Özdemir enttäuscht Wahlverhalten von Türken in Deutschland

Berlin (dpa) - Nach dem Sieg von Recep Tayyip Erdoğan bei der Stichwahl um das Präsidentenamt in der Türkei hat Bundesagrarminister Cem Özdemir das Wahlverhalten von Türken in Deutschland scharf kritisiert.

Ihn interessiere, was in Deutschland los sei, wo die Anhänger von Erdogan feierten, «ohne für die Folgen ihrer Wahl einstehen zu müssen», schrieb der Grünen-Politiker auf Twitter. Das müssten viele Menschen in der Türkei durch Armut und Unfreiheit. «Sie sind zurecht wütend. Darüber wird zu reden sein!» Özdemir selbst ist türkischer Herkunft, hat aber eigenen Angaben zufolge keinen türkischen Pass.

Bei der Stichwahl stimmte eine deutliche Mehrheit der Wahlberechtigten in Deutschland für Erdogan. Beim Stand von rund 95 Prozent der ausgezählten Wahlurnen aus Deutschland kam der Amtsinhaber bei dieser Gruppe laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu auf 67,4 Prozent der Stimmen.

Feiern in Berlin, Hamburg und Duisburg

Erdogan schnitt bei den Wählerinnen und Wählern in Deutschland somit erneut deutlich besser ab als insgesamt. In Deutschland waren rund 1,5 Millionen türkische Staatsbürger aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Rund 50 Prozent von ihnen stimmten ab.

Cem Özdemir ist von den Türken in Deutschland enttäuscht (Bild: REUTERS/Nadja Wohlleben)
Cem Özdemir ist von den Türken in Deutschland enttäuscht (Bild: REUTERS/Nadja Wohlleben)

Nach der Verkündung von Erdogans Sieg feierten seine Anhänger in einigen deutschen Städten mit spontanen Autokorsos und Aufmärschen. Gestern fuhren unter anderem in Berlin, Duisburg oder Hamburg hupende und mit Türkei-Fahnen geschmückte Autos durch die Straßen. Die Feiern blieben laut Polizei überwiegend friedlich. In Mannheim allerdings kam es zu Auseinandersetzungen. Polizisten wurden mit Gegenständen beworfen, Teilnehmer der Autokorsos gerieten mit Fußgängern aneinander. Verletzt wurde aber niemand.

Özdemir: «Übersehen geht nicht mehr»

Özdemir schrieb weiter, die Autokorsos in Deutschland seien keine Feiern harmloser Anhänger eines etwas autoritären Politikers. «Sie sind eine nicht zu überhörende Absage an unsere pluralistische Demokratie und Zeugnis unseres Scheiterns unter ihnen. Übersehen geht nicht mehr.»

Es tue ihm um die vielen, vor allem jungen und gut ausgebildeten Menschen in der Türkei leid, die jede Hoffnung verlören. Er fürchte, dass Ultranationalismus und Fundamentalismus sich nun noch stärker durch neue Imame aus Ankara hierzulande verbreiten würden.

Erdogan hatte gestern die Stichwahl gegen Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu für sich entschieden. Erdogan erhielt nach vorläufigen Ergebnissen der Wahlbehörde rund 52 Prozent der Stimmen, Kilicdaroglu rund 48 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 85 Prozent.