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“ISIS wird zurecht militärisch bekämpft“

Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. (Bild: dpa)
Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. (Bild: dpa)


Terror, Schwarz-Grün und Asylkompromiss: Im Exklusiv-Interview mit Yahoo Nachrichten spricht Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender von Bündnis90/Grüne im Bundestag, über aktuelle Themen. Und er sagt selbstbewusst: „Wenn junge Leute die Grünen wählen, kriegen sie eine Partei, die nicht nur für die nächsten zwei, drei Tage denkt, sondern auch die mittel- und langfristige Perspektive im Blick hat.“

Interview: Jan Rübel

Herr Hofreiter, seit bald einem Jahr stehen sie an der Fraktionsspitze der Grünen im Bundestag. Hat Sie der Stress verändert?

Er seufzt. Gießt sich ein Glas Wasser ein. Schweigt 22 Sekunden lang.
Anton Hofreiter: Wenn Sie neunzig Stunden in der Woche arbeiten, ist da auch Stress dabei.
 
Warum tut man sich das an?
Anton Hofreiter: Ganz einfach: Um die Welt ein wenig besser zu machen.
 
Gerade gibt es im Nahen Osten eine Menge besser zu machen. Einige westliche Staaten entscheiden sich für Krieg – gegen die Terrorgruppe „Islamischer Staat“. Die Grünen dagegen zeigen sich uneins gegenüber Waffenlieferungen an dessen Gegner. Was nun tun?
Anton Hofreiter: Wir haben als Fraktion die Waffenlieferungen abgelehnt, weil sie zur weiteren Destabilisierung beitragen können. ISIS wird zurecht militärisch bekämpft, aber Deutschland steht da nicht an erster Stelle.
 
Warum?
Anton Hofreiter: Die Region ist wesentlich von den USA destabilisiert worden – als sie 2003 in den Irak einmarschierten. Die USA hat hier somit eine ganz besondere Verantwortung.
 
Vielleicht sollten dies gerade andere Länder übernehmen, die nicht so viel verbrannte Erde hinterlassen haben wie die USA?
Anton Hofreiter: Solch eine Argumentation gilt insbesondere für politische Lösungen. Daher wäre es gut, wenn sich Deutschland als vernünftiger Moderator um politische Lösungen bemüht. Am Ende werden Kriege nämlich nicht von Militärs beendet.
 
Entschlossen wirkt Ihre Haltung nicht: Kämpfen ja, aber bitte nicht mit unseren Soldaten.
Anton Hofreiter: Die Bundesregierung hat einige gute Gründe, nicht an vorderster Front mitzukämpfen. Außerdem sollte man sich um ein UN-Mandat bemühen...
 
...worauf so mancher in der Geschichte lange warten musste...
Anton Hofreiter:  Das ist richtig. Aber dennoch darf man die Vereinten Nationen nicht außen vor lassen. Sonst wird das Völkerrecht immer weiter ausgehebelt. Die Herrschaft des Rechts ist eine zentrale Lehre aus den Kriegen des 20. Jahrhunderts.
 
Welche guten Gründe teilen Sie denn als Opposition mit der Bundesregierung, jetzt nicht die Bundeswehr zu entsenden?
Anton Hofreiter: Neben dem fehlenden UN-Mandat ist ein weiterer Grund, dass es bisher keine vernünftige politische Strategie gibt. Und das Problem ist nur lösbar, wenn die Regionalmächte überzeugt werden, gemeinsam diesen Krieg gegen ISIS zu beenden. In Syrien nämlich betreiben Saudi-Arabien und Iran Stellvertreterkriege. Das kann nicht gut gehen – und das muss endlich durchdringen.
 
Etwas anderes dringt gerade kaum durch: Das sind die Grünen in Deutschland. Warum?
Anton Hofreiter: Da muss ich Sie korrigieren. Bei bestimmten Themen dringen wir durchaus stark durch…
 
...zum Beispiel mit dem Veggie-Day...
Anton Hofreiter: Da ist sehr lange her. Eine große Koalition, wie wir sie in Deutschland haben, frisst halt eine große Portion der Aufmerksamkeit. Da hat man es als Opposition schwer. Wir setzen verstärkt auf Bürgerrechts- und Ökothemen. Das kommt bei den Menschen gut an, wie die Wahlergebnisse der vergangenen Wahlen zeigen. Wir sind in allen Landtagen und im Bundestag vertreten, bei den Europawahlen waren wir zweistellig.
 
Man könnte das auch eine Substanzverwaltung nennen.
Anton Hofreiter: Nach der schrecklichen Reaktor-Katastrophe von Fukushima in Japan haben die Grünen als die wahre Anti-Atom-Partei starke Stimmenzuwächse und Zulauf erhalten. Da ist es ein Erfolg, wenn uns eine Konsolidierung gelingt.
 
Vor genau einem Jahr war die Bundestagswahl – mit einem mageren Ergebnis für die Grünen. Und die Partei kommt nicht aus dem Saft. Wollen Sie einfach so weitermachen?
Anton Hofreiter: Es hat sich eine Menge verändert. Wir haben einen Generationswechsel bei der Führung geschafft, komplizierte Wahlen bestanden und uns inhaltlich neu aufgestellt – mit einer deutlichen Stärkung des Freiheitsbegriffs für Jeden und Jede in Deutschland.
 
An der Spitze stehen nun mit Ihnen insgesamt vier Leute. Meinen Sie, dass diese Viererbande irgendwann Erfolg haben wird? Momentan wird das als solches nicht wahrgenommen.
Anton Hofreiter: Manches wird anders wahrgenommen als es wirklich ist. Aber das wichtigste bleibt: Wir haben die Wahlen zusammen gut gemeistert und sind inhaltlich weiter gekommen.
 
Man wird den Eindruck nicht los, dass es da an der Grünen-Spitze Tendenzen von Selbst-Zerfleischung gibt.
Anton Hofreiter: In solchen Konstellationen scheppert es immer mal wieder. Das ist normal. Doch ich kann sie beruhigen: Die Zusammenarbeit ist gut.
 
Stimmt. Aber scheppern sollte man mehr nach außen als nach innen.
Anton Hofreiter: Bei einer lebendigen demokratischen Partei scheppert es halt auch nach innen.
 
Wer ist der Oppositionschef im Bundestag?
Anton Hofreiter: Das hängt davon ab, wen Sie fragen. Inhaltlich sind das Katrin Göring-Eckardt und ich. Nominell ist das Gregor Gysi von den Linken, weil seine Fraktion einen Abgeordneten mehr hat.
 
Warum wird Herr Gysi allgemein als Oppositionschef wahrgenommen, und nicht Sie beide?
Anton Hofreiter: Darüber kann man streiten. Bei der Debatte über Waffenlieferungen zum Beispiel haben wir gezeigt, dass dies ein ernsthaftes Thema ist. Die Linke hat nur pauschal polemisiert.
 
Mit Oppositionsführerschaft verbindet man oft Charisma, Polemik und eine Spur Populismus. Bei Herrn Gysi ist das vorhanden, bei Ihnen weniger. Ein Manko?
Anton Hofreiter: Ich glaube, dass die Bevölkerung keinen Bock auf populistische, sie im Kern nicht ernst nehmende Politik hat. Die Leute wollen sachliche und vernünftige Lösungen und weder Geschrei noch Durcheinander.
 
Durcheinander ging es bei den Grünen am Wochenende: Einige verhalfen der Bundesregierung zu einem Asyl-Kompromiss, viele andere lehnten ihn ab. Warum feiert die Partei nicht die Verbesserungen für viele Flüchtlinge als eigenen Erfolg? Das ist doch Ihr Verdienst – oder?
Anton Hofreiter: Wir sind an sieben Länderregierungen beteiligt. Die mussten im Bundesrat darüber abstimmen; die Gesetzesinitiative des Bundestags war zustimmungspflichtig. Fünf enthielten sich, eine stimmte dagegen, eine dafür. Da ist die Botschaft nicht einheitlich. Und da sollte man auch nicht so tun, als wäre sie es. Das wäre unehrlich.
 
Wenn die Grünen diese Asylrechtsreform im Bundestag gekippt hätten: Wie hätten sie dies einem Asylbewerber erklärt? Der freut sich doch nun über die Aufhebung der Residenzpflicht und des Arbeitsverbots.
Anton Hofreiter: Wir wollten ein vernünftiges Vermittlungsverfahren erreichen – wenn sich Bundestag und Bundesrat eben nicht geeinigt hätten. Da hätten wir dann noch viel mehr Verbesserungen für die Menschen herausholen können: Dass sie zum Beispiel auch zeitnah arbeiten können und nicht erst nach 15 Monaten. Stellen Sie sich doch mal vor, man bietet Ihnen einen Arbeitsplatz an, und Sie sagen: ‚Gern, aber ich darf erst in 15 Monaten anfangen, das Gesetz schreibt das vor.’ Welcher Chef nimmt Sie dann?
 
Welche Verbesserungen für die Flüchtlinge streben Sie jetzt an?
Anton Hofreiter: Wir wollen zum Beispiel eine bessere Gesundheitsversorgung. Derzeit gibt es nur eine Notfallversorgung, die unmenschlich ist. Die Menschen sollten rechtzeitig behandelt werden, und nicht erst, wenn sie schwerste Schmerzen leiden oder kurz vorm Tod stehen.
 
Früher waren die Grünen bei den Jugendlichen einsame Spitze. Das ist jetzt vorbei. Warum?
Anton Hofreiter: Ist dem nicht mehr so?
 
Die Werte sind nicht mehr so gut.
Anton Hofreiter: Wenn wir Wahlergebnisse wie bei den Jugendlichen hätten, wäre das sehr schön.
 
Traditionell sind die Grünen in ihrer Geschichte von der Jugend getragen worden. Man fragt sich, ob das heute noch so ist.
Anton Hofreiter: Noch immer schneiden wir bei den Jugendlichen extrem gut ab. Darum bemühen wir uns konstant – und unsere Jugendorganisation „Grüne Jugend“ ist sehr lebendig, vermeldet stete Mitgliederzuwächse. Überhaupt sind wir die einzige Partei im Bundestag mit Mitgliederzuwächsen.
 
Warum sollten junge Leute die Grünen wählen?
Anton Hofreiter: Sollten? Wenn junge Leute die Grünen wählen, kriegen sie eine Partei, die nicht nur für die nächsten zwei, drei Tage denkt, sondern auch die mittel- und langfristige Perspektive im Blick hat. Wir wollen unsere Lebensgrundlagen erhalten und den Jugendlichen keinen total zerstörten Planeten hinterlassen, der ihre Lebenschancen radikal einschränkt.
 
Megathema für junge Leute ist das Internet. Keine Partei hat da Antworten und Strategien, auch die Grünen nicht. Warum?
Anton Hofreiter: Das sehe ich anders. Wir haben durchaus klare Vorstellungen, dass die Bürgerrechte, welche in der analogen Welt als selbstverständlich gelten, auch im Internet genauso Bestand haben sollten. Und was den Ausbau angeht: Wir fordern seit Jahren eine Grundversorgung durch einen Universaldienst, es darf keine weißen Flecken mehr geben. Glaserfaserausbau und Technologiemix müssen vorangetrieben werden. Drittens sind wir gegen eine Zerfaserung des Internets: in eines von Facebook, von Google oder Apple. Das Internet muss als offenes Netz erhalten bleiben.
 
Ein mögliches Mittel wäre der Ausbau des freien Internets. Warum wird da nicht endlich mal gebolzt?
Anton Hofreiter: Dafür bräuchte man erst einmal eine vernünftige Regelung der sogenannten Störer-Haftung. Dann wäre es viel leichter, freies W-LAN anzubieten. Seit Jahren eiert die Bundesregierung da herum. Wir Grünen fordern, die Störer-Haftung nicht nur für gewerbliche Anbieter aufzuheben, sondern auch bei privater Nutzung.
 
Worüber Jugendliche im letzten Bundestagswahlkampf eher gequält gelächelt haben, war die Parole des so genannten Veggie-Days. Wird es das mit Ihnen noch mal geben?
Anton Hofreiter: Die Reaktion auf den Veggie Day war total übertrieben: Der Gedanke war, dass es in Kantinen einmal in der Woche fleischloses Essen gibt. Das ist zwar nicht der Weltuntergang, doch hilft es auch nicht viel. Wir haben den Veggie-Day aber schon lange beerdigt.
 
Im Wahlkampf war das eine offene Flanke.
Anton Hofreiter: Es war eine Flanke für Leute, die uns schwächen wollten.
 
Bleibt Rot-Rot-Grün wirklich Ihr Ziel? Man will ja Regierungsverantwortung übernehmen – könnten Sie auch Schwarz-Grün?
Anton Hofreiter: Wir wollen schlichtweg die Verhältnisse im Land hin zum Besseren verändern. Das kann man aus der Opposition und der Regierung heraus. Regieren werden wir, wenn der Wähler für ein entsprechendes Ergebnis sorgt und man inhaltlich mit dem Koalitionspartner zusammen kommt. In Sachsen sind die Verhandlungen mit der CDU gescheitert, weil die Union mit der unglückseligen Braunkohleverstromung weitermachen wollte. In Hessen rang sich die CDU zu vernünftigeren Inhalten durch – und so koalieren wir miteinander. Regieren ist ja kein Selbstzweck.
 
Worüber in der Jugend auch immer mehr diskutiert wird: Wirtschaft und Finanzen. Hat Angela Merkel da in Europa alles richtig gemacht?
Anton Hofreiter: Die Finanzkrise wurde von Banken ausgelöst. Doch wie sie gemanagt wurde, hat sie in vielen Regionen zu einer Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 50 Prozent geführt. Da kann man ja nicht davon sprechen, dass Frau Merkel alles richtig gemacht worden hat.
 
Andererseits haben Griechenland, Spanien, Portugal und Irland große Fortschritte wegen dieser rigorosen Sparpolitik gemacht.
Anton Hofreiter: Stimmt das überhaupt? Diese Länder stecken tief in einer Rezession, die Jugendarbeitslosigkeit ist extrem hoch. Eine vernünftige Politik stürzt nicht eine ganze Generation ins Elend.
 
Wenn Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) also von Fortschritten spricht, malt er die Wirklichkeit rosarot?
Anton Hofreiter: Er malt die Gegenwart dieser Menschen rosarot. Wenn 50 Prozent aller Jugendlichen arbeitslos sind, kann man doch nicht von einer guten Situation sprechen.
 
Strukturelle Fortschritte in diesen Ländern sehen Sie nicht?
Anton Hofreiter: Es gibt Fortschritte in den Haushalten, aber das heißt noch lange nicht, dass die Situation für die Menschen besser ist. Man macht keine Politik für Strukturen, sondern für Menschen. Am Ende stellt sich doch die Frage: Haben die jungen Menschen eine Chance auf ein vernünftiges und erfülltes Leben oder gibt es in Europa eine verlorene Generation?