“Die Griechen müssen begreifen, dass sie nicht beides haben können”

Sympathisanten der griechischen SYRIZA-Partei (Bild: dpa).
Sympathisanten der griechischen SYRIZA-Partei (Bild: dpa).

Griechenland zittert vor der Schicksalswahl: Wählen die Griechen am Sonntag Europa ab? Prof. Dr. Tanja Börzel, Inhaberin des Lehrstuhls für Europäische Integration an der Freien Universität Berlin und Direktorin des Otto-Suhr-Instituts für Politikwissenschaften, erklärt im Interview mit Yahoo! Nachrichten, welche Folgen ein Austritt des Landes für die Währungsunion hätte, warum viele Bundesbürger mittlerweile für einen Euro ohne Griechenlands plädieren und was am Sonntag ihr persönliches best-case-Szanario wäre.

Prof. Dr. Tanja A. Börzel (Bild: privat)
Prof. Dr. Tanja A. Börzel (Bild: privat)

Frau Prof. Dr. Börzel, was denken Sie wären die Folgen, wenn die Euro-Skeptiker und Spargegner bei der Wahl gewinnen: Wie wahrscheinlich ist dann ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone?
Das hängt von zwei Faktoren ab. Erstens davon, ob die linksradikale Syriza-Pratei die stärkste Partei wird. Es kann nämlich durchaus sein, dass die Nea Dimokratia unter Antonis Samaras die Wahlen gewinnt und dann sieht das Szenario schon wieder ganz anders aus.

Zwar hat sich Samaras etwas an die Position von Syriza-Chef Alexis Tsipras angenähert, meiner Meinung nach aus wahltaktischen Gründen. Aber Herr Samaras wird im Zweifelsfall in der besseren Position sein, um mit der EU nochmals zu verhandeln als Herr Tsipras, weil er sich weniger radikal gegen die EU positioniert hat. Vielleicht realisieren das die Griechen ja auch.

Ob es tatsächlich zu einem Austritt Griechenlands kommt, hängt zweitens natürlich davon ab, was die EU macht. Man sieht ja am Fall Spaniens, dass die EU durchaus bereit ist, nicht einfach nur Sparauflagen zu machen und bedingungslos auf deren Einhaltung zu pochen. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass Brüssel schon bereit wäre, hier und da zu verhandeln, falls Herr Samaras Ministerpräsident würde und über eine halbwegs stabile Mehrheit im Parlament verfügte. Dann gäbe es meiner Meinung nach auch Verhandlungsspielraum für die EU.

Wollen die Griechen denn überhaupt im Euro bleiben?
Die Griechen sind mit ganz großer Mehrheit dafür, im Euro zu bleiben. Was aber Herr Tsipras macht, ist den Griechen den Eindruck zu vermitteln, sie könnten den Pelz waschen, ohne sich nass zu machen. Also im Euro bleiben, ohne die Bedingungen der EU für die Finanzhilfen, die sie dringend brauchen, zu erfüllen. Er vertritt tatsächlich den Standpunkt, dass die Griechen keine Bedingungen erfüllen und auch ihre Schulden erst mal nicht zurückzahlen müssen. Er spricht ja von einem Moratorium von ein bis drei Jahren. Diese Position kann die EU natürlich nicht unterstützen, weil sonst die Iren, Portugiesen und Spanier zu recht fragen, weshalb sie die von der EU geforderten Reformen durchführen müssen, Griechenland aber nicht.

Und was passiert, wenn Tsipras gewinnt?
Wenn er bei seiner Position bliebe, hätte die EU meiner Meinung nach keinerlei Spielraum, ihm entgegen zu kommen. Und das würde dann in der Konsequenz heißen, dass Griechenland aus dem Euro austreten müsste.

Kann ein Land nach EU-Recht überhaupt aus der Eurozone austreten?
Rechtlich gesehen kann kein Land aus dem Euro austreten. Da müsste Griechenland schon aus der EU austreten. Wir können Griechenland auch nicht rauswerfen. Die Verträge sehen vor, dass Mitgliedsstaaten etwa im Falle von Menschenrechtsverletzungen suspendiert werden können. Aber ein Ausschluss aus der EU ist nicht möglich.

Das heißt: Griechenland müsste freiwillig aus der EU austreten und wäre damit auch aus dem Euro raus. Das Land könnte dann zwar wieder in die EU eintreten, das lässt sich sicherlich rechtlich hinbekommen. Wenn ein Land Mitglied der EU werden will, muss es jedoch auch dem Euro beitreten. Allerdings muss es dazu die Konvergenzkriterien erfüllen. Und Griechenland erfüllt diese Kriterien nicht, müsste dem Euro folglich auch nicht beitreten. Auf diese Weise könnte Griechenland theoretisch aus dem Euro, aber nicht aus der EU austreten. Das ist aber nur die rechtliche Seite.

Samaras (Nea Dimokratia),  Venizelos (PASOK) und Tsipras (Syriza, Bild: dpa)
Samaras (Nea Dimokratia), Venizelos (PASOK) und Tsipras (Syriza, Bild: dpa)

Und wie sieht es mit der wirtschaftlichen Seite aus?
Das ist ganz schwierig abzusehen. Aber ich glaube, die Griechen und die Mehrheit der Europäer sind sich darüber einig, dass die wirtschaftlichen Folgen eines Austritts, also einer Wiedereinführung der Drachme, verheerend für Griechenland wären. Griechenland würde sehr viel schlechter dastehen als es das jetzt tut. Die Kapitalflucht, die man jetzt bereits beobachten kann, würde sich um ein vielfaches erhöhen, Griechenland würde sozusagen in die Situation eines Entwicklungslandes abrutschen. Das ist ja auch der Grund, warum 80 Prozent der Griechen im Euro bleiben wollen.

Was wären die konkreten Folgen eines Bankrotts Griechenlands für die EU?
Griechenlands Bankrott wäre für die EU als solches sicherlich zu verkraften, die Frage ist aber, ob dadurch nicht ein Flächenbrand ausgelöst wird, der Spanien und möglicherweise auch Italien mit in die Tiefe reißt.

Die Situation in Griechenland hat sich ja bereits jetzt massiv auf Spanien ausgewirkt - die Finanzmärkte wetten derzeit zum Teil auch gegen Spanien. Die Frage ist, ob die EU diesem Druck standhalten kann. Dennoch kann sich die EU nicht von Griechenland erpressen lassen, das würde das Vertrauen der Finanzmärkte in den Euro weiter schwächen.

Wie meinen Sie das?
Alexis Tsipras scheint den Standpunkt zu vertreten, die EU könne es sich nicht leisten, Griechenland nicht entgegen zu kommen. Er argumentiert, dass die Kosten für die EU größer als für Griechenland seien, wenn Griechenland aus dem Euro austritt. Aber auf dieses Spiel kann sich die EU nicht einlassen, weil ansonsten sofort Irland, Spanien und Portugal in Brüssel auf der Matte stehen würden und fragen würden: Warum kriegen die Griechen Sonderbedingungen, während wir die Reformvorgaben der EU erfüllen müssen? Dann hätte die EU ein ganz anderes Problem.

Aber bei den Wählern wird Tsipras mit seinen Thesen doch sicher Glaubwürdigkeit ernten?

Darum kommuniziert ja die EU auf allen Kanälen, dass sie zwar Griechenland im Euro halten möchte, aber nur unter der Bedingung, dass die Griechen auch ihre Hausaufgaben machen. Und dass es die EU schon verkraften könnte, wenn Griechenland aus dem Euro austritt.

Die Griechen müssen begreifen, dass sie nicht beides haben können. Wenn sie im Euro bleiben wollen, dann müssen Sie auch nach den Regeln spielen und die EU nicht erpressen.

Angeblich gibt es aber doch bereits Signale aus Brüssel, dass die Bedingungen einer Finanzhilfe für Griechenland gemildert werden könnten.
Ja, aber das ist schon etwas ganz anderes, als das was Tsipras fordert. Herr Tsipras hat ja schon sehr genaue Vorstellungen. Die Ankündigung, jegliche Rückzahlung von Schulden auszusetzen, ist natürlich verheerend. Für die EU gar nicht so sehr - wir haben den Großteil der Finanzhilfen ohnehin schon abgeschrieben. Verheerend ist eher das Signal, dass dadurch an die Finanzmärkte gesendet wird. Wer will denn schon in Griechenland investieren, wenn die griechische Regierung den Standpunkt vertritt, dass man Schulden nicht zurückbezahlen muss? Ohne private Investitionen in Griechenland wird sich dieses Land nie erholen.

Laut einer aktuellen Umfrage sind 69 Prozent der Bundesbürger für einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Wie kann das sein, wo es doch seitens vieler Experten heißt, ein Austritt würde viel teurer für den europäischen Steuerzahler sein als der Verbleib Griechenlands in der Eurozone.

Wie teuer ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone seid wird, lässt sich kaum vorhersagen, vor allem weil sich die Reaktion der Finanzmärkte kaum vorhersagen lässt. Niemand kann sagen, wie sich der Austritt auf Spanien oder Italien auswirkt. Die EU könnte sicherlich den Staatsbankrott Griechenlands verkraften. Wenn aber die viert größte Volkswirtschaft mit in den Abgrund gerissen wird, ist die Zukunft des Euro ernsthaft gefährdet und dann sieht die Kosten-Nutzen Analyse für Deutschland ganz anders aus.

Die Mehrheitsmeinung der Bundesbürger/innen hat meiner Meinung nach weniger mit den Kosten des Austritts zu tun als mit der wahrgenommenen Grundhaltung Griechenlands, dass es die einmal vereinbarten Bedingungen für die Finanzhilfen nicht einhalten will. Die Mehrheit der Deutschen war für Finanzhilfen, aber nur, wenn diese an klare Bedingungen geknüpft sind. Nicht nur die Deutschen sind der Meinung, dass Griechenland sich an die Regeln halten muss, genauso wie Irland, Portugal und Spanien.

Die "Financial Times Deutschland" gibt den Griechen in einem Leitartikel in deutscher und griechischer Sprache eine Wahlempfehlung, in der die Zeitung das griechische Volk auffordert, die Nea Dimokratia zu wählen. Was halten Sie davon?
Von solchen Einmischungen von außen halte ich gar nichts. Ich halte sie sogar für gefährlich, weil sie als Eimischung in die innerstaatlichen Angelegenheiten wahrgenommen werden, auf die die Griechen in der Vergangenheit sehr empfindlich reagiert haben. Das könnte Wasser auf die Mühlen der links- und rechtsradikalen Parteien in Griechenland sein und damit genau das Gegenteil bewirken.

Was wäre Ihrer Meinung nach das best-case-scenario am Sonntag und Ihre persönliche Wahlempfehlung an die Griechen?
Ich kann gut verstehen, dass die Griechen nicht für die beiden Parteien (also Nea Dimokratia und Passok, Anm. der Redaktion) stimmen wollen, die für die wirtschaftliche Misere verantwortlich sind, weil sie seit Jahrzehnten Reformen verschleppt und klientelistische Strukturen reproduziert haben.

Das Dilemma aber ist aber, dass Herr Tsipras keine wirkliche Alternative darstellt, wenn, was die Mehrheit der Griechen ausdrücklich will, Griechenland im Euro bleiben will. Ich kann nur hoffen, dass die Griechen den Versprechungen von Herrn Tsipras keinen Glauben schenken, dass Griechenland im Euro bleiben kann, ohne seine Schulden in absehbarer Zeit zurückzuzahlen und die von der EU geforderten Reformen durchzuführen. Eine große Koalition aus Nea Dimokratia und Passok ist das kleinere Übel.