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Gezänk, Verdächtigungen und Eifersucht in Osama bin Ladens Versteck

Die letzten Tage im Leben von Osama bin Laden müssen von Misstrauen, Eifersucht und gegenseitigen Verdächtigungen geprägt gewesen sein. Glaubt man den Berichten von Shaukat Qadir, zog Anfang 2011 mit der ältesten Ehefrau des Terrorchefs die Mutter allen Gezänks in die dreistöckige Behausung bin Ladens im pakistanischen Abottabad. Sogar die Beamten des pakistanischen Geheimdienstes fürchteten sich vor ihr.



Qadir ist ein ehemaliger Offizier der pakistanischen Streitkräfte und bekam durch private Kontakte Einblicke in die Ermittlungsakten des pakistanischen Geheimdienstes. Er konnte auch mehrmals die Villa in Abottabad betreten, nachdem ein Sonderkommando der US-Marine den Al-Kaida-Chef und vier weitere Personen am 2. Mai vergangenen Jahres erschossen hatte.

Von 2005 bis zu seinem gewaltsamen Tod lebte bin Laden in dem Versteck 30 Kilometer nördlich von Islamabad zusammen mit bis zu 28 weiteren Menschen. Darunter waren zwei seiner drei Frauen, acht seiner Kinder, fünf Enkel, sein Bote und dessen Bruder nebst Familie. Bin Laden residierte im obersten Stockwerk zusammen mit seiner jüngsten Frau Amal Ahmed Abdel-Fatah al Sada, einer Jemenitin, die bei der Hochzeit 1999 gerade 19 Jahre alt war. Auch seine zweite Frau, Siham Saber, lebte auf der Etage des Terrorchefs.

Konkurrentin befürchtete Verrat

Amal blieb in den Jahren der Flucht und der wechselnden Quartiere zwischen 2001 und 2005 an der Seite ihres Mannes, während sich die älteste seiner drei aktuellen Frauen 2001 in den Iran absetzte. Die Saudi-Arabierin Chairiah Saber stand dort unter Hausarrest, bis sie 2010 gegen einen in Pakistan entführten iranischen Diplomaten ausgetauscht wurde. Im Februar oder März 2011 zog Chairiah in den zweiten Stock des Hauses von Abottabad und zog das Misstrauen ihrer jüngeren Nebenbuhlerin Amal und bin Ladens erwachsenem Sohn Chalid auf sich.

Vom ersten Tag an hätten Amal und Chalid das Gefühl gehabt, als sei Chairiah nur gekommen, um ihren Mann zu verraten. Sie fragten sie laut den Geheimdienstpapieren immer wieder, was sie in Abottabad wolle, und eines Tages antwortete sie: "Ich habe meinem Mann einen letzten Dienst zu erweisen". Der 54-jährige bin Laden litt vermutlich an Nierenbeschwerden und war wohl auch geistig angeschlagen, denn als ihm sein Sohn die Aussage seiner ältesten Frau hinterbrachte, sagte er lediglich, das Schicksal werde entscheiden.

In den Papieren gibt es laut Qadir keinen Hinweis darauf, dass Chairiah ihren Mann verriet. Es war vielmehr der Bote, der unbeabsichtigt die Aufmerksamkeit des pakistanischen Geheimdienstes auf sich zog. Aber hinter den sieben Meter hohen Mauern des bin-Laden-Anwesens grassierten die gegenseitigen Verdächtigungen der Getreuen des Al-Kaida-Chefs.

Blutflecken an Wänden und Decke


Als am 2. Mai eine US-Sondereinheit das Haus stürmte, erschoss sie bin Laden, Chalid, den Boten, seinen Bruder und dessen Frau. Qadir konnte danach insgesamt viermal das Haus betreten, bevor es im vergangenen Monat abgerissen wurde. Er berichtet von Wänden, die mit Einschusslöchern übersät und mit Blutspritzern befleckt gewesen seien. Sogar an der Decke von bin Ladens Schlafzimmer habe es Blutflecken gegeben. Die drei Witwen überlebten das Blutbad der US-Seals und sitzen seitdem in Islamabad in Haft. Am Donnerstag war gegen sie Anklage erhoben worden - wegen illegaler Einreise nach Pakistan.

Laut Qadirs Bericht hatten sich nach der Verhaftung der drei Witwen Verhörspezialisten des pakistanischen Geheimdienstes geweigert, die Vernehmung von Chairiah fortzusetzen. Sie habe die Männer zu sehr eingeschüchtert. "Sie ist so aggressiv, dass es an Terror grenzt", hätten die Geheimdienstmitarbeiter Qadir erzählt.

Qadir sagt, was ihm am meisten bei seiner Recherche der letzten Tage des Al-Kaida-Anführers gewundert habe, sei die Leichtsinnigkeit bin Ladens. In der Villa habe es keinen Keller gegeben, keine Fluchttunnel, nicht einmal eine Alarmanlage. "Bei einem Angriff war es eine Todesfalle", sagt der ehemalige Offizier.

(Kathy Gannon ist AP-Korrespondentin)