Kachelmanns Millionenklage: Journalismus oder Voyeurismus?

Jörg Kachelmann fordert von mehreren Medien Schmerzensgeld. Foto: Boris Roessler
Jörg Kachelmann fordert von mehreren Medien Schmerzensgeld. Foto: Boris Roessler

Die Grenze zwischen Journalismus und Voyeurismus verwischt zunehmend. Wetterexperte Jörg Kachelmann könnte mit seiner Gegenwehr nun Rechts- und Mediengeschichte schreiben. Ein Plädoyer wider den Entblößungsjournalismus.

Ein Kommentar von Wiebke Ramm

„Sex sells“ heißt es. Doch was ist noch Journalismus, was schon Voyeurismus?

Jörg Kachelmann wehrt sich seit seinem Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung im Mai 2011 gegen Medienberichte, die er als Eingriffe in seine Persönlichkeitsrechte empfindet. Er tut dies ziemlich erfolgreich. Spätestens im September könnte für ihn womöglich ein Sahnehäubchen obendrauf kommen. Kachelmann verklagt die "Bild"-Zeitung (Print und Online) auf insgesamt 2,25 Millionen Euro Schmerzensgeld. Eine höhere Forderung hat es in der deutschen Medien- und Rechtsgeschichte noch nicht gegeben.

Als der Wettermoderator im März 2010 verhaftet wurde, folgte ein gewaltiges Mediengewitter. Es wurde nicht nur über das Ermittlungsverfahren und den Strafprozess berichtet, sondern mit Verve auch über sein bis dato öffentlich unbekanntes Intimleben. Kachelmann wurde medial entblößt. Dafür will er entschädigt werden. Der Wetterexperte wirft unter anderem „Bild“ und Bild.de eine schwerwiegende Verletzung seines Persönlichkeitsrechts vor. Vergleichsgespräche sind nun gescheitert. Das Landgericht Köln hat ein Urteil für den 2. September angekündigt.

Gerichte, die im Namen des Volkes urteilen, müssen von der Öffentlichkeit bei der Suche nach der Wahrheit beobachtet und damit kontrolliert werden können. So hatte auch der beklagte Axel Springer Verlag in einem früheren Verfahren argumentiert: Es gehöre zu den „Kernaufgaben der Presse, das, was in der öffentlichen Verhandlung passiert, auch wiederzugeben“. Es sei das Recht und die Pflicht der Medien, die breite Öffentlichkeit daran teilhaben zu lassen.

Doch zum journalistischen Handwerk gehört es, abzuwägen zwischen dem, was bloß menschliche Neugier befriedigt, und dem, was dem Leser wirklich hilft, die Arbeit des Gerichts zu verstehen. Journalisten dürfen keineswegs über alles berichten, was sie vor Gericht hören. Wenn vor Gericht Intimitäten zur Sprache kommen, die für die Frage nach Schuld oder Unschuld ohne Bedeutung sind, gehören sie nicht veröffentlicht. Die Befriedigung von Neugier und Sensationslust sind keine legitimen Gründe, es doch zu tun.

Kachelmann, Wulff, Edathy

Kachelmann, Wulff, Edathy – die Grenzen zwischen Journalismus und Voyeurismus verwischen zunehmend. Das ist überaus bedenklich. Je heikler der Vorwurf, umso zurückhaltender hat die Verdachtsberichterstattung zu sein. Manche Journalisten neigen dazu, nur die Schlagzeile zu sehen – nicht den Menschen, um dessen Existenz es geht.

Es ist sehr, sehr beruhigend, dass Polizisten nicht aus Lust und Laune eine Wohnung durchsuchen, Telefone abhören und Menschen beschatten dürfen. Die Hürden für derart massive Eingriffe in das Privatleben eines Menschen sind hoch. Jeder mag sich selbst ausmalen, wie unangenehm es wäre, wenn allein der Nachbar jedes Telefonat mithörte, jeden Brief mitläse, in den Kontoauszügen wühlte. Die Ermittler heften das Ganze noch ab, legen Akten an, befragen Arbeitskollegen, Verwandte, Freunde. All das landet dann als Ermittlungsakte bei Staatsanwälten, Rechtsanwälten, Richtern – und manchmal auch bei Journalisten.

Journalisten sind auf Informationen angewiesen, schon deshalb, um richtig berichten zu können. Wer Dokumente hat, kann sich selbst ein Bild von einem Sachverhalt machen und muss nicht befürchten, dass ihn seine Gesprächspartner einseitig oder unvollständig unterrichten. Je größer das Wissen, umso geringer die Gefahr, instrumentalisiert zu werden. Von welcher Seite auch immer.

Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut. Journalisten haben als sogenannte vierte Gewalt besondere Rechte. Sie dürfen über ihre Informanten schweigen, sie dürfen auch sensible Dokumente besitzen. So ist gewährleistet, dass Journalisten Missstände überhaupt aufdecken können. Die Wahrheit aber ist: „Watergate“ ist nicht der journalistische Alltag – schon gar nicht der eines Gerichtsreporters. Und nicht alles, was ein Journalist weiß, gehört veröffentlicht.

Zeugen müssen vor Gericht glaubwürdig sein

Wer Zeugen vor Gericht erlebt und Vernehmungsprotokolle kennt, der weiß, dass Zeugen in Vernehmungsprotokollen häufig wahnsinnig glaubhaft, klar und faktenorientiert rüberkommen, im persönlichen Gespräch aber einen ganz anderen, weitaus weniger überzeugenden Eindruck machen können. Nicht umsonst gilt vor Gericht das Unmittelbarkeitsprinzip – sonst könnte man sich die Hauptverhandlung sparen und die Anklageschrift gleich als Urteil nehmen.

Die Anklageschrift ist die Wahrheit der Staatsanwaltschaft. Mit der Wirklichkeit muss sie nicht identisch sein. Das wahre Geschehen haben Richter in mühsamer Kleinarbeit herauszufinden – mithilfe von Verteidigern, die sich für den Angeklagten ins Zeug legen, um ein Gegengewicht zum Riesenapparat der anklagenden Gegenseite mit einem Heer aus Ermittlern in die Waagschale zu werfen.

„Sex sells“ – ja, das stimmt wohl. Als journalistische Maxime aber hat dieser Satz noch nie getaugt. Journalisten, die Einblick ins Intimste eines Menschen bekommt, stehen in der Verantwortung, die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu wahren. An einer öffentlichen Hinrichtung mitzuwirken, gehört nicht zu ihren Aufgaben.

Das Landgericht Köln hat bereits angedeutet, dass es in 26 Fällen bei „Bild“ und in 21 Fällen bei Bild.de eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung für möglich hält. Was dies in Euro bedeutet, wird sich zeigen.

Kachelmann geht auch gegen das Medienhaus Hubert Burda vor. Wegen der Berichtserstattung von „Bunte“ und „Focus Online“ fordert er eine weitere Million. Insgesamt geht es damit um 3,25 Millionen Euro.

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