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"Euro-Rettungsschirm reicht nicht aus"

Kaum war der europäische Rettungsschirm ESM im Bundestag beschlossen, kamen aus Deutschland die ersten Klagen. Dabei sind die 700 Milliarden Euro, die der ESM gewährleistet, für eine weitere Stabilisierung der Währung nicht einmal genug, sagt Daniela Schwarzer von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Eigentlich müsse Europa noch viel weiter zusammenwachsen, wenn es seine Gemeinschaftswährung retten möchte. Auch die umstrittenen Eurobonds hält die Expertin für den richtigen Weg.




Yahoo! Nachrichten:Gegen die Entscheidung zum europäischen Rettungsschirm ESM vom vergangenen Freitag gibt es bereits sechs Klagen. Bringen die den Euro in Gefahr?

Bei allen Schritten zum Rettungsschirm ESM und zu dessen Vorgänger EFSF wurde in Deutschland geklagt. Klar, dass es da Unsicherheiten gibt – das Bundesverfassungsgericht könnte Auflagen definieren, etwa eine stärkere Einbindung des Parlaments. Sollte das Bundesverfasssungsgericht gegen den ESM entscheiden, springen vermutlich andere in die Bresche um die von der Krise betroffenen Staaten zu unterstützen. Das dürfte – wie zuvor – die Europäische Zentralbank sein.

Wieso die EZB?

Die Staaten haben die EZB nicht als Instrument zur Bekämpfung einer Schulden- und Bankenkrise geschaffen. Trotzdem war sie seit 2010 der schnellste und wirksamste Krisenmanager. Die EZB ist bei den Treffen der Eurogruppe und auf Krisengipfeln vertreten und hat in der Vergangenheit durch Bonds-Aufkaufprogramme und Bereitstellung von Liquidität für die Banken eine Eskalation der Krise vermieden. Ihre Aufgabe ist allerdings nicht, in erster Linie Fiskal- oder Krisenpolitik zu machen, sondern sie möchte ihre geldpolitischen Ziele verfolgen. Es wird aber bereits diskutiert, ob und wann sie ihr Mandat überschreitet und wie es um ihre politische Unabhängigkeit steht.

Was wurde auf dem Gipfel in Brüssel eigentlich beschlossen?

Erstens ein Wachstumspaket von 120 Milliarden €, vor allem um in den überschuldeten Staaten Wirtschaftswachstum zu generieren. Das Geld kommt von der europäischen Investitionsbank, teilweise aus den Strukturfonds und über Projekt-Bonds. Zweitens wurde beschlossen, dass der ESM direkt Banken kapitalisieren können soll, sofern eine Europäische Bankenaufsicht eingerichtet wird. Bisher hat der ESM den Regierungen Geld zur Verfügung gestellt, damit sie ihre Banken kapitalisieren, was bedeutet dass dieser Posten die Staatshaushalte belastet. Jetzt geht der ESM direkt mit einzelnen Banken in Beziehung, den Einzelstaaten kann er daher keine Auflagen machen.

Kriegen die Banken dann nicht einen gewaltigen Zuwachs an Macht?

Die Vorrausetzung dazu ist eine europäische Bankenaufsicht, die Teil einer breiter aufgestellten „Banken-Union“ werden könnte. Als Antwort auf die europäische Finanzkrise 2008 wurde bereits eine Europäische Bankenaufsicht als Teil einer viergliedrigen Europäischen Finanzaufsicht beschlossen. Diese hat allerdings keine Zugriffsrechte auf nationale Kreditinstitute. Jetzt steht eine weitere Europäisierung an. Das Argument: Ein europäischer Finanzmarkt braucht eine europäische Bankenaufsicht.

Was ist die „Banken-Union“?

Eine „Banken-Union“ wäre ein Integrationsschritt, der Überwachungs- und Stabilisierungsinstrumente vereint. Neben einer Europäischen Bankenaufsicht und einem Bankenrettungsfonds wird zum Beispiel eine „Einlagensicherung“ diskutiert, die gewährleistet, dass die Sparer das Geld auf ihren Konten auch in Krisenzeiten zurückbekommen. Sobald in einem EU-Land ein sogenannter „Bank-Run“ passiert – die Sparer heben panisch ihr Geld vom Konto ab und legen es sich unters Kopfkissen – könnte so ein Schritt erfolgen. Sinnvoll ist sie in jedem Fall.

Ist der ESM dann letztlich nur die nächste Bankenrettung?

Nun ja, die wichtigsten Maßnahmen zum ESM, die beim vergangenen Gipfel beschlossen wurden, beziehen sich auf den Bankensektor. Grundsätzlich hat er beides zur Aufgabe: Staaten zu helfen und Banken zu rekapitalisieren. Aber in der Tat, in letzterem Bereich musste noch nachgebessert werden.

Wer entscheidet dann, wohin die Gelder gehen? Ist das überhaupt demokratisch legitimiert?

Wohin die Gelder des ESM gehen, wird vom Gouverneursrat des ESM, in dem die Finanzminister sitzen, und einem nachgeordneten Gremium entschieden. Hilfsmaßnahmen des ESM muss in Deutschland der Bundestag zustimmen.

Und gegen was richten sich die sechs Klagen? Von der Linkspartei über den Bund der Steuerzahler und Peter Gauweiler klagt ja ein buntes Trüppchen.

Es gibt Klagen gegen die Haftung, da ja der deutsche Steuerzahler einstehen müsste, im Fall dass ein verschuldeter Staat seine Kredite nicht mehr bedienen kann und ein Kredit mal ausfällt. Dann gibt es Klagen gegen das Verfahren und die Beteiligung des Bundestags. Beim Vorgängerprogramm EFSF gab es vergleichbare Klagen.

Wie hoch ist denn der Anteil der Deutschen am ESM?

Der liegt bei 27 Prozent von 700 Milliarden Euro gezeichnetem Stammkapital und einem Ausleihvolumen von 500 Mrd. €. – also etwa 190 Milliarden Euro.

Aber in Bürgschaften – das Geld wird nur ausgeschüttet, wenn ein Mitgliedsland nicht zahlen kann.

Ganz genau. Der deutsche Anteil am eingezahlten Kapital beträgt knapp 22 Milliarden Euro. Darüber hinaus geben die Regierungen Gewährleistungen – im deutschen Fall 168 Milliarden Euro. Der ESM holt sich dann am Markt Geld, das von den Anteilseignern abgesichert ist. Mit dem Geld werden Hilfskredite vergeben, und sollte ein Kredit mal nicht zurückbezahlt werden kann, dann müssen die Garanten einspringen.

Sind die Schritte richtig?

Ja, aber sie sind zu wenig. Die verschuldeten Staaten wie Spanien werden langfristig mehr Hilfe brauchen. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, sind langfristig Eurobonds eine sinnvolle Ergänzung für die Eurozone. Kurzfristig könnte ein europäischer Schuldentilgungsfonds helfen. Im Bereich der politischen Integration und der Haushaltspolitik muss die Union weiter integriert werden. Denn die Auswirkungen der Krise teilen die Staaten ja de facto jetzt schon. Wenn es eine sinnvolle Rahmengebung und die Kontrolle gibt, dann sind die Eurobonds der richtige Weg.

Sie plädieren also für ein Mehr an Europa? Nicht sehr populär momentan.

Ja. Wir können den Euro nur erhalten wenn wir diesen Schritt zu mehr Integration machen. Aber er ist es wert, denn Deutschland und die anderen EU-Länder stünden ohne den Euro viel schlechter da. Gerade uns als Exportnation würde ein Rückfall in nationale Währungen hart treffen.

Die Politökonomin Daniela Schwarzer arbeitet in der Forschungsgruppe "EU-Integration" der Stiftung Wissenschaft und Politik und unterrichtet an der Hertie School of Governance.