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Milliardengeschäft Antidepressiva: Glückspillen mit tödlichen Nebenwirkungen

Gefährliches Glück: Antidepressiva wie Prozac haben manchmal üble Nebenwirkungen. (Bild: AFP)
Gefährliches Glück: Antidepressiva wie Prozac haben manchmal üble Nebenwirkungen. (Bild: AFP)

Ein Serienräuber. Ein Selbstmörder. Ein Killer. Drei menschliche Tragödien, die offenbar alle durch die Einnahme von Antidepressiva verursacht worden sind. Die vermeintlichen Stimmungsaufheller können tödliche Nebenwirkungen hervorrufen. Trotzdem steigt die Zahl der Patienten, die Antidepressiva verschrieben bekommen – auch wenn sie diese gar nicht bräuchten. Doch die Glückspillen sind das Gold der Pharmaindustrie, im Jahr 2010 lag der weltweite Umsatz bei 20,5 Milliarden US-Dollar. Yahoo! sprach mit dem Pharmakologen Bruno Müller-Oerlinghausen über Nebenwirkungen, überhaupt keine Wirkungen, falsche Behandlungen durch Ärzte und die Macht der Pharmabranche.

Die Zahlen sind erschreckend. Fünf Prozent der Deutschen nehmen Antidepressiva, das sind doppelt so viele wie vor zehn Jahren. In Dänemark sind es zehn Prozent der Bevölkerung, in den USA sogar 15 Prozent. In Großbritannien werden so viele Antidepressiva verschrieben, dass Rückstände im Grundwasser gefunden wurden. „Die Zahlen steigen von Jahr zu Jahr“, sagt der deutsche Pharmakologe Bruno Müller-Oerlinghausen. Antidepressiva sind Psychopharmaka, die vor allem gegen Depressionen, aber auch gegen Zwangsstörungen, Panikattacken, Ess- und Schlafstörungen und noch vieles mehr eingesetzt werden. Eine Pille gegen alles, einfach und schnell. So suggeriert es die Pharmaindustrie.

„Diese Mittel werden mit ungeheurer Macht beworben. Die Ärzte glauben das und verschreiben die Mittel“, erklärt der Experte. Dabei sei die Wirksamkeit der vermeintlichen Allheilmittel, im Wesentlichen geht es um die marktbeherrschenden Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Prozac, nur schwach, bei leichten Depressionen nicht viel stärker als Placebo. Sowieso resultiere eine Depression nicht nur aus einem zu niedrigen Serotoninspiegel, sagt der Experte. Genau auf dieser Annahme aber basieren die SSRI. Der Neurotransmitter Serotonin reguliert unter anderem die Signalübertragung im zentralen Nervensystem.

Mord und Suizid: Was nicht im Beipackzettel steht
Und die Glückspillen sind gefährlich. „Antidepressiva haben eine Fülle an Nebenwirkungen“, sagt Müller-Oerlinghausen. Dabei unterscheidet er zwischen „alten“ Antidepressiva wie Amitriptylin, das bereits seit 1962 auf dem Markt ist und „neuen“ Mittelchen wie SSRI, die in den 80er Jahren zugelassen worden sind. Während bei den „alten“ Pillen Nebenwirkungen aufgetreten seien wie Mundtrockenheit, gingen die neuen einher mit Schlafstörungen, Unruhe und Sexualstörungen – und manchmal sogar tödlichen Nebenwirkungen. „Die Erzeugung von Selbst- oder Fremdaggression ist selten, aber gravierend“, sagt Müller-Oerlinghausen.

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Konkret heißt das: Die Menschen werden chemisch verändert, manche werden unberechenbar und töten andere oder sich selbst. Wenn sich der Antrieb der Menschen verbessere, aber die Stimmung noch nicht, erhöhe das die Suizidgefahr, so der Pharmakologe. Oft treffen diese verheerenden Nebenwirkungen solche Personen, die zuvor weder aggressiv noch suizidgefährdet waren. „Wir wissen nicht, was da biologisch passiert“, so Müller-Oerlinghausen. Einige Wissenschaftler würden einen Zusammenhang zwischen SSRI und Mord und Suizid nicht anerkennen.

Vielen Ärzten fehlt die Komptenz
Die Schuld an der weiten Verbreitung der riskanten Glückspillen verteilt sich auf mehrere Schultern. Neben dem Druck und der massiven Werbung der Pharmafirmen gibt es noch zu viele unwissende Ärzte. „Erkennt der Arzt nicht, dass es sich um Nebenwirkungen des Medikaments handelt und erhöht deswegen sogar die Dosis, riskiert er das Leben des Patienten“, warnt Müller-Oerlinghausen. Gerade Hausärzten fehle oft die nötige Kompetenz.

Zwei Drittel der Menschen entwickeln einmal im Leben eine affektive Störung. Ob es sich um eine behandlungsbedürftige Depression handele, sei die andere Frage, meint der Experte. Leichte Depressionen sollten erst einmal beobachtet werden, wie sie sich entwickeln. Erst nach einigen Tagen empfiehlt der Pharmakologe den Gang zum Arzt. Auch bei schweren Verstimmungen sollten Pillen oder Therapie erst verschrieben werden, wenn sich die Symptome verschlechtern.

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„In 50 Prozent der Fälle wird die Depression nicht erkannt. In 50 Prozent der erkannten Fälle handelt es sich aus psychiatrischer Sicht um keine Depression“, sagt Müller-Oerlinghausen und spricht von einem diagnostischen und therapeutischen Defizit. In den vergangenen 20 Jahren sei das Thema Depression verstärkt in die Öffentlichkeit gerückt worden. Gleichzeitig würde die Schwelle, wie eine psychiatrische Erkrankung definiert ist, immer niedriger. So komme es zu den hohen Zahlen an Menschen, die Antidepressiva schlucken.

Faule Patienten: Pillen statt Therapie
Müller-Oerlingshausen fragt sich, ob die Verschreibung der Antidepressiva die Kompensation des therapeutischen Defizits oder schlicht eine gefährliche Fehlentwicklung ist. Zu den angeblichen Wunderpillen gebe es längst eine ungefährliche Alternative: Psychotherapie. In den vergangenen 20 Jahren seien interessante psychotherapeutische Strategien entwickelt worden. Die scheitern offenbar nicht an der Wirksamkeit, sondern an der Faulheit der Kranken. „Viele Patienten werfen sich lieber Pillen ein, das ist leichter als eine Therapie“, sagt Müller-Oerlinghausen. Trotz der möglichen Nebenwirkungen. Zur Freude der Pharmaindustrie.