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Hoden, Larven, dicke Wanzen: Spezialitäten im alten Hanoi

Die traditionelle Küche in Vietnams Norden setzt auf maximale Verwertung und versteckte Gaumenfreuden: Eine Wasserwanze. Foto: Marianne Brown

Auf dem zentralen Markt von Hanoi hält Dinh Phung Linh Ausschau nach Hahnenhoden. Und nein, es gebe keinen Grund, angesichts dieser traditionellen vietnamesischen Essensbeilage zimperlich zu werden, sagt der Kochkursleiter.

«Sie sind lecker. Man kann sie kurz mit Sojabohnensprossen oder Gemüse anbraten oder sie kochen und in Fischsoße dippen», erklärt Linh, der auch Touren durch die Essenstände in Vietnams Hauptstadt veranstaltet. Auf dem Markt wimmelt es von Schlangen, Krebsen, Aalen - und alle suchen nach dem letzten Schlupfloch in die Freiheit.

Typische Gerichte aus Vietnam wie die Rindersuppe Pho Bo gibt es weltweit. Andere weniger bekannte Spezialitäten liegen einem westlichen Gaumen dagegen nicht so nah. Linh ermutigt Touristen, auch das zu kosten, was sie nicht kennen - um ihre Geschmacksnerven herauszufordern, aber auch als kulturelle Erfahrung. «Für sie ist es komisch, aber für uns ist es das Essen, das wir mögen», sagt er.

Nach der Hoden-Suche bahnt sich Linh den Weg zur nächsten Zutat: Frosch. Schon lange bevor die französischen Kolonialherren ihr Froschschenkel-Rezept nach Vietnam brachten, stand die Kröte dort auf dem Speiseplan. «Wir frittieren auch die Haut, damit sie knusprig wird», erklärt Linh.

In dem südostasiatischen Land herrscht die Ansicht, dass beim Essen kein Bestandteil weggeworfen werden sollte. «Einige Sachen aßen wir, weil Vietnam ein armes Land war, schon vor dem Krieg», sagt Linh. «Wir waren so arm, dass wir alles gegessen haben.»

Uneingeweihte Marktbesucher könnten auf dem Markt an den Com Binh Dan vorbeilaufen - günstigen Restaurants, die eine Auswahl von Gerichten mit Reis anbieten. Dazu gehören auch Seidenraupen. Gebraten erhalten die kleinen, braunen Larven eine nussige Note. «Brate sie mit Salz und Pfeffer und etwas Fischsoße», rät die Verkäuferin Nguyen Thi Phuong. Sie kaufe die Larven jeden Morgen frisch auf dem Markt. «Sie sollten sich winden, das bedeutet, dass sie frisch sind. Ich kaufe nie die toten. Die könnten aus China importiert sein», sagt sie.

Das bekannteste Straßen-Essen Hanois ist Banh Cuon, ein mit Röstzwiebeln bestreuter Reiscrêpe, in den Fleisch und gehackte Pilze gerollt werden. In wenigen, traditionellen Lokalen wird der Crêpe mit einer exotischen Komponente gereicht: Ca Cuang - einer Wasserwanze. Der mehrere Zentimeter lange Käfer wird angedämpft, dann in Stücke geschnitten und in eine Schale Fischsoße gelegt. Wer den Körper nicht essen will, kann einige Tropfen der Wanzen-Essenz auf sein Banh Cuon träufeln - was ihm einen bananenähnlichen Geschmack verleiht. «Isst man zu viel davon, macht es die Zunge taub», erklärt Koch-Guide Linh.

Das Restaurant «Banh Cuon Gia Truyn» in der Altstadt ist eines der wenigen, die den Käfer servieren. «Ich habe Banh Cuon mehr als 40 Jahre lang verkauft. Und das Geschäft läuft mit mir in dritter Familiengeneration», sagt die Besitzerin Tran Thi Van.

Das Insekt sei aber nicht mehr so verbreitet, weil die Bauern mehr Pestizide einsetzten, sagt sie. «Alte Leute mögen sie, aber die jungen wissen nicht, wie man sie isst.» Viele ihrer Kunden hätten Hanoi nach dem Krieg verlassen und sehnten sich nun nach ihrer Rückkehr nach dem Gericht ihrer Jugend - aus Nostalgie.

«Früher, als ich ein Kind war, kamen immer, wenn das Wetter umschwang, eine Menge Insekten raus - Grashüpfer, Grillen, Fliegen. Und wir fingen sie, um sie als Mahlzeit zuzubereiten», erzählt Linh. In einer sich rasant verändernden Stadt wie Hanoi ist der Geschmack der Käfer eine von manchem geschätzte Erinnerung an die Vergangenheit.

Hanoi Cooking Centre