Überraschungen zum Prozessauftakt - Eine ominöse Krankenschwester wird zum Schlüssel im Schumacher-Prozess

Familie von Michael Schumacher erpresst - Anklage gegen drei Männer erhoben<span class="copyright">Fredrik von Erichsen/dpa</span>
Familie von Michael Schumacher erpresst - Anklage gegen drei Männer erhobenFredrik von Erichsen/dpa

Nach dem ersten Verhandlungstag gegen die mutmaßlichen Erpresser der Familie von Michael Schumacher waren alle ratlos: die Richterin, die Verteidiger, der Staatsanwalt. Einer der drei Angeklagten legte ein Geständnis ab. Doch es blieben zahlreiche offene Fragen. Und möglicherweise haben die Ermittler sogar eine Täterin übersehen.

Yilmaz T. trägt eine schwarze Adidas-Jacke mit drei Streifen und einen Oberlippenbart. Sein Kopf ist kahl rasiert. In Konstanz war der 53-jährige Wuppertaler Türsteher, er ist mehrfach vorbestraft und stand vor der mutmaßlichen Erpressung unter Bewährung. Im Zuschauerraum haben sich Leute versammelt, die, so sagten sie es dem FOCUS-online-Reporter vor der Verhandlung mit aggressivem Unterton, „heute mal zeigen wollen, wie es wirklich lief“.

Vor dem Gerichtssaal werden sie im Laufe des Verhandlungstages auf einen Zeugen einreden, der seine komplette 33-seitige Aussage gegen Yilmaz T. zurückziehen wird.

Yilmaz T. ist der Hauptverdächtige und sitzt als einziger der drei Angeklagten in Haft , in der Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Vohwinkel. Seine ersten Worte lassen auf ein schnelles Prozessende hoffen: „Zum großen Teil stimmt das schon“, was der Staatsanwalt da gerade in der Anklageschrift verlesen hat: Er wollte die Familie Schumacher mit Fotos, Videos, Krankenakten und Medikamentenlisten um 15 Millionen Euro erpressen.

Ein Erpresser, der sich als „Helfer“ sieht

Doch damit war es erst einmal vorbei mit der Rationalität im Saal EG16 des Amtsgerichtes Wuppertal. 1500 Fotos und 200 Videos soll T. laut Anklageschrift auf zwei Festplatten und in vier USB-Sticks besessen haben. Sie zeigen den strahlenden Ex-Weltmeister Michael Schumacher vor seinem Skiunfall am 29. Dezember 2013 und danach. Um es vorwegzunehmen: Eine der Festplatten ist verschwunden.

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Yilmaz T. erzählte dem Gericht, dass er der Familie haben „helfen“ wollen. Er wollte einen „Vertrag“ mit der Familie schließen, als er am 3. Juni 2024 zum ersten Mal im Michael Schumacher Office anrief und die Geschäftsführerin fragte, ob sie an dem „Bildmaterial“ interessiert sei. Er wollte gegen eine „Provision“ verhindern, dass die Bilder des schwerkranken Michael Schumacher im Darknet und damit „in falschen Händen landen“. Einen „Gefallen“ wollte er der Familie tun.

Frage der Richterin: Das Wort Erpressung kam ihm gar nicht in den Sinn? Nein, daran dachte er nicht. „Ich habe das so nicht gesehen. Es ist halt blöd gelaufen, was soll ich dazu sagen?“

Frage an seinen Anwalt Oliver Doelfs: Ist es möglich, derart an Realitätsverlust zu leiden? „Jeder hat eine Selbstwahrnehmung. Oft sieht man nur die guten Seiten bei sich selbst. Ich musste ihm erklären, dass es für die Erpressung keinen Unterschied macht, wie ich meine Forderung formuliere."“ Es sei viel Überzeugungsarbeit nötig gewesen, sagte Doelfs, bis sein Mandant im Gericht schließlich sagte: „Ich habe einen Fehler gemacht, ich habe Scheiße gebaut. Ich stehe dazu.“ Den Applaus, der an dieser Stelle von seinem Fanclub auf den Zuschauerbänken aufkam, unterbanden die Gerichtssprecherin und die Justizbeamten mit einem scharfen Ordnungsruf.

Wuppertal: Der Hauptangeklagte (hinten, links) spricht im Gerichtssaal mit seinem Verteidiger Oliver Doelfs (hinten, rechts), während vorne ein Angeklagter (M) mit seinem Verteidiger Hartmut Moyzio (vorne, rechts) spricht.<span class="copyright">dpa</span>
Wuppertal: Der Hauptangeklagte (hinten, links) spricht im Gerichtssaal mit seinem Verteidiger Oliver Doelfs (hinten, rechts), während vorne ein Angeklagter (M) mit seinem Verteidiger Hartmut Moyzio (vorne, rechts) spricht.dpa

 

Auftrag: Fotos und Videos digitalisieren

Rechts außen vor Yilmaz T. sitzt der zweite Angeklagte Markus F. aus Wülfrath. Er kommt lächelnd mit Hoodie und Rucksack in den Gerichtssaal. Die beiden Männer kennen sich schon „ewig“, sagt Yilmaz T., in Konstanz arbeiteten sie gemeinsam in der Diskothek Grey, Yilmaz als Türsteher, F. als Betriebsleiter. Fast neun Jahre stand Markus F. in Diensten der Familie Schumacher auf dessen Anwesen in der Schweiz, von 2012 bis 2021. Als Sicherheitsbediensteter, IT-Spezialist und „Mädchen für alles“, am Ende als selbstständiger Subunternehmer von Stefan E., der am Dienstag im Zeugenstand sagte, dass die Familie Schumacher mit den Diensten von F. nicht mehr zufrieden war.

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Markus F. hatte einen speziellen Auftrag: Er sollte die Fotos und Videokassetten der Familie Schumacher digitalisieren. Dazu gab es auf dem Schumacher-Anwesen offenbar einen Digitalisierungsraum. Diesen schauten sich jedoch weder die deutschen noch die schweizerischen Ermittler genau an: „Ich weiß nicht, wie dieser Raum aussah, ob dort ein Computer, ein Scanner, ein Videorekorder stand“, sagt T.`s Anwalt Doelfs. Eine Mitarbeiterin der Familie Schumacher sagte im Zeugenstand, dass auf keinen Fall Fotos das Anwesen verlassen durften.

Gleichzeitig sagt F.`s Anwalt Harald Benninghoven gegenüber FOCUS online, dass sein Mandant sich Dateien zur Digitalisierung mit auf sein Zimmer genommen hatte, das er außerhalb des Anwesens bewohnte, „um sie dort zu bearbeiten“. Was laut Zeugin der Familie Schumacher überhaupt nicht erlaubt war. Anwalt Doelfs kann nicht erklären, wie die Dateien angeblich in das private Zimmer von Markus F. gekommen sein sollen: „Das ist alles nicht Gegenstand der Ermittlungen gewesen. Dazu hat es ja auch Kritik an der Staatsanwaltschaft gegeben“, so Doelfs gegenüber FOCUS online.

Ein Angeklagter hat mit allem angeblich nichts zu tun

Als F. als Security-Mann der Schumacher-Familie gefeuert wurde und sein Zimmer räumen wollte, das ihm als Unterkunft von der Schumacher-Familie zur Verfügung gestellt worden war, waren die digitalisierten Fotos verschwunden, behauptete er in seiner Einlassung, die sein Anwalt vortrug. Er, Markus F., habe mit der gesamten Erpressung nichts zu tun. Er habe Yilmaz T. keine Bilder zur Verfügung gestellt, die dieser verkaufen sollte.

Diese Behauptung stellte den Prozess auf den Kopf. „Damit habe ich nicht gerechnet“, sagt Oliver Doelfs, „das höre ich so zum ersten Mal.“  Sein Mandant behauptet genau das Gegenteil: Markus F. habe sich mit ihm auf einen Kaffee getroffen und ihn gefragt, ob man aus den Dateien „etwas machen kann“. Die Antwort von Yilmaz T., die er im Gerichtssaal vortrug: „Da kann man bestimmt etwas machen“.

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Er habe daraufhin Käufer gesucht für die schwarze und blaue Festplatte und die vier USB-Sticks. An „einige tausend Euro“ dachte er zunächst. Zunächst habe er in der Konstanzer Szene nach „Interessenten“ gesucht. Dann kam ihm eine bessere Idee: Er wollte die Dateien direkt an der Quelle verkaufen, für viel größeres Geld: „Ich dachte zuerst an zehn Millionen, dann habe ich die 15 Millionen genommen“. Sein Zielobjekt: die Familie Schumacher.

„Ich habe dann die 15 Millionen genommen“

Das Geld wollte er aufteilen: zwischen ihm, F. und der ehemaligen Krankenschwester aus dem Hause Schumacher. Denn die sei ebenfalls entlassen worden. F. und sie hätten sich „gut verstanden“, hieß es mehrfach während der Verhandlung. Die Zeugin aus dem Hause Schumacher bestätigte die Kündigung der Krankenschwester: „Wir mussten sie entlassen. Wir haben da ein paar unschöne Dinge in der Pflege gesehen.“

Die Krankenschwester ist die große Unbekannte in dem Verfahren: Sie könnte die Dateien aus dem Anwesen gebracht haben. „Um gegen die Krankenschwester zu ermitteln, bräuchte die Staatsanwaltschaft die Hilfe der Schweizer Behörden“, sagt Oliver Doelfs. Er kritisierte den Informationsfluss aus der Schweiz: „Ich denke, die Schweizer Ermittlungsbehörden sind da wesentlich näher dran. Die könnten sagen, zeigt uns das Anwesen und das Zimmer, wo die Daten digitalisiert wurden. Und die könnten uns vielleicht auch etwas mehr zu dieser Krankenschwester sagen“, so Doelfs gegenüber FOCUS online.

Auf ein Rechtshilfeersuchen hat die Schweiz laut Doelfs bislang nicht reagiert. Eine Spur, bei der die Staatsanwaltschaft seiner Meinung nach nochmal nachhaken müsste. Auch Oberstaatsanwalt Daniel Müller räumte nach dem ersten Verhandlungstag ein: „Einiges habe ich heute zum ersten Mal gehört.“

Schumachers Krankenschwester ist große Unbekannte

Um das große Ding zu drehen, brauchte Yilmaz T. seinen Sohn: Er sollte ihm eine E-Mail-Adresse einrichten. Er selbst sei dazu technisch nicht in der Lage. Warum? Was hatte sein Vater vor? „Ich habe nicht nachgefragt“, sagte der wegen Beihilfe zur Erpressung angeklagte Sohn. „Er ist mein Vater. Er sagte nur, dass es um einen Promi ging und dass ich mir keinen Kopf machen brauche.“ Er richtete ihm die E-Mail-Adresse ein und verschickte „Probefotos“ an die Familie Schumacher. Die Mail war so eingerichtet, dass sie nicht zurückverfolgt werden kann. Warum diese Sicherheitsmaßnahme? Im Gerichtssaal kam heraus, dass sich Vater und Sohn gegenseitig nicht trauen.

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Die Fotos, die der Sohn an die Familie Schumacher weiterschickte, sind von höchster Brisanz. Sie gingen im Gerichtssaal zwischen den Verteidigern und der Staatsanwaltschaft herum. Sie zeigen Michael Schumacher nach dem Unfall: „Ich hätte sie nicht sehen müssen“, sagt Anwalt Oliver Doelfs.

Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert sagte dazu gegenüber FOCUS online vor Prozessbeginn: „Aus dem Bild- und Datenmaterial geht hervor, wie es Michael Schumacher geht. Die Daten lassen deutliche Rückschlüsse zu. Aber wir möchten dies nicht bekannt geben, da der persönliche Bereich von Michael Schumacher und seiner Familie betroffen ist.“

Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert sagt, dass im Michael-Schumacher-Prozess keine Fotos gezeigt werden.<span class="copyright">Frank Gerstenberg</span>
Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert sagt, dass im Michael-Schumacher-Prozess keine Fotos gezeigt werden.Frank Gerstenberg

Corinna Schumacher Nebenklägerin

Um zu verhindern, dass diese Fotos an die Öffentlichkeit kommen, tritt Corinna Schumacher als Nebenklägerin in dem Verfahren auf. Ihr Anwalt kann dadurch die Öffentlichkeit ausschließen lassen.

Der angeklagte Sohn hatte für seinen Vater auch eine Fake-Telefonnummer eingerichtet. Rund ein halbes Dutzend Erpressungsanrufe liefen ab dem 3. Juni 2024 angeblich aus Kassel, die Ermittler stellten aber fest, dass die Anrufe aus Wuppertal kamen. Am 19. Juni wurden Yilmaz T. und sein Sohn festgenommen, am 4. Juli 2024 Markus F.

Yilmaz T. erweckte in Körpersprache und jovialem Tonfall zeitweise vor Gericht den Eindruck, dass er davon ausgeht, bei einem kleineren Ladendiebstahl erwischt worden zu sein. Tatsächlich müssen die Angeklagten jedoch wegen versuchter Erpressung mit bis zu fünf Jahren Haft rechnen.  Und wenn sich im Laufe der Verhandlungen herausstellen sollte, dass die Sache noch größer ist, kann das Verfahren auch noch in einer höheren Instanz landen.

„Das ist immer eine Abwägungssache“, sagt Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert, „die hohe Erpressungssumme könnte auch den Gang zum Landgericht möglich machen.“

Zumal die Ermittlungen jetzt an vielen Stellen offenbar neu aufgenommen werden müssen, weil zahlreiche Fragen ungeklärt sind:

  • Wer ist die ominöse Krankenschwester? Was hat sie mit der ganzen Sache zu tun? Hat sie am Ende die Fotos aus dem Michael-Schumacher-Anwesen in Gland am Genfersee herausgebracht? In welcher Beziehung steht sie zu Markus F. und Yilmaz T.?

  • Wo hat Markus F. die Fotos und Videos der Familie Schumacher digitalisiert? Warum durfte er sie mit in seine Privatwohnung nehmen?

  • Wer sagt die Unwahrheit? Yilmaz T. oder Markus F.?

Und der möglicherweise wichtigste Punkt: Wo ist die zweite Festplatte mit den Fotos des schwerkranken Michael Schumacher? Wie der ermittelnde Kriminalhauptkommissar Jürgen R. im Zeugenstand aussagte, fehlt eine der beiden Festplatten: Die blaue Festplatte liege bei der Polizei, die schwarze sei jedoch verschwunden. Angeblich habe Yilmaz T. sie im Keller der Mutter seiner Lebensgefährtin versteckt. „Dort war sie aber nicht“, sagt Jürgen R.

Das ist besonders heikel. Denn es ist davon auszugehen, dass auf dieser Festplatte Daten in unbekannter Anzahl gespeichert sind, die Michael Schumacher nach seinem schweren Unfall als pflegebedürftigen Menschen zeigen. „Diese Daten können jetzt irgendwo rumgeistern oder im Müll liegen“, sagt Anwalt Oliver Doelfs.

Fünf Verhandlungstage sind angesetzt, am 23. Dezember wird die Verhandlung fortgesetzt. Das Medieninteresse besteht weltweit: „Ich habe Anfragen aus Japan und China bekommen“, sagt Oberstaatsanwalt Baumert. Auch Kollegen von der britischen Sun und vom Mirror saßen im Presseraum, in dem es nur 27 Plätze für Berichterstatter gab. Auch FOCUS online hat einen ergattert. Am 23. Dezember wird der Prozess fortgesetzt.