abschluss des ersten Lebensjahres operativ eindeutig männlich oder weiblich gestalten. Andererseits versucht man, alle operativen Maßnahmen auf ein Minimum zu beschränken. So bleibt die Option, dass die Entscheidungsfindung bei der Person selbst liegt, nachdem sie die Pubertät durchlaufen hat.

Zwitter - ein eigenes Geschlecht?

Bei den betroffenen Personen stoßen angleichende Operationen, also die Festlegung auf Mann oder Frau, auf geteilte Reaktionen. Viele Hermaphroditen sehen sich als Menschen mit eigenständigem, „intersexuellem Genitale", das weder mit einem Penis, noch mit einer Klitoris vergleichbar ist. Ärztliche Eingriffe werden deswegen als Verletzung ihrer Identität und als eine aufgezwungene Angleichung angesehen. Andere Betroffene sind hingegen froh und dankbar, dass ihnen in frühen Jahren ein Geschlecht „zugewiesen" wurde.

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Autor: Felix Gussone / ZEITjUNG