Neurozystizerkose: Larven im Gehirn

Wenn wir „Bandwurm" lesen, dann fallen vielen Menschen vor allem zwei Schlagwörter ein: „Rind" und „Darm". Dass es auch einen Schweinebandwurm gibt, der das menschliche Gehirn zerstören kann, wissen hingegen die wenigsten. Das Tückische daran: Selbst ohne Verzehr von Schweinefleisch kann dieser auf den Menschen übertreten. In unseren Breitengeraden kommt er aufgrund guter Hygiene und der geregelten ärztlichen Untersuchung von Schlachtfleisch allerdings glücklicherweise nur noch sehr selten vor.

Der Schweinebandwurm besitzt zunächst einmal alle typischen Merkmale der Bandwürmer: Er erreicht eine beachtliche Länge von drei bis sieben Metern, eine Breite von bis zu sieben Millimetern und schlängelt sich wie sein "Rinder-Kollege" bevorzugt durch menschliche Därme. Wäre da nicht noch eine Besonderheit, die an den Stoff aus einem schlechten Horrorfilm erinnern. Der Parasit kann nämlich zu einem gefährlichen Krankheitsbild führen, das sich „Neurozystizerkose" nennt.

Hierunter versteht man die Bildung zahlreicher kleiner flüssigkeitsgefüllter Räume (Zysten) im Gehirn und Rückenmark infizierter Menschen, die ähnlich wie Hirntumore schwere neurologische Beschwerden hervorrufen.

Vom Schwein auf den Menschen und wieder zurück

Normalerweise hat der Schweinebandwurm Taenia solium einen einfachen Lebenszyklus: Das Schwein nimmt Eier des Bandwurms mit der Nahrung auf. Nachdem aus den Eiern im Schweinedarm die Larven geschlüpft sind, verlassen diese den Darm und dringen in die Muskulatur des Schweins ein. Dort reifen sie dann zu infektiösen, erbsengroßen Larven (Finnen) heran, die im Muskelgewebe der Tiere flüssigkeitsgefüllte Holräume (Zysten) bilden. Dort "warten" die Parasiten dann darauf, vom Menschen gegessen zu werden.

Einmal in unserem Darm angekommen, heften sich die Larven an die Darmwand und entwickeln sich langsam zu erwachsenen Würmern, die lange Zeit oft unbemerkt im menschlichen Darm verbleiben und dort bis zu 50.000 Eier legen. Diese Eier werden mit dem Stuhl kontinuierlich ausgeschieden und können so vom Schwein wiederaufgenommen werden. Ein neuer Zyklus beginnt.

Aufgenommene Eier können gefährlich werden

Normalerweise nimmt ein Mensch die Larve mit der Nahrung auf und daraus entwickelt sich dann im Darm ein Wurm. Nun kann es aber auch dazu kommen, dass nicht die Larven sondern EIER in den menschlichen Körper gelangen. Befinden sie sich erst einmal im Darm, können diese allerdings nicht zwischen Schweine- und Menschendarm unterscheiden.

In der Folge passiert in unseren Körpern dann genau das, was eigentlich hätte im Schwein vonstatten gehen sollen: Die Larven bohren sich durch die Darmwand und gelangen so ins Blut. Vom zentralen Kreislauf aus können sie nun problemlos zahlreiche Zielorgane erreichen und dort großen Schaden anrichten. Neben Muskulatur, Herz und Augen fühlen sich die Parasiten im menschlichen Gehirn am wohlsten und bilden dort die Zysten.

Das Essen von Larven führt also zu einem Bandwurm im Darm, das Essen von Eiern hingegen zu einer Neurozystizerkose.

Eine Zystizerkose kommt vornehmlich in Regionen mit schlechten hygienischen Verhältnissen vor. Daten von Dr. Mohammed J. Zafar zufolge, Neurologe an der Michigan State University in den USA, sollen in einigen Regionen Afrikas oder Asiens 3,6 Prozent der Bevölkerung an einer Neurozystizerkose leiden. In Lateinamerika schätzt man die Träger von Schweinebandwürmern insgesamt sogar auf 3 bis 5 Millionen.

Schweinebandwurm ohne Schwein

Spätestens seit dem Nachweis von Taenia solium im Jahre 1992 bei einer Sekte orthodoxer Juden, denen der Kontakt zu Schweinen sowie der Genuss von Schweinefleisch streng untersagt ist, weiß man, dass auch eine Übertragung von Mensch zu Mensch (fäkal-oral) möglich ist. Infektionsquelle war in diesem besonderen Fall eine mexikanische Hausangestellte, die sich zuvor in ihrer alten Heimat infiziert hatte.

Überall dort, wo sich menschlicher Stuhl und so auch möglicherweise Eier des Schweinebandwurms im Boden befinden, ist das Risiko erhöht, an einer Neurozystizerkose zu erkranken. Es handelt sich also um ein Problem der Armut, Kanalisation und Hygiene.

Hygiene ist das A und O

Ist man mit dem Schweinebandwurm infiziert, so scheidet man wie oben beschrieben die Eier des Parasiten mit dem Stuhl aus. Achtet man in diesem Fall nicht hinreichend auf hygienische Maßnahmen wie Händewaschen, dann kann man sich selbst oder andere mit den Eiern infizieren und damit eine Neurozystizerkose verursachen. In unseren Breitengeraden mit guter Hygiene und geregelter ärztlicher Untersuchung von Schlachtfleisch kommen der Schweinebandwurm und auch die Neurozystizerkose glücklicherweise nur noch sehr selten vor.

Epilepsie durch den Schweinebandwurm

Die Symptomatik der Neurozystizerkose tritt normalerweise Monate bis Jahre nach Aufnahme der Eier des Schweinebandwurms auf und kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Allgemeine Symptome sind Muskelschmerzen, Fieber und ein allgemeines Krankheitsgefühl. Richtig gefährlich wird es aber erst dann, wenn im Zuge der Neurozystizerkose auch das Gehirn betroffen ist: Häufig treten dann in 50 bis 70 Prozent der Fälle epileptische Anfälle als Frühsymptome auf. Je nach Lokalisation der Zysten im Gehirn sind auch Denk-, Lern- und Sprachstörungen sowie Persönlichkeitsveränderungen nicht selten.

Bilden sich Zysten mit Larven im Wirbelkanal, so kann es sogar zur Querschnittslähmung kommen.

Diagnose durch Bildgebung

Besteht in einem Land mit guten hygienischen Bedingungen wie Deutschland der Verdacht auf eine Neurozystizerkose, so wird zunächst eine ausführliche Reiseanamnese erhoben. Zysten im Gehirn weist der Arzt dann durch bildgebende Verfahren wie MRT (Magnet-Resonanz-Tomographie) und CT (Computertomographie) nach.

Bei der Therapie ist es zunächst wichtig, jegliche Formen des Schweinebandwurms — also Eier, Larve oder ausgewachsener Wurm - im Körper des Patienten zu töten. Dies geschieht in der Regel mit Medikamenten, den sogenannten Anthelminthika (Anti-Wurm-Mittel), die über zwei Wochen verabreicht werden.

Neben der Wurmtherapie werden auch die weiteren Symptome einer Neurozystizerkose bekämpft. In manchen Fällen müssen hier sogar neuro-chirurgisch Zysten im Gehirn entfernt werden.

"Vernachlässigte" Tropenkrankheit

Die Neurozystizerkose ist übrigens eine der sogenannten „Neglected Tropical Diseases" („Vernachlässigte" Tropenkrankheit) - eine von der World Health Organization (WHO) definierte Gruppe von Krankheiten, die vornehmlich in armen Regionen der Welt auftritt und noch immer nicht hinreichend bekämpft wird. Am Beispiel der Neurozystizerkose wird deutlich, dass ohne Verbesserung der hygienischen Bedingungen keine effiziente Prophylaxe gegen den Schweinebandwurm möglich ist.

Nach Angaben der WHO leben 80 Prozent der 50 Millionen Menschen mit Epilepsie in Entwicklungsländern. Der Schweinebandwurm soll dort - auch wenn noch keine flächendeckenden epidemiologischen Zahlen existieren - leider eine immense Rolle in der Ausprägung der Epilepsien spielen.

Autor: Felix Gussone