2,7 Millionen Euro gegen Fake News: Osavul-Mitgründer Dmytro Bilash im Interview

2,7 Millionen Euro gegen Fake News: Osavul-Mitgründer Dmytro Bilash im Interview

Es ist die größte Investition in eine Firma, die Desinformation entlarvt in Europa: 3 Millionen Dollar (2,78 Millionen Euro) erhält das ukrainische Projekt ‘Osavul’. In seiner Pressemitteilung stellt 'Osavul' seine drei europäischen Investoren vor: 42CAP, ein deutsches Risikokapitalunternehmen; u.ventures, ein von der US-Regierung unterstützer Fonds, Mitfinanzierer von ukrainischen und moldauischen Projekten; und der SMRK-Risikofonds, der schon vergangenes Jahr beim Fundraising geholfen hat.

Der ‘Osavul’-Mitgründer Dmytro Bilash hatte nie vor, im Bereich Sicherheit oder in dieser Richtung zu arbeiten. Er sagt selbst er kommt aus der Business-Welt, er hat Daten von Firmen analysiert, um Werbung zu machen. Im Jahr 2022 kam alles anders: Russland startet seinen flächendeckenden Angriffskrieg gegen die Ukraine und das hat alles verändert. Bilashs Wohnung in Kiew wurde von zwei russischen Raketen zerstört.

Kiew am 24. Februar 2022: Am Anfang der Vollinvasion wurde auch Dmytro Bilashs Wohung zerstört.
Kiew am 24. Februar 2022: Am Anfang der Vollinvasion wurde auch Dmytro Bilashs Wohung zerstört. - Emilio Morenatti/Copyright 2024 The AP. All rights reserved

Er musste handeln, er wollte helfen. Mit einer Anfrage zur Unterstützung aus der ukrainischen Regierung startete  ‘Osavul’ – eine Medien-Intelligenz-Organisation, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) Desinformation entlarvt und bekämpft.

Was 2022 als kleines Projekt startete und später durch Crowdfunding und Spenden finanziert wurde, ist mittlerweile an EU-finanzierten und NATO-Projekten beteiligt und zieht Millionen an Fördermitteln an. Der Hauptsitz von ‘Osavul’ ist mittlerweile in Delaware, in den USA. 28 Spezialisten in der ganzen Welt arbeiten für ‘Osavul’ und über 500 Analysten weltweit nutzen deren Daten.

Dmytro Bilash, der Mitgründer von ‘Osavul’ spricht mit Euronews über russische Desinformation, warum sie in Deutschland so gut ankommt und gibt Tipps, wie jede:r ganz einfach Fake News entlarven kann.

Euronews: Warum haben Sie mit Osavul angefangen?

Bilash: Wir wollten helfen, die Invasion hat das Leben aller Ukrainer verändert. Wir haben unsere Expertise als Analysten angeboten und schließlich wurden wir von Leuten der Regierung angefragt. Denn das Problem der Desinformation ist so massiv, keine private Firma weder aus Europa, noch aus den USA konnte mit dieser Masse von Falschinformationen umgehen. Das Ausmaß war vor der Vollinvasion einfach viel kleiner. Also haben wir versucht, etwas zu entwickeln, das mit dieser modernen, neuen Gefahr der Desinformation umgehen kann.

Ich habe vorher in Werbung gearbeitet, das war nicht sinnvoll, ich wollte etwas mit Sinn machen, etwas das notwendig ist.

Euronews: Wie sind Sie von der Werbung zur Analyse von Desinformation gekommen?

Bilash: Ja, das war das Problem, es gab keine ideale Lösung. Wir wussten, wie man Daten, öffentlich zugängliche Daten analysiert und haben mit dem Wissen etwas entwickelt – und mittlerweile ist es eine ziemlich ausgebildete Technologie.

Euronews: Wie arbeiten Sie jetzt? Wie läuft so eine Analyse ab?

Bilash: Da gibt es einige Schritte, zu berücksichtigen. Wir sammeln die Daten, von Webseiten, von öffentlich zugänglichen Quellen, das sind über 10 Millionen Nachrichten am Tag. Unsere KI analysiert diese Daten, um wichtige Narrative, diskutierte Themen und von Medien,  Unternehmen oder  politischen Organisationen  geäußerte Meinungen zu identifizieren.

Wir müssen verstehen: Wer verbreitet diese Falschinformationen?

Wenn Russland beispielsweise eine Kampagne in einem europäischen Land startet, um Wahlen zu beeinflussen oder mit wirtschaftlichen Themen Uneinigkeit in Europa zu schaffen, können wir dies erkennen und die spezifischen Narrative hervorheben, die bei diesen Angriffen verwendet werden.

Dafür nutzen wir drei Arten von Tools: Öffentlich zugängliche, kommerzielle, die man einkauft und unsere eigenen Tools.

Wenn das KI-Modell die Hauptideen und die Falschnachrichten rausgefiltert wurden, müssen wir verstehen: Wer verbreitet diese Falschinformationen? Sind es öffentliche Institutionen, Propaganda-Kanäle oder Webseiten, die solche Informationen verbreiten? Und welche Auswirkungen hat das? Also bleibt die Falschnachricht in einem Kanal oder wird sie weiter verbreitet, entsteht eine größere Echokammer.

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Wir sammeln all diese Informationen und stellen sie Entscheidungsträgern bereit. Was wir letztendlich tun: Wir wollen den Entscheidungsträgern, den Gesetzgebern, Sicherheitseinrichtungen die Informationen bereit stellen, damit sie schließlich aktiv werden können. Wenn gegen Gesetze verstoßen wird, damit sie dagegen vorgehen können.

Euronews: Können Sie ein Beispiel geben, was gerade Hauptnarrative bei russischer Desinformation sind?

Bilash: Wichtig ist zu verstehen, dass Desinformationsmuster sehr von der Kultur und von den Orten abhängen, wo sie verbreitet werden. Das heißt die Muster werden angepasst. Sie hängen also von der Gruppe ab, die adressiert werden soll: Sind es junge Menschen, eher rechtsgerichtete oder linksgerichtete, russischsprachige oder deutschsprachige?

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In Deutschland ist eins der Hauptnarrative von russischer Desinformation: Die deutsche Wirtschaft wird schwächer.

Russlands Ziel mit seiner Desinformation in Deutschland ist schließlich, die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen.

Ein Beispiel: Eine Möbelfirma geht bankrott – es ist egal, ob es sie gibt oder nicht, es muss nur echt wirken. Oft werden in Deutschland auch echte Nachrichten in falsche Kontexte gebracht, um zu zeigen: Die deutsche Wirtschaft, der deutsche Staat ist schwach.

Russlands Ziel mit seiner Desinformation in Deutschland ist schließlich, die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen.

Euronews: Warum ist Deutschland ein beliebtes Ziel für russische Desinformationskampagnen?

Bilash: Ich sehe mehrere Gründe dafür: Erstens ist Deutschland ein wichtiges Land, es ist die größte Volkswirtschaft Europas – das ist der offensichtliche Grund. Die große russischsprachige Gemeinschaft in Deutschland macht es für Russland einfacher, ist aber nicht unbedingt notwendig. Ein Grund ist außerdem, dass Telegram als Messaging-Dienst in Deutschland viel verbreiteter ist als in anderen westeuropäischen Ländern. Viel Desinformation wird über X, TikTok und eben Telegram verbreitet – diese Medien sind weniger stark kontrolliert, alles von Meta (Facebook, Instagram, Whatsapp). Außerdem kann Russland Strukturen nutzen, die vor dem Krieg durch die starke Verbindung zwischen Russland und Deutschland aufgebaut wurden.

Außerdem: Je größer die Meinungsfreiheit in einer Kultur geschätzt wird, desto mehr Nährboden gibt es für Desinformation.

Wenn ein Beitrag, ein Video ein sehr sehr starkes Gefühl in mir auslöst, dann werde ich wachsam und frage mich: Warum?

Euronews: Wie können normale Menschen, die Allgemeinbürger, Desinformationen einfach erkennen?

Bilash: Wenn ich auf Social Media etwas sehe, dann versuche ich meine Gefühle zu verstehen: Wenn ein Beitrag, ein Video ein sehr sehr starkes Gefühl in mir auslöst, dann werde ich wachsam und frage mich: Warum? Das erste Warnsignal bei Fake News ist also: Starke Gefühle werden ausgelöst. Das zweite ist: Der Absender, die Quelle. Also woher habe ich die Information bekommen? Von einem Freund, dem ich vertraue oder ist die Informationen von einem willkürlichen X-Account, der üblicherweise Katzen- und Hundevideos postet und plötzlich eine starke politische Meinung teilt. Manchmal reicht so etwas schon, um zu verstehen, dass etwas nicht voll vertrauenswürdig ist.

Und natürlich steigt durch die Desinformation der Wert von gutem Journalismus, damit es einfach ist, Desinformation zu entlarven und zu überprüfen.

Euronews: Gibt es russische Desinformationsnarrative, die explizit in der Ukraine eher verbreitet werden?

Bilash: In der Ukraine selbst ist die Lage etwas anders als in Europa oder im Rest der Welt, weil die Menschen generell viel aufmerksamer geworden sind.

Oft sind die Strategien hier sehr eng an militärische Ereignisse geknüpft. Das heißt Russland macht „Eroberungen“ und militärische Siege viel größer als sie sind, es bauscht sie auf. Z. B. wenn ein Dorf an der Front unter russische Kontrolle gebracht wurde, gibt es das vielleicht gar nicht mehr oder es leben keine Menschen mehr dort, aber in der russischen Propaganda wird als großer Sieg für die russische Armee gefeiert. Das Ziel solcher Kampagnen ist, das Einheitsgefühl der Ukrainer zu stören – sowohl in der Ukraine als auch außerhalb. Um die gegenseitige Unterstützung untereinander zu schwächen und destabilisieren.

Die zerstörte Geburtenklinik in Mariupol, März 2022.
Die zerstörte Geburtenklinik in Mariupol, März 2022. - Evgeniy Maloletka/Copyright 2022 The AP. All rights reserved

Euronews: Gibt es eine häufige Strategie, die Russland für seine Desinformationskampagnen nutzt?

Bilash: Wenn in russischer Propaganda von einer nuklearen Bedrohung gesprochen wird, ist das ein Zeichen – entweder für die heimische Bevölkerung oder die internationale Gemeinschaft. Erinnern Sie sich an die Bombardierung der Geburtenklinik in Mariupol: Dort wurde etwas genutzt, was wir Informations-Alibi nennen. Schon vor dem Angriff wurde die Information verbreitet, dass sich in dem Krankenhaus ein ukrainisches Bataillon befindet. Als also der Angriff stattfand, war die Desinformations-Kampagne einfacher zu verbreiten, denn die Falschinformation über das Bataillon in der Klinik war schon verbreitet worden, der vermeintliche Grund für den Angriff wurde schon etabliert.

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Die Wahrheit zu verbreiten, ist einfach: Es ist etwas passiert, man berichtet darüber. Aber wenn man versucht ein gewisses falsches Narrativ zu verbreiten, muss man sich daran halten, das vorbereiten. Es ist wie eine Maschine, in die Ressourcen gesteckt werden, um diese falschen Narrative zu verbreiten.