Merkel muss nach Athen!

Nach dem Referendum der Griechen droht ein Riss Europas. Am Ende aber könnten wir Deutschen allein dastehen: Die CDU verabschiedet sich von ihren europäischen Werten – ein Abgesang.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Ganz ehrlich: Ich hätte nicht gewusst, wie ich beim Referendum abgestimmt hätte. Die Griechen hatten am Sonntag die Wahl zwischen Pest und Cholera. Am Ende entschieden sie sich dafür, was ihnen Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz empfohlen hatte: Der renommierte US-Professor von der Columbia University forderte ein „Nein“ gegen die Sparpolitik der vergangenen Jahre. Eines steht fest: Die Austeritätspolitik, die Politik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), hat Griechenland nicht geholfen, sondern nahezu gegen die Wand gefahren. Das Nein der Griechen vom Sonntag war kein Nein gegen Europa, sondern ein Nein gegen die Hoffnungslosigkeit der Lage.

Natürlich müssen jetzt Gläubiger und Schuldner neu verhandeln. Ein neues Angebot muss jetzt her. Griechenland kann man nicht einfach in dieser Misere allein lassen. Es ist ganz einfach: Die Sparmaßnahmen, welche die Griechen erleiden mussten, hätte man im wohlstandsverwöhnten Deutschland nie durchsetzen können.

Das Referendum sagt natürlich nichts über die wichtigen Aufgaben, vor denen Griechenland steht. Mehr Transparenz, weniger Korruption. Mehr Steuerehrlichkeit der Bürger und weniger Patronage durch Parteien. Eine Sozialhilfe für die Armen und eine endlich angemessene Steuererhöhung für die Reichen – die griechische Regierung muss mehrfach die Verfassung ändern, um den Schlendrian der Politik anzugehen.

Dafür braucht Griechenland, die Geburtsstätte unserer Demokratie, die Heimat der wichtigsten Philosophen und Begründerin all dessen, was wir hier gern die „abendländischen Werte“ nennen (ohne genau zu wissen, was sich dahinter verbirgt), unsere Hilfe.

Aus der Union kommt nur Häme

Doch die Reaktion aus den Regierungsparteien CDU und CSU lassen schlimmes befürchten. Die Union war einmal die Europa-Partei. Heute schickt sie sich an, in Kleingeisterei zu verfallen. Da reicht nur ein Blick in die Tweets, die Unionsabgeordnete, unsere Volksvertreter, in Reaktion auf das Referendum verschickt haben: „Gute Nacht, Griechenland. Ihr geht jetzt einen ganz schweren Weg“, twittert CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Ein Land steht am Abgrund, und der Scheuer Andi sagt Gute Nacht? Gehässiger geht es kaum, aber es gibt ja noch den Abgeordneten Sebastian Steineke. Der CDU-Mann: „Ja und wenn - Kann Aufregung über Ergebnis nicht verstehen, Reisende soll man nicht aufhalten oder?“ Mal von der Orthografie abgesehen: Warum gibt sich Steineke krampfhaft unbekümmert angesichts der Schicksalslage eines EU-Mitgliedslandes? Weil er denkt, das sei cool? Weil er keine Ahnung von Europa, Moral und Empathie hat?

Es geht auch anders. Der CDU-Abgeordnete Olaf Gutting spielt die beleidigte Leberwurst: „Ich will jetzt einfach mal kein guter Europäer sein und laut nach #Griechenland rufen: Ihr könnt mich!“ Hoppla. Die werden jetzt beeindruckt sein, die Griechen. Aber es stimmt, Gutting ist kein guter Europäer. Und den Rücktritt von Finanzminister Yanis Varoufakis, sicher von vielen konservativen EU-Politikern gewünscht und ein wenig gefordert, kommentiert der CDU-Abgeordnete Charles M. Huber: „Alle für dumm verkauft, nun Rücktrittt. Abartiger Politikstil. Bin fassungslos !“ Das sind Krokodilstränen ganz großen Stils, gepaart mit einer Wortwahl, die man vor Kindern verstecken muss.

Die CDU sollte sich auf ihre alten Werte besinnen

Was ist nur aus der CDU geworden? Von der CSU muss nicht viel geredet werden, sie sieht in Europa als Regionalpartei eh nur einen Bedienungsladen. Aber die CDU hat es geschafft, sich als Sammelbecken all jener Deutschen zu sehen, die denken: Wir sind die Zahlmeister Europas. Wir werden ausgetrickst von hinterhältigen Südländern. Wir wissen es einfach besser. Stimmt alles nicht. Und das werden alle anderen Europäer uns bald wissen lassen.

Denn man hört schon jetzt vorsichtige Stimmen aus Frankreich, Italien und anderen Ländern: Man müsse jetzt aufeinander zugehen. Aus Deutschland hört man nur das Blöken der Unionstweets.

Merkel hat viele Fehler gemacht. Der wichtigste ist, dass sie keine Unterstützer für ihren Kurs sucht. Nämlich in Griechenland selbst. Warum ist sie nicht in den vergangenen Tagen nach Athen gereist? Sie sollte sich schleunigst auf die Agora stellen und zu den Griechen sprechen. Für ihre Politik werben. Man wünschte sich, Helmut Kohl würde sich jetzt zu Wort melden. So viel Arbeit und Herzblut hatte der langjährige Kanzler und CDU-Vorsitzende in Europa gesteckt. Nun muss er ansehen, wie seine Nachfolger seine Verdienste in den Graben fahren.

Sehen Sie auch: Große Freude: Tausende Griechen feiern in Athen Sieg des “Nein”-Lagers