Liebe, Gott und ein Stuntman

Bewegende Analyse der „letzten Worte“ von zum Tode Verurteilten

Punkt sechs Uhr abends wird der Gefangene von seiner Zelle in die Hinrichtungskammer gebracht, mit dem Gesicht nach oben auf einen Tisch geschnallt. Die Arme sind auf Stützen fixiert. Bevor die tödliche Injektion gestartet wird, hat er die Möglichkeit, letzte Worte zu sprechen. Jon Millward hat die letzten Worte von 478 im US-Bundesstaat Texas zum Tode Verurteilten untersucht. Wir haben mit dem britischen Blogger und Journalisten gesprochen.


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Jon Millward: Mich interessiert, wie das menschliche Gehirn arbeitet, wie wir Sprache nutzen, um Emotionen wie Liebe, Eifersucht, sexuelle Anziehung – primitive, aber auch sehr starke Gefühle – auszudrücken. Texas führt ein öffentliches Verzeichnis seiner Hingerichteten inklusive deren letzter Worte (beim Texas Department of Criminal Justice). Ich wollte wissen: Würde das Wort „Gott“ öfter vorkommen als „Entschuldigung“? Oder „unschuldig“ häufiger als „schuldig“?

War es denn so?

Die Todeskandidaten schlagen im Allgemeinen einen sehr versöhnlichen Ton an. Das am häufigsten verwendete Wort ist „Liebe“, direkt dahinter rangieren „Familie“ und „Danke“. Ich finde, das ist ein fast schon poetisches Ergebnis – hat aber wohl schlicht damit zu tun, dass in vielen Fällen Angehörige und Freunde oder auch die Familien der Opfer der Hinrichtung beiwohnen. Acht von zehn Todeskandidaten sagen gar nichts. Aber selbst das ist ja irgendwie ein Statement, oder? Nichts zu sagen setzt meiner Meinung nach eine ziemliche seelische Gelassenheit voraus.

Welche „letzten Worte“ haben Sie zuletzt dokumentiert?

Am 7. August hat es Marvin Wilson getroffen, nach 18 Jahren in der Todeszelle. Seine Hinrichtung ging zuvor durch die Medien, weil er mit einem IQ von 61 als geistig zurückgeblieben galt. Seine letzten Worte waren: „Drückt Mama für mich und sagt ihr, dass ich sie liebe. Ich kam als Sünder und gehe als Heiliger.“

„Mama“ oder „Papa“ – das sind oft die ersten Worte eines Menschen. Aber auch seine letzten? Sprechen viele, ähnlich wie Marvin Wilson, kurz vor der Hinrichtung über ihre Eltern?

Ja. Diese Menschen mögen Mörder sein und sich allein dadurch signifikant vom Rest der Bevölkerung unterscheiden. In diesem Punkt sind sie aber ganz normal: Sie lieben ihre Familien, ihre Frauen, ihre Kinder und auch ihre Eltern. Sie machen sich Gedanken darüber, was diese Personen von ihnen denken. Neben der Familie ist Religion ein großes Thema: Viele sprechen über Gott, den Himmel, das Leben nach dem Tod und die Wiedervereinigung mit ihren Lieben – aber auch ihren Opfern. Letzteres eher als Versuch einer Aussöhnung.

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Rekapitulieren viele noch einmal ihre Taten?

Sehr viele entschuldigen sich für das, was sie getan haben: Das vierthäufigste Wort ist „sorry“. Für mich klang das oft ziemlich einstudiert, aber sie haben eben oft genug Zeit, über die letzten Worte nachzudenken. Jonathan Moore, der im Januar 2007 nach zehn Jahren in der Todeszelle hingerichtet wurde, sagte zum Beispiel: „Es tut mir leid, ich kannte den Mann, den ich erschossen habe, nur ein paar Sekunden lang. Ich habe es aus Angst, Dummheit und Unreife getan. Als ich verhaftet wurde und die Zeitung sah, sein Gesicht und sein Lächeln sah, da erst wusste ich, dass er ein guter Mann war.“

Beteuert der eine oder andere auch seine Unschuld?

Rund zehn Prozent all jener, die in Texas von 1982 – als die Todesspritze eingeführt wurde – bis 2005 hingerichtet wurden, sagen, sie seien unschuldig. So wie Richard Wilkerson, den man schuldig gesprochen hatte, bei einem Raubüberfall 1983 einen Mann erstochen zu haben. Am Tag seiner Hinrichtung, im August 1993, sagte er: „Diese Hinrichtung ist nicht gerecht. Sie ein Akt der Rache. Wenn das Gerechtigkeit ist, ist sie blind.“ Das wirft eine Frage auf, die im Zusammenhang mit der Todesstrafe immer wieder gestellt wird: „Wie hoch ist das Risiko, Unschuldige zu töten?“ Fest steht jedenfalls, dass seit der Wiedereinführung der Todesstrafe in Texas zwölf Menschen nachträglich für unschuldig erklärt wurden.

Welche Abschiedsworte sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Vincent Gutierrez, der im März 2007 hingerichtet wurde, meinte nur ironisch: „Wo ist eigentlich der Stuntman, wenn man mal einen braucht?“ Solche humorigen Statements sind aber die Ausnahme. Manche zeigen sich auch völlig ungerührt, so wie James Clark, hingerichtet im April 2007: „Uh, ich weiß nicht, was ich sagen soll. (Pause) Ich hätte nicht gedacht, dass jemand kommt. Howdy!“ Aber die letzten Worte, die mich am meisten berührt haben? Eindeutig jene, in denen beschrieben wird, wie es sich anfühlt, zu sterben. John Alba sprach bei seiner Hinrichtung im Mai 2010 zum Beispiel davon, das Gift sogar schmecken zu können. „Ich sterbe“ waren seine letzten Worte.

Hat Sie Ihre Arbeit sehr mitgenommen?

Um ehrlich zu sein: Nein, eigentlich nicht. Manchmal fand ich meine Arbeit schon morbide. Aber die große geographische und persönliche Distanz hat mir geholfen – ich kannte ja keinen der Hingerichteten. Es gibt aber Todeskandidaten, die es mit ihren letzten Worten ganz explizit darauf anzulegen scheinen, Emotionen bei den Hörern hervorzurufen. Ein gutes Beispiel dafür ist Larry Davis, der im Juli 2008 hingerichtet wurde. Sein „Selig sind die, die da trauern, denn sie sollen getröstet werden. Es ist beendet“ klingt fast wie ein Text aus der Bibel, irgendwie sehr poetisch. Man muss nur eben auch wissen, dass der gleiche Mann sein Opfer mit einem Eispickel getötet hat.

Warum dürfen Todeskandidaten in Texas eigentlich ihre letzten Worte frei wählen – nicht aber ihr letztes Mahl?

Das hat Lawrence Russell Brewer zu verantworten. Er wurde im September 2011 hingerichtet und wünschte sich zuvor ein richtiges Buffett: zwei Hühnchenfilets, einen Cheeseburger, ein Käseomelette, eine große Schüssel gebratene Okraschoten, drei Fajitas, ein Pfund Braten, einen halben Laib Weißbrot und eine Packung Eiscreme. Aber letztlich hat er nichts davon auch nur angerührt. Das hat die Verantwortlichen dermaßen wütend gemacht, dass sie das Recht auf eine besondere letzte Mahlzeit gestrichen haben.

Herr Millward, vielen Dank für das Gespräch.





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