Tot oder lebendig? Russlands Staatsfeind Nr. 1

Die Todesnachricht kam per Instagram. Russlands Staatsfeind Nr. 1 soll tot sein. Wieder einmal. Es war Tschetscheniens Herrscher Ramsan Kadyrow, der den Social-Media-Kanal wählte, um am 16. Januar die Neuigkeit vom vermeintlichen Tod des größten Staatsfeindes zu verkünden. Doku Umarow, Anführer des islamistischen Aufstands im Kaukasus, sei Vergangenheit - das Gerede über eine Terrorgefahr bei den Olympischen Spielen in Sotschi sei unbegründet, argumentierte Kadyrow.

Auch wenn Islamisten im Netz jetzt den Mudschahed in ihren Nachrufen würdigen, traut die Welt der Notiz vom Tode des „russischen Bin Laden“ noch nicht. Russlands Ministerpräsident Dmitri Medwedew mahnte zur Vorsicht: Ehe es einen Beweis für das Ableben Umarows gebe, müsse man ihn als lebendig betrachten. Verständlich, denn nicht nur Kadyrow hatte mehrfach den Tod des Terroristen gemeldet. Eine Analyse von Radio Free Europe/Radio Liberty kommt nun zu dem Schluss, dass weder eine aufgetauchte Audiodatei noch Kadyrows Aussage klare Erkenntnisse über Umarows angeblichen Tod brächten. Außerdem sei die Personalie Umarow so bedeutsam, dass seine Exekution sicherlich zu vielen Meldungen von Sicherheitsbehörden geführt hätte.

Doku Umarow, 1964 im tschetschenischen Charsenoi geboren, ist selbsternannter „Emir des Kaukasus-Emirats“ – und der Drahtzieher hinter Terroranschlägen, die die Welt erschüttert haben. Im März 2010 starben bei Terroranschlägen auf die Moskauer Metro 40 Menschen – Umarow bekannte sich zur Urheberschaft. Im folgenden Januar starben an Moskaus neuem Flughafen Domodjedowo 36 Menschen, erneut war „Dokka Abu Usman“, so sein arabisierter Name, der Drahtzieher.

Terroristen aus dem „Kaukasus-Emirat“

Und nun, vor den Olympischen Spielen, gelten die Terroristen aus dem „Kaukasus-Emirat“ als akute Bedrohung für Athleten, Zuschauer, Anwohner und Sicherheitskräften in Sotschi und an den Spielstätten. Umarow hat im vergangenen Sommer per Video mit Anschlägen gedroht. Zu sehen ist er im Tarnanzug. Mit grüner Kappe und langem, braunem Bart sitzt er in einem Wald, Insekten schwirren umher. Er sagt, die Russen planten „Spiele auf den Gebeinen unserer Vorfahren“. Gegen die „satanischen“ Wettkämpfe gelte es mit allen Mitteln zu kämpfen, die Gott erlaube. Der russische Geheimdienst FSB hat sich dagegen in Stellung gebracht, Milliarden Euro sollen in die Sicherheit für Wladimir Putins Prestige-Veranstaltung geflossen sein.

Weltweit ist Umarow ein gesuchter Mann. Der Weltsicherheitsrat setzte ihn auf die Liste der Terroristen mit Verbindungen zu Al-Kaida und Taliban. Auch das US-Außenministerium lobte 2011 fünf Millionen Dollar Kopfgeld auf seine Ergreifung aus.

Eine erstaunliche Karriere: Der Kaukasus-Analyst Kevin Daniel Leahy hat 2010 den politischen Werdegang Umarows nachgezeichnet. Anfangs deutete nichts auf eine Rolle als muslimischer Kämpfer hin. Umarow soll aus einer Familie der tschetschenischen Oberschicht stammen und Mitte der 80er einen Ingenieurgrad in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny erlangt haben. Doch herrschte dort Not: Russen besetzten die lukrativen Stellen der Wirtschaft. Auf der Suche nach einer Beschäftigung und Geld driftete Umarow wie viele andere Tschetschenen ins kriminelle Milieu Russlands ab. In Sibirien soll er Anfang der 90er Jahre zwei Personen ermordet haben. Vor der Sowjet-Justiz soll Umarow 1992 zurück nach Tschetschenien geflohen sein.

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Sein Aufstieg begann mit dem ersten Tschetschenienkrieg 1994 bis 1996. Umarow hatte gute Kontakte, taktierte als gewiefter Höfling und Vermittler. Er kämpfte gegen die Russen in einem erbitterten Guerrillakrieg, der im Waffenstillstand endete. Der tschetschenische Präsident ernannte „Brigadegeneral“ Umarow zum Chef des Sicherheitsrats. Angeblich unterhielt er hierbei enge Beziehungen zu kommerziellen Geiselnehmern – seinerzeit einer Boombranche in Tschetschenien. Im zweiten Tschetschenienkrieg entkam Umarow mit einer Schussverletzung am Kiefer aus Grosny und flüchtete ins georgische Exil.

Angeblich soll er gegenüber russischen Militärs tschetschenische Kämpfer verraten haben, um sich zu retten. Er kämpfte weiter im Untergrund gegen Moskaus Truppen. Zwischen 2002 und 2004 überlebte er, während wichtige Mitstreiter getötet wurden – übernahm mehr und mehr Kontrolle. 2005 wurde er Vizepräsident der Untergrundregierung. Erstaunlicherweise verurteilte er damals in einem Interview den Terror-Überfall seines Waffenbruders Schamil Bassajew auf die Schule von Beslan im Jahr 2004 als „illegitim“. Das passt nicht so recht zu jemandem, der später Selbstmordattentäter ins Land entsendet. Und es gab auch Quellen, die Umarow unter den Geiselnehmern von Beslan ausgemacht haben wollten.

Im Juni 2006 starb der Untergrundpräsident der „Republik Itschkeria“, Abdul Sadulajew. Umarow übernahm die Führung. Innerhalb von nur einem Jahr wurde aus dem Kampf um nationale Unabhängigkeit der religiös begründete Krieg, der Dschihad. Im Oktober 2007 rief Umarow das „Kaukasus-Emirat“ aus, erklärte Amerika, England und Israel zu Feinden. Experten sehen darin auch eine strategische Entscheidung, um materielle Unterstützung aus Nahost ebenso zu sichern wie die Waffenbruderschaft von Islamisten und den Aufstand gegen die russische Übermacht in einen globalen Zusammenhang zu stellen.

Die letzten Zeichen des Terrors aus dem Kaukasus-Emirat: Kurz nach der neuen Todesmeldung Umarows erschien auf der Internetseite der Gruppe „Wilajat Dagestan“ das Bekennervideo zweier Männer. Sie sollen die beiden Selbstmordattentate von Wolgograd Ende 2013 ausgeführt haben. 34 Menschen starben. In der Videobotschaft berufen sich die Terroristen auf Umarow. Doch beweist der Clip nicht, ob der Terrorführer noch am Leben ist.

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