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Freifunk: So funktioniert das dezentrale Internet

Sie surfen im Internet, doch sie telefonieren nicht über die Netze von Telekom und O2, sondern über ihre eigenen. Nur mit einem Wlan-Router und einer Software schaffen sich Freifunker ihre persönlichen Funknetze - in Zeiten des NSA-Überwachungsskandals eine attraktive Alternative. Mitmachen kann jeder.

Es war im Jahr 2004, als Sven-Ola Tücke auf seinem Balkon nahe dem Berliner Alexanderplatz ein fremdes Signal entdeckte. Es gehörte zu einem Freifunknetz, einem der ersten in Deutschland. Seither ist Tücke begeistert von der Idee eines selbst geschaffenen, dezentralen Netzes. „Das ist unser Netz-Wohnzimmer“, sagt er. „Ein eigener Bereich, so wie er beispielsweise auch in Firmen existiert. Da werden dann Dienste angeboten und genutzt. Ein prima Platz zum Spielen mit der Technik, etwas über die Technik zu lernen, miteinander ins Gespräch kommen, ein Hobby haben.“


Keine Sammlung von Daten

Freifunknetze sind freie und selbst verwaltete Intranetze, zu denen sich Nutzer mit ihren Routern selbst zusammen geschaltet haben. Die Mitglieder sind anonym, eine Anmeldung ist nicht erforderlich, Daten werden nicht gesammelt. Selbst die Störerhaftung, also die Verantwortung von Netzbetreibern für das Verhalten der Nutzer, umgehen die Aktivisten mit einem speziellen VPN-Server, der die IP-Adressen der Nutzer ändert.

Über die Netze verschicken die Leute Daten, sie telefonieren und gehen ins Internet, und das weitgehend unabhängig von den großen Kommunikationsunternehmen. Für den Internetzugang müssen einige Mitglieder einen Teil ihrer Bandbreiten, den sie von einem Provider gebucht haben, freigeben. Die Zeit, als Freifunker Technik-Nerds sein mussten, ist vorbei. „Wir sind technisch einfacher geworden“, sagt Tücke. Mitmachen kann jeder, der einen speziellen Wlan-Router besitzt und sich die entsprechende Software runterlädt. Der Router wird auf den Balkon oder auf das Dach gestellt. Nur in einer gewissen Höhe können sich die Signale verbreiten. Mittlerweile gebe es in den meisten größeren Städten eine Freifunk-Initiative, meint Tücke.

Gestaltungsfreiheit heißt Gestaltungsmacht

In Zeiten, in denen die Geheimdienste Internet- und Telefonverbindungen der großen Anbieter überwachen, scheinen solche anonymen, dezentralen Bürgernetze besonders attraktiv. Das spüren auch die Berliner Freifunker. „2013 ist definitiv eines der besseren Freifunk-Jahre“, meint Tücke. Die privaten Netzwerke sind allerdings keineswegs vor Spionage geschützt. Ganz im Gegenteil, sie funktionieren völlig unverschlüsselt. „Technisch sind wir zunächst ja viel besserüberwachbar. Die Überwachung ginge aber nur vor Ort und nicht von einem Schreibtisch aus in einem anderen Land“, so Tücke. Und die Geheimdienste müssten die vielen, lokalen Netzwerke anzapfen. Das ist aufwendiger, als einfach die großen Knotenpunkte abzuhören, über die die Kommunikation der großen Anbieter läuft. Wer sich mit der Technik beschäftigt, lernt, auch über ungesicherte Leitungen verschlüsselt zu kommunizieren. „Durch das Selbermachen kommt die Freiheit zu gestalten", erklärt Tücke. „Gestaltungsfreiheit heißt letztlich Gestaltungsmacht, etwas Bewirken, Einfluss nehmen.“

Die Bürgernetzwerker wünschen sich mehr Unterstützung durch öffentliche Institutionen. „Mehr Standorte auf öffentlichen Gebäuden, mit Blitzschutz, Antennenmast und Steckdose in der Nähe. Das wäre fein“, sagt Tücke. Einem plötzlichen Nutzeransturm würde die bestehende Infrastruktur gar nicht standhalten. Doch bei aller Euphorie: Den großen Boom des Freifunks erwartet in der Szene keiner. „Das öffentliche Interesse ist größer als unsere Marktdurchdringung“, meint Tücke. Da hilft nur eins: Ausprobieren und selbst mitmachen, der Aufwand hält sich in Grenzen.