165 Jahre alte Tradition - Skandinaviens Kinder sind glücklich, weil Eltern auf „Friluftsliv“ setzen
Menschen aus skandinavischen Ländern gelten als besonders glücklich. Das fängt schon bei den Kindern an. Ein Grund dafür könnte die Art ihrer Erziehungsmethode sein. Die alte Tradition des „Friluftsliv“ spielt dabei eine wichtige Rolle.
Wenn es um das Thema Glück geht, stehen die skandinavischen Länder mit zuverlässiger Regelmäßigkeit an der Spitze: Zum siebten Mal in Folge ist Finnland 2024 auf Platz eins des World Happiness Report gelandet, erneut gefolgt von Dänemark und Island. Mit Schweden auf Platz 4 und Norwegen auf Platz sieben sind fast alle Länder Skandinaviens ganz oben dabei.
Über die Gründe für das Glücksempfinden der Nordländer wird viel spekuliert. Immer wieder taucht dabei auch die Frage auf, in welchem Zusammenhang die Zufriedenheit der Bevölkerung und ihr Umgang mit Kindern stehen.
Tatsächlich könnte die Kindererziehung ein Glücksfaktor sein, denn glückliche Kinder wachsen zu glücklichen Erwachsenen heran, die wiederum selbst glückliche Kinder großziehen und so weiter.
Skandinavier vertrauen auf Leben unter freiem Himmel
Eine zentrale Rolle in der Identität und Einstellung der Skandinavier nimmt „Friluftsliv“ ein. Ein 165 Jahre alter Begriff, der als „Leben unter freiem Himmel“ übersetzt werden kann. Der Ausdruck wurde durch den Dramatiker Henrik Ibsen in seinem Gedicht „Auf den Höhen“ von 1859 geprägt, obwohl das Konzept noch viel älter ist. Ibsen verwendete es, um eine spirituelle Verbindung mit der Natur zu vermitteln und zu beschreiben, wie wertvoll es für das geistige und körperliche Wohlbefinden ist, Zeit an entlegenen Orten in der Natur zu verbringen.
Für moderne Skandinavier bedeutet es die Teilnahme an Outdoor-Aktivitäten, aber auch den Stressabbau in der Natur und das Teilen einer gemeinsamen Kultur. „Friluftsliv“ ist also keine spezifische Tätigkeit, sondern umfasst alles, was man in der Natur so machen kann.
Und weil „Friluftsliv“ so tief in der skandinavischen Kultur verankert ist, wachsen auch Kinder ganz selbstverständlich damit auf.
„Friluftsliv“ als selbstverständlicher Teil der Kindheit
In den Nordländern ist es zum Beispiel völlig normal, dass Babys tagsüber in ihren Kinderwagen draußen schlafen, damit sie viel frische Luft bekommen – auch im tiefsten Winter.
In vielen Kindergärten verbringen die Kinder 80 Prozent ihrer Zeit im Freien. Waldschulen sind weit verbreitet. Und auch in anderen Schulen gibt es über das Jahr verteilt immer wieder Tage, an denen die Kinder in die Natur gehen und am Lagerfeuer essen.
Skandinavische Eltern halten es für selbstverständlich, dass ihre Kinder viel Zeit im Freien verbringen. Matschige Stiefel, schwarze Fingernägel und aufgeschlagene Knie werden als sicheres Zeichen interpretiert, dass ein Kind einen wertvollen Tag erlebt hat.
Im Sommer laufen viele Kinder ganz selbstverständlich barfuß oder sogar vollkommen nackt herum. Im Winter werden Kinder in entsprechender Kleidung bei jedem Wetter nach draußen geschickt.
Die Bedeutung des freien Spiels
Ein entscheidender Unterschied zu anderen Kulturen ist hierbei nicht nur die viele Zeit, die Kinder in der Natur verbringen, sondern auch, dass sie dies häufig frei von äußerem Eingreifen, Bewerten und Kontrollieren durch Erwachsene tun dürfen. Denn jede Bewertung, jedes unnötige Eingreifen von außen kann den Spielfluss behindern und den Kindern die Möglichkeit nehmen, selbst Lösungen für Probleme zu finden.
In ihrem Buch „Warum dänische Kinder glücklicher und ausgeglichener sind“ beschreiben die Autorinnen Jessica Joelle Alexander und Iben Dissing Sandahl, dass dänische Eltern ihren Kindern viele Freiräume einräumen, ihnen ein hohes Maß an Vertrauen entgegenbringen, ihnen erlauben, Probleme aus eigener Kraft zu lösen und Hindernisse eigenständig zu überwinden.
Daher seien dänische Kinder mehr als andere mit sich selbst im Reinen, folgten selbstgesteckten Zielen, könnten besser mit Stress und Belastungen umgehen und seien resilienter.
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Die Natur bietet dafür die perfekten Voraussetzungen. Sie lädt die Kinder zum Gestalten ein, zwingt sie, kreativ zu werden, stimuliert all ihre Sinne und stellt sie dabei nicht selten vor Hindernisse. Studien haben gezeigt, dass Zeit in der Natur die Kooperationsfähigkeit verbessern kann, Stress reduziert, die Konzentrationsfähigkeit erhöht und sogar zu einer besseren Bindungsfähigkeit führen kann.
„Friluftsliv“ ist also etwas, von dem wir deutschen Eltern auch lernen könnten. Doch wie lässt es sich in den Familienalltag integrieren?
1. Das eigene Bewegungsverhalten hinterfragen
Um mehr Zeit an der frischen Luft zu verbringen, könnten wir uns fragen, ob wir den Weg zum Kindergarten oder zur Schule nicht vielleicht zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen können. So bekommen die Kinder gleichzeitig mehr Bewegung und verbringen Zeit im Freien.
Wenn das nicht möglich ist, können wir einen kleinen Spaziergang am Abend einplanen und die Zeit nutzen, um mit unseren Kindern ins Gespräch zu kommen.
2. Einen Draußen-Rhythmus etablieren
Wer nicht viel Zeit in der Natur verbringt, kann versuchen, die Draußen-Zeit einzuplanen – vielleicht sogar im Familienkalender. Dabei kann es hilfreich sein, zu überlegen, welche Tätigkeiten sich einfach ins Freie verlegen lassen. So kann zum Beispiel das Abendessen zu einem Picknick in der Natur werden.
3. Nicht zu viel organisieren
Wenn wir mit unseren Kindern Zeit in der Natur verbringen wollen, braucht es dafür keine gut geplante Wandertour. Es reicht schon, einfach gemeinsam in den Wald zu gehen und die Kinder selbst ihre Umgebung erkunden zu lassen. Das freie unbeabsichtigte Spiel ist von unschätzbarem Wert für die Entwicklung der Kleinen.
4. Akzeptieren, dass die Natur nicht nur bei Sonnenschein schön ist
Das Wetter hält uns allzu oft davon ab, unsere Zeit im Freien zu verbringen. Das ist zwar verständlich, aber auch schade, denn gerade Kinder können auch Regen oder Schnee durchaus etwas abgewinnen. Hier kommt es auf die richtige Kleidung und die eigene Entschlossenheit an.