Werbung

Landtagswahlen in NRW: "Für die FDP geht's ums Überleben"

Acht Prozent bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und verhalten optimistische Prognosen für kommenden Sonntag in Nordrhein-Westfalen: Hat die FDP die Talsohle durchschritten? "Überhaupt nicht," sagt der Politologe Professor Doktor Oskar Niedermayer im Gespräch mit Yahoo! Nachrichten - die Krise der Liberalen gehe weiter. Denn nicht einmal der Bundeskanzlerin sei an einer vor Kraft strotzenden FDP gelegen. Die Liberalen sind indes nicht die Einzigen, die vor der Wahl bangen müssen - mit einem möglichen Sechsparteienparlament in Düsseldorf wird die Regierungsbildung zum Kraftakt.

Yahoo! Nachrichten

: Die FDP konnte in Schleswig-Holstein überraschenderweise acht Prozent der Stimmen einfahren. Wen haben die Menschen eigentlich gewählt – FDP oder Kubicki?

Prof. Dr. Oskar Niedermayer: Sie haben weitaus mehr den Spitzenkandidaten gewählt, als dies für die FDP bei Landtagswahlen normalerweise der Fall ist.

Sind denn die FDP-Wähler eher Themen- als  Personenwähler?

Ja auf der Landesebene schon. Hier wählen Menschen die FDP oft wegen ihrer Themen. Schleswig-Holstein ist eine Ausnahme, weil Kubicki sehr bekannt für einen Spitzenkandidaten einer kleinen Partei ist - und bei den Menschen beliebt.

Ist denn bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen auch schon absehbar, dass Personen die Wahl entscheiden werden? Handelt es sich um vielleicht sogar um eine generellen Trend?

Bei Wahlen spielen immer Themen und Personen eine Rolle – oft sind Personen untrennbar mit ihren Themen verbunden. Die Politiker werden ja nicht wegen ihres guten Aussehens gewählt. In NRW vermute ich hier einen starken Personeneffekt bei der Ministerpräsidentin Hannelore Kraft von der SPD, denn sie ist sehr beliebt und liegt in den Umfragen weit vor ihrer Partei. Bei der FDP würde ich den Effekt weitaus weniger stark sehen als bei Kubicki in Schleswig-Holstein. Denn: Christian Lindner ist relativ neu und weitaus weniger bekannt als ein Kubicki, der seit Jahrzehnten politisch tätig ist. Kubicki ist wirklich eine Ausnahme unter dem momentanen FDP-Personal auf Landesebene.

Hatte der ehemalige FDP-Außenminister Genscher Lindner nicht als die große Hoffnung der Partei bezeichnet?

Das Eine schließt das Andere nicht aus. Wenn Lindner in NRW ein gutes Ergebnis erzielen kann, wird er höchstwahrscheinlich bald auf Bundesebene wieder eine Rolle spielen.

Ist die FDP denn über den Berg?

Sie ist überhaupt nicht über den Berg, denn ganz klar: Sowohl in Schleswig-Holstein als auch in NRW wurde gegen den Bundesvorsitzenden Philipp Rösler Wahlkampf gemacht, nicht mit ihm. Und diese Abgrenzung haben die Wähler honoriert. Dreiviertel der FDP-Wähler in Schleswig-Holstein haben geäußert, dass sie finden, die Liberalen haben den falschen Vorsitzenden und bewerten die FDP besser im Land als im Bund. Also: Auch wenn die Liberalen in NRW besser abschneiden sollten – die Misere im Bund bleibt.

Kann unter diesen Vorzeichen ein Philipp Rösler überhaupt politisch überleben?

Das kommt darauf an, ob in der FDP jemand mutig genug ist, den Königsmörder zu spielen und ob man sich auf einen Nachfolger einigen kann. Beides ist äußerst fragwürdig. Wenn Rösler bleibt, wird der Bundestagswahlkampf schlecht ausgehen für die FDP, er ist einfach zu unbeliebt. Seit einiger Zeit wird er noch schlechter bewertet als vormals Westerwelle – und das ist schon eine Leistung.

Wer steht denn als Nachfolger bereit? Brüderle?

Naja, sowohl Brüderle, Lindner als auch Kubicki haben alle Putschgerüchte dementiert. Ihr Problem ist, dass Brüderle und Lindner nicht gut genug miteinander können, um die FDP aus der Krise zu leiten. Brüderle kann sich zudem noch an seine Zeit als Wirtschaftsminister erinnern, da wurde er von den Medien als Provinzpolitiker und „Weinkönig“ angegangen. Es gibt schon gute Gründe, warum niemand Rösler momentan offen angreift.

Welche Themen werden in NRW die Wahl entscheiden?

Ein großes Thema ist die Schuldenfrage, bei der sich die Großen gegenüberstehen. Die FDP könnte da mit einer klaren Position punkten. Wichtig ist natürlich, wie stark die Piraten werden und ob die Linke einziehen kann. Es kann sein, dass wir in NRW ein Sechsparteienparlament bekommen und dass es für Rot-Grün nicht reicht. Die Regierungsbildung wird damit sehr schwierig. Die Wähler sind heute flexibel – in NRW ist alles möglich.

Müssen Kleinparteien nicht auch entsprechend ihre Möglichkeiten ausloten? Kann eine FDP überleben, wenn sie sich an die Union kettet?

Die FDP sind nicht mehr der Königsmacher, diese Funktion haben sie an die Grünen nahezu verloren. Die müssen allerdings auch aufpassen, dass sie nicht zu sehr an der SPD klammern. Wenn es bei der Bundestagswahl für Schwarz-Gelb sowie für Rot-Grün nicht reicht, müssen andere Optionen gefunden werden – und wenn bestimmte Koalitionen ausgeschlossen werden, möchte man auch nicht wortbrüchig werden. Für die FDP steht dann im Vordergrund, zu überleben. Ihr Einzug in den Bundestag ist keinesfalls gesichert.

Müssen sich die Parteien jetzt auch noch auf dauerhafte Konkurrenz der Piraten einstellen?

Abwarten – sich als Partei in Deutschland dauerhaft auf Bundesebene zu etablieren, ist in mehr als einem halben Jahrhundert lediglich zwei Parteien gelungen, den Grünen und der Linken. Und letztere hat schon wieder Schwierigkeiten und könnte wieder zur Regionalpartei Ost werden. Die vier Landtage, in die die Piraten eingezogen sind, müssen noch gar nichts heißen. Wenn sie sich aber etablieren können, dann ganz klar im linken Spektrum.

Im Bundesrat herrscht momentan ein Patt zwischen Union und SPD. Braucht Bundeskanzlerin Merkel nicht jetzt unbedingt einen Sieg in NRW, oder kann sie so weitermachen bis zur Bundestagswahl?

Für sie wäre es schön, aber sie kann auch mit einer Niederlage leben. Denn in NRW herrschten ja bereits Rot-Grün, und im Bundesrat sind zurzeit die großen Koalitionen ein wichtiger Faktor, die ja neutral abstimmen. Die größte Gefahr für die Kanzlerin ist ein gutes Ergebnis für die FDP, denn je mehr Selbstbewusstsein die Liberalen haben, desto mehr werden sich von der Union abgrenzen.

Prof. Dr. Oskar Niedermayer ist Politologe und arbeit am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin in der Arbeitsstelle Empirische Politische Soziologie.