15 Jahre Haft für Angeklagten nach Sechsfachmord in Rot am See

Der Angeklagte wird vor der Urteilsverkündung an seinen Platz geführt (Bild: Marijan Murat/dpa)
Der Angeklagte wird vor der Urteilsverkündung an seinen Platz geführt (Bild: Marijan Murat/dpa)

Er sah seine Mutter als Monstrum und wollte sie und ihre “Brut” töten: Im Prozess um den Sechsfachmord von Rot am See offenbart ein 27-Jähriger seine dunkle Gedankenwelt. Er kommt für lange Zeit in Haft.

Es begann wie ein gewöhnliches Familientreffen im beschaulichen Rot am See bei Schwäbisch Hall. Mehrere Generationen kommen am 24. Januar in einem alten Sandsteinhaus in der Bahnhofstraße zusammen, weil die Großmutter gestorben ist. Eltern, Geschwister, Onkel und Tanten - sie trinken Kaffee, tauschen sich aus, gehen spazieren. Dann wollen sie zur Trauerfeier fahren. Aber die Mutter stört sich an der Jackenwahl des Vaters. Gemeinsam steigen sie die Treppe hoch ins Obergeschoss, um eine andere zu holen. Es werden ihre letzten Schritte sein.

Keiner in dem Haus ahnt zu diesem Zeitpunkt Böses. Keine zehn Minuten später sind sechs Menschen tot, zwei schwer verletzt. Um 12.48 Uhr geht bei der Polizei ein Notruf ein. Ein Mann erklärt mit gefasster Stimme, dass er die “blutrünstigen Monster” erschossen habe.

Die Gewalttat reißt das Örtchen Rot am See aus dem Alltag und sorgt bundesweit für Aufsehen. Am Freitag wird der Schütze wegen sechsfachen Mordes und zweifachen versuchten Mordes verurteilt.

Gericht sieht “unbedingten Vernichtungswillen”

Das Gericht verhängt eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren - ein verkürzter Strafrahmen, weil das Gericht den Täter als vermindert schuldfähig betrachtet. Der Richter spricht von einem Zustand der Raserei und einem “unbedingten Vernichtungswillen”.

Wie aus dem Nichts springt der 27 Jahre alte Sohn an jenem Tag hinter einer Tür hervor und eröffnet das Feuer. Auf seinen Vater, auf die Mutter, auf Halbgeschwister, Onkel, Tante - im Rausch geht er auf seine ganze Familie los. Er feuert 30 Schüsse ab und wechselt zwei Magazine. Opfern, die bereits verletzt am Boden liegen, schießt er in den Kopf. Zwei Angehörige können sich schwer verletzt retten. Das Mündungsfeuer habe ständig geblitzt, wird ein Opfer später erzählen.

Einsatzfahrzeuge der Polizei am Tatort (Bild: Reuters/Ralph Orlowski)
Einsatzfahrzeuge der Polizei am Tatort (Bild: Reuters/Ralph Orlowski)

In sechs Verhandlungstagen wird versucht, die Hintergründe der Tat aufzuklären. Keine leichte Aufgabe, auch wenn der Angeklagte gleich zu Prozessbeginn alles gesteht. Er war demnach besessen vom Hass auf seine Mutter. In einem Abschiedsbrief schreibt er: “Ich wusste, dass Ich ‘Es’ töten würde.” Er müsse das “Monstrum”, seine “Brut” und seine “Sklaven” zur Hölle schicken. “Jede einzelne Sekunde meines Lebens war eine Höllenqual, in den Fängen dieses Dämons.” Die Mutter habe sein Leben zerstört, ihn mit weiblichen Hormonen vergiftet, ihn misshandelt, behauptet er. Beweisen kann er das alles nicht.

Die Zeugen hingegen berichten von einem computersüchtigen Studienabbrecher, einem Eigenbrötler, der die Schule schwänzt und das Studium schmeißt, sich sozial isoliert, in seinem Zimmer versteckt. Die Familie habe sich fürsorglich um ihn gekümmert, auch die Mutter.

Die ganz normale Familie von nebenan? Wie kann so etwas passieren?

Ein Gutachter stellt Wahnvorstellungen und eine krankhafte seelische Störung bei dem Angeklagten fest. Für die Nebenkläger allerdings stecken nicht Wahn, sondern Kaltblütigkeit und Kalkül hinter der Tat. Der Angeklagte ist für sie voll schuldfähig. Auch, weil er den Angriff lange im Voraus und minutiös geplant hat. Er holt sich keine Hilfe, sondern tritt dem Schützenverein bei, hört Telefonate seiner Eltern ab, besorgt sich eine Pistole - und 350 Stück Munition.

Seltene Einigkeit vor Gericht

Es kommt selten vor, dass sich die Parteien im Gerichtssaal bei ihren Plädoyers so einig sind. Nicht nur Staatsanwalt und Nebenkläger, auch die Verteidigung betrachtet die Gewalttat von Rot am See als Mord. Am Ende steht eine Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren. Der Schütze habe heimtückisch gemordet, befindet der Richter. Aber eine solche Tat sei nur zu erklären als die “Tat eines psychisch schwer gestörten Täters, der teils besessen gewesen ist”, so der Richter.

Zum Prozessende entschuldigt sich der Angeklagte für die Tat. Niemand müsse mehr Angst vor ihm haben, sagt er. Am liebsten wolle er die Zeit zurückdrehen. Bei der Urteilsverkündung dann schaut der 27-Jährige regungslos vor sich auf den Tisch, seine Schultern sind eingefallen, sein Blick ist leer. Mit klirrenden Fußfesseln wird er aus dem Saal geführt. Er werde erst aus der Psychiatrie entlassen, wenn er keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit sei, sagt der Richter.

Eine Anwältin der Nebenkläger spricht am Ende von der “Unerträglichkeit, an sechs Gräbern stehen zu müssen - und keinerlei Grund für diese sechs Gräber zu haben”.

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