Freigekaufte Kinderärztin: 100 000 DM und ein Spion waren der Preis

Die Rentnerin ist sichtlich bewegt. Für zwei gescheiterte Fluchten aus der DDR saß sie im Gefängnis. Doch sie hatte Glück und wurde vom Westen freigekauft. "Nichts ist vergessen", sagt sie. Ihr bewegendes Schicksal ist nun Teil einer Sonderausstellung in Berlin. 



"100 000 DM und ein Spion waren mein Preis", sagt die 73-jährige Renate Werwigk-Schneider. Für die pensionierte Kinderärztin ist auch nach 44 Jahren alles lebendig: 1968 durfte die politische DDR-Gefangene in die Freiheit ausreisen - weil sie vom Westen freigekauft wurde. "Ich war kein Märtyrer - ich war froh, dass ich rauskonnte." Die Biografie der Berlinerin ist Teil einer Sonderausstellung, die am Dienstagabend in der Hauptstadt eröffnet werden sollte. 

Die Schau "Freigekauft - Wege aus der DDR-Haft" in der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde beleuchtet ein lange Zeit geheimnisumwittertes Kapitel deutscher Geschichte. Mehr Öffentlichkeit hätte damals weitere Freikäufe gefährdet, sagt Leiterin Bettina Effner. Auch Betroffene hätten lange geschwiegen. 

Die Bundesrepublik kaufte zwischen 1963 und 1989 genau 33 755 Inhaftierte aus DDR-Gefängnissen frei, ist zu erfahren. Dafür habe sie einen Warenwert von rund drei Milliarden D-Mark gezahlt, so Effner. Es klingt fast zynisch und war doch oft die einzige Möglichkeit: Freiheit gegen Kaffee, Butter oder Erdöl. 

Die Freilassung politischer Häftlinge ließ sich die DDR-Führung vom Westen auch mit Kupfer und Diamanten in Millionenhöhe - natürlich in West-Mark bemessen - bezahlen, wird auf einer Ausstellungstafel erläutert. Erstmals seien 1963 acht politische DDR-Häftlinge aus Ost-Berlin über den Bahnhof Friedrichstraße in den Westen ausgereist, sagt Effner: "Da wurde ein Geldkoffer mit 205 000 DM in bar überreicht." 

Ab 1964 habe der Westen mit Waren und Rohstoffen bezahlt, ergänzt Kuratorin Lucia Halder. "Gerade in den 80er Jahren stieg die Zahl der Freikäufe. Für die DDR war das ein Wirtschaftsfaktor, eine Art der Devisenbeschaffung." Es habe auch ein Taxierungssystem gegeben: "Ärzte und Ingenieure waren teurer als einfache Häftlinge." 

Dass für Werwigk-Schneider 1968 noch Geld floss, sei eine Ausnahme gewesen, sagt Kuratorin Halder. Die DDR habe im Gegenzug einen im Westen gefassten DDR-Spion zurückbekommen wollen. 

Die Anwälte Jochen Vogel (Ost) sowie Jürgen Stange auf westdeutscher Seite waren die direkten Unterhändler der geheimen Aktionen im Auftrag ihrer Regierungen. Stange schied 1983 aus. Teile ihrer Korrespondenz werden nun als Tondokument in der Ausstellung präsentiert. Im Ministerium für innerdeutsche Beziehungen in Bonn habe sich diskret nach außen sogar ein Referat "Besondere Bemühungen im humanitären Bereich" mit den Häftlingsfreikäufen befasst. 

Auf DDR-Seite sei die Stasi immer mit im Boot gewesen. Selbst im abgeschirmten Bus, der die Freigekauften stets von Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) zunächst ins Aufnahmelager Gießen brachte, hätten bis zur Grenze Stasi-Leute gesessen, sagt Historikerin Effner. "Erst danach fingen die Leute an, sich zu freuen." 

Ein Offizier für Sonderaufgaben habe im Auftrag von Stasichef Erich Mielke die Namenslisten der Bundesrepublik für den Freikauf begutachtet und den Daumen gehoben oder gesenkt, ist zu lesen. Die Historiker gehen davon aus, dass die Stasi bis 1970 in 400 Fällen Listen manipulierte - um mehr Geld aus dem Westen zu erschleichen. 

dpa