Ökonom fordert Bereitschaft für den Wandel - Fuest rechnet ab: „Deutschland ist nur noch eine Status-Quo-Macht“

Bundeskanzler Olaf Scholz mit Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner.<span class="copyright">Kay Nietfeld/dpa</span>
Bundeskanzler Olaf Scholz mit Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner.Kay Nietfeld/dpa

Hitzig debattiert die Republik derzeit über die lahmende Konjunktur. Clemens Fuest, einer der renommiertesten Volkswirte Deutschlands, hat nun in einem Interview klargemacht, dass Deutschland zwar kein „kranker Mann Europas“ sei, gleichzeitig aber zur „Status-Quo-Macht“ verkümmere. Das sichere den Wohlstand nicht.

Deutschland gilt erneut als „kranker Mann Europas“, urteilen derzeit manche Ökonomen und Politiker. Clemens Fuest, Präsident des renommierten Münchner ifo-Instituts, sieht das etwas anders – er würde eher vom „alten Mann Europas“ sprechen, wie er im Interview mit dem „ Handelsblatt “ erklärt.

Die Krise der Jahrtausendwende, welche den Begriff des „kranken Manns“ erst hervorbrachte, sei ganz anders gewesen als Deutschland aktuelle Probleme. Damals war die Arbeitslosigkeit die große Herausforderung.

Laut Fuest sind die Ursachen der aktuellen Konjunkturschwäche und der miserablen Aussichten andere: „An erster Stelle [wäre das] die Demografie, also die sinkende Erwerbsbevölkerung. Wir haben größere strukturelle Probleme mit unserem Fokus auf die Automobilindustrie.“

Der Ökonom fügt an: „Und wir sind nicht zuletzt von den politischen Veränderungen stärker betroffen als andere Länder, das gilt insbesondere im Bereich Handel wegen der Bedeutung des Exportsektors, aber auch im Bereich Energie und Verteidigung.“ Zugleich ruhe sich Deutschland auch zu sehr auf seinen bisherigen Leistungen aus, der Wille für Veränderung fehle. Das Land sei damit nur noch eine „Status-Quo-Macht“.

„Stecken mitten in einer schleichenden Deindustrialisierung“

Fuest glaubt nicht an eine kurzfristige Erholung – dafür sei die heimische Konsum- und Investitionsbereitschaft zu schwach und auch von der Weltwirtschaft erwartet der ifo-Präsident keine Impulse.

Das Schrumpfen der Industrie setze sich indes fort. „Wir stecken mittendrin in einer schleichenden Deindustrialisierung. Wir sehen einen Rückgang der Produktion im verarbeitenden Gewerbe um rund 10 Prozent seit 2017“, so Fuest zu der Wirtschaftszeitung. Auch andere Ökonomen wie beispielsweise IW-Chef Michael Hüther verwiesen zuvor schon auf diesen Produktionsrückgang.

Wirtschaftsforscher und ifo-Präsident: Clemens Fuest.<span class="copyright">Kay Nietfeld/dpa</span>
Wirtschaftsforscher und ifo-Präsident: Clemens Fuest.Kay Nietfeld/dpa

 

Fuest kritisiert dabei wiederholt mangelnde Investitionen. „Die aktuelle Stagnation, die wir erleben, ist durch die schwache Investitionstätigkeit verursacht.“ Deutschland bewege sich damit in die entgegengesetzte Richtung dessen, was sich Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ampelkoalition vorgenommen hätten.

Gleichzeitig pocht Fuest weiter auf die Schuldenbremse. „Die Schuldenbremse hat den großen Vorteil, dass sie die Politik dazu zwingt, Prioritäten zu setzen“, erklärt der Volkswirt. Andernfalls würde der Staat nur noch mehr Konsumausgaben vornehmen.

Auch vor der Schuldenbremse hätte der Staat zu viele konsumtive Ausgaben getätigt, und zu wenige Investitionen, so beispielsweise während der Großen Finanzkrise 2009. „Ohne die Schuldenbremse hätten wir sicher höhere Staatsschulden, aber wahrscheinlich nicht mehr Investitionen.“

Ökonom hält einzelne Maßnahmen der Ampel für richtig

Immerhin: Fuest begrüßt, dass die Bundesregierung nun wieder einen Fokus auf Wachstum lege. „Viel zu lang hat sich die Politik vor allem mit Verteilungsfragen und Klimapolitik befasst und das Thema Wachstum vernachlässigt.“ Natürlich reiche das aktuelle Maßnahmenpaket nicht aus. Ideen wie bessere Abschreibungen für Investitionen und steuerliche Anreize für ausländische Fachkräfte aber seien richtig, sagt Fuest.

Zudem fordert der Ökonom aber auch Rahmenbedingungen für einen Wandel – denn der werde eine „Gratwanderung“: „Wir sollten nicht allzu große Ressourcen auf die Erhaltung des Bestehenden setzen, aber wir können nicht auf etablierte Fähigkeiten verzichten“, sagt Fuest im Hinblick auf deutsche Kernbranchen wie den Auto- oder Maschinenbau.

„Sind zu einer Status-Quo-Macht geworden“

„Wir brauchen Raum für den Strukturwandel. Es wäre falsch, zu sagen, dass die Autoindustrie keine Zukunft hat“, bekräftigt Fuest. Womöglich, sagt der Ökonom, habe der Erfolg der vergangenen Jahre auch etwas zu bequem gemacht. „Wir haben Jahrzehnte hinter uns, die glücklich waren für Deutschland. Wir sind nach der Wiedervereinigung von einer veränderungsorientierten Gesellschaft zu einer Status-Quo-Macht geworden.“

Nur leider funktioniere es in der aktuellen Lage nicht mehr, sich nur in den erworbenen Besitzständen einzurichten, erklärt Fuest. Noch sei es nicht zu spät, betont er. „Wenn wir eine Agenda 2030 für mehr Wachstumsdynamik umsetzen, werden wir es vielleicht schaffen, unseren Wohlstand zu erhalten.“ Fuest glaubt, das könne Deutschland aus eigener Kraft. Nur: „Das alles hängt von unserer Bereitschaft ab, die Ärmel hochzukrempeln und die notwendigen Reformen anzugehen.“