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Migräne: Das hilft Betroffenen

Jessica Biel: Migräneanfälle wegen der Paparazzi

Millionen Menschen leiden regelmäßig unter Migräne, ohne zu wissen, was die Anfälle wirklich auslöst. Dr. med. Ulrich Selz informiert in seinem Buch "Migräne ade!" (caralin Verlag, 280 Seiten, 29,90 Euro) darüber, wie es zu Migräneanfällen kommen kann, welche Verläufe sie nehmen und über sein Diagnose- und Therapiekonzept. Ob es typische Migränepersönlichkeiten gibt, und warum auch immer mehr Kinder betroffen sind, erklärt er im Interview mit spot on news.

Die Schauspielerin Jessica Biel bekommt manchmal Migräneanfälle, wenn sie von Paparazzi verfolgt wird, wie sie der "Welt am Sonntag" einmal verriet. Kann Migräne durch zu viel Stress entstehen?

Dr. med. Ulrich Selz: Ja, Stress zählt zu den häufigsten Auslösern von Migräne. Viele Migränekranke können das bestätigen. Durch eine Stressreaktion kann es zu einem Versorgungsengpass mit bestimmten Hormonen kommen. Dadurch verändert sich die Durchblutung im Gehirn, ein Migräneanfall ist die Folge. Eine Attacke kann aber auch in der Erholungsphase nach der eigentlichen Stressbelastung auftreten. Daher bekommen viele ihre Migräne nur am Wochenende.

Welche Rolle spielen Hormone bei Migräne?

Selz: Bei Männern ist eine hormonelle Ursache eher selten, kann aber nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Vor allem bei Frauen lässt sich feststellen, dass ihre Migräne auf eine hormonelle Dysbalance zurückzuführen ist. Wird diese Dysbalance beseitigt, verschwindet auch die Migräne wie von Geisterhand. Untrügliche Zeichen für eine hormonelle Ursache ist es, wenn Migräne-Attacken vor oder während der Regelblutung auftreten. Es gibt aber auch eine hormonell bedingte Migräne, bei der die Betroffenen keinen zeitlichen Bezug zum weiblichen Zyklus herstellen können. Mithilfe pflanzlicher Arzneimittel oder bioidentischen Hormonen können diese Patientinnen erfolgreich behandelt werden.

Der Neurologe Volker Schuchardt hat Biografien von Prominenten auf Krankheiten untersucht. Der "Welt" sagte er dazu, typische Merkmale für Migräne seien etwa Ehrgeiz und Leistungsfähigkeit.

Selz: Früher dachte man, dass es eine typische Migränepersönlichkeit gibt und dass die Migräne hauptsächlich psychische Ursachen hat. Tatsächlich haben wissenschaftliche Studien genau das Gegenteil bewiesen. Ich gebe dem Kollegen aber dennoch ein Stück weit Recht. Häufig sind die Betroffenen besser organisiert und erscheinen deshalb leistungsfähiger. Viele Menschen gehen mit Migräne zur Arbeit, haben kaum Fehltage oder versorgen ganz normal ihre Kinder. Die Betroffenen handeln vorausschauend, schließlich möchten sie während des Anfalls nicht auffallen. Arbeitskollegen bezeichnen dies vielleicht als "ehrgeizig" und "besonders leistungsorientiert". In Wirklichkeit wollen Migräne-Betroffene lediglich ihren Job gut machen, trotz der Erkrankung.

Sie schreiben in Ihrem Buch "Migräne ade!", dass Ihrer Erfahrung nach häufig eine Organschwäche als Ursache in Frage kommt. Warum führt das zu den heftigen Schmerzen im Kopf?

Selz: Im Wesentlichen sind es drei Mechanismen, die den Migräne-Schmerz auslösen können. Die Blutgefäße des Gehirns reagieren sehr sensibel auf bestimmte Botenstoffe. Sie können sich entweder zusammenziehen oder stark erweitern. Die Blutzufuhr zum Gehirn ändert sich dann. Dies kann einen Anfall auslösen. Zudem gibt es Stoffe, die beispielsweise im Darm entstehen können, über die Blutbahn zu den Kopfgefäßen gelangen und dort minimale Entzündungen der Gefäßwand auslösen können. Nicht zuletzt das Nervensystem: Es gibt zahlreiche direkte Verbindungen von den Organen zu den Muskeln, den Blutgefäßen oder den Nerven des Kopfes. Eine Störung eines Organs kann sich dann als Schmerz am Kopf äußern. Ein häufig vorkommender Organzusammenhang ist beispielsweise eine gestörte Gallenblase. Wenn die Nerven der Gallenblase überreizt werden, können über eine Verbindung die Nerven des Kopfs einen Migräneanfall auslösen.

Als mögliche Ursachen nennen Sie unter anderem auch falsche Ernährungsweisen, Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Muskelverspannungen. Ist die Migräne eine moderne Zivilisationskrankheit?

Selz: Viele von uns spüren die Anforderungen und Auswirkungen des modernen Zeitalters: Ständige Erreichbarkeit, verschobene Arbeitszeiten, späte Meetings, zu wenig Zeit zum Essen - all das hat natürlich Auswirkungen auf unseren Biorhythmus und unsere Körperfunktionen. Die Zahl der Betroffenen aller sozialen Schichten steigt daher weltweit von Jahr zu Jahr. Die Migräne ist oftmals die Spitze des Eisbergs und zeigt die Notwendigkeit einer Veränderung an. Häufig motiviert eine Migräneerkrankung Betroffene dazu, ihren Lebensstil neu auszurichten.

Auch immer mehr Grundschüler klagen schon über Migräne. Sind tatsächlich immer mehr Kinder betroffen und wie kommt es dazu?

Selz: Tatsächlich bestätigen neue Studien einen dramatischen Anstieg von Migräneerkrankungen bei Kindern. Meiner persönlichen Erfahrung nach hängt die Migräne bei Kindern fast immer mit ihrer Ernährung zusammen. Die Kinder essen unbewusst zu viele Kohlenhydrate wie Brot, Kartoffeln, Nudeln oder Süßigkeiten. Das hat zur Folge, dass der Zuckergehalt im Blut zuerst steigt, dann im Rahmen einer natürlichen Regulation wieder rasch abfällt. Dann kommt es zur Migräne, weil das Gehirn "Hunger" hat, obwohl die letzte Mahlzeit erst vor ein bis zwei Stunden gegessen wurde. Hier hilft eine Ernährungsumstellung. Die Kinder arbeiten meistens sehr gut mit, weil sie viel weniger Anfälle haben. Sie spüren also, dass es ihnen besser geht.

Migräne verstehen Sie als in vielen Fällen heilbares Symptom. Was können Migräne-Patienten tun, die bisher nicht erfolgreich behandelt worden sind?

Selz: Zu Beginn meiner Tätigkeit als Arzt war ich frustriert, dass ich wie meine Kollegen nur Schmerzmittel verschreiben konnte. Dann habe ich damit begonnen, die Hintergründe und Ursachen von Migräne zu erforschen und zu ermitteln: Welche anderen Symptome hat der Betroffene? Gibt es Verdauungsbeschwerden, hormonelle Dysbalancen, Schlafstörungen, Allergien oder einen unregelmäßigen Lebenswandel? Welche Erkrankungen hatte der Patient bereits? Etc. Mit dieser Herangehensweise ergaben sich neue Erkenntnisse zu den Migräne-Hintergründen und die in diesem Zusammenhang wirksamen Behandlungsformen.

Nur Schmerzmittel nehmen, ist also nicht die Lösung.

Selz: Durch die rasanten Entwicklungen in der Medizin ergeben sich mittlerweile einzigartige Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten. Auf diese positiven Erfahrungen konnte ich aufbauen und etwas Neues entwickeln. Mit mir haben schon viele weitere Therapeuten erkannt, dass man mehr tun kann, als nur Schmerzmittel zu verschreiben. Deshalb halte ich diese einseitige Betrachtungsweise der Migräne für längst überholt, denn Migräne-Patienten kann heutzutage tatsächlich wirksam geholfen werden, so dass die Schmerz-Attacken häufig vollständig verschwinden, oder zumindest abgeschwächt werden. Details finden Interessierte in meinem Buch "Migräne Ade".

Foto(s): Jordan Strauss/Invision/AP