Jeder 2. ist „nachrichtenmüde“ - News Fatique: Neurologe erklärt, warum Sie Nachrichten-Konfetti vermeiden sollten
Die ständige Flut an Nachrichten und Informationen kann unser Wohlbefinden erheblich beeinträchtigen. Neurologe Volker Busch erklärt, wie die Überladung unserer Sinne zu inneren Entzündungen führt und was wir dagegen tun können.
Die weihnachtliche Ruhe hat nicht nur etwas Traditionelles, sondern im Jahr 2024 auch etwas Therapeutisches. Viele Menschen wirken Ende Dezember psychisch erschöpft und fühlen sich „randvoll“: Voll von Aufgaben und Terminen, aber auch voll von Nachrichten, Bedrohungsszenarien und pessimistischen Zukunftsprognosen.
Die überwältigende Menge an täglichen Informationen
Es ist beeindruckend, welche Datenmengen wir täglich konsumieren. Die Wörter, die wir heute pro Tag in den Medien über die Welt lesen oder hören, werden auf mindestens 100.000 geschätzt. Das entspricht ungefähr einem Buch von knapp 300 Seiten – keine „leichte“ Literatur. Laut einer Studie der University of California wird dieses „Buch“, aus dem wir täglich erfahren, jedes Jahr um mehr als 2,5 Prozent dicker.
Die Negativität verzerrt unsere Wahrnehmung
Mehr ist jedoch nicht immer besser. Wie bei Lebkuchen an Weihnachten gilt auch für Informationen: In Maßen schön und gut, in unkritisch hoher Menge irgendwann gefährlich. Mit jeder „gelesenen Seite“ verschiebt sich unsere Wahrnehmung in eine negativere Richtung. Das Böse scheint plötzlich überall zu sein. Dabei ist die Welt in den letzten knapp 100 Jahren nicht nachweislich schlechter geworden. Wir erfahren nur viel mehr als früher. Unsere Wahrnehmung des Negativen ist eine Funktion der Menge und der Häufigkeit, mit der darüber berichtet wird. „Nicht schlecht ist die Welt, aber voll“, spitzte es Berthold Brecht einmal zu.
Die inneren Entzündungen durch Überreizung
Die Überladung kann uns überreizen und innerlich entzünden. Sigmund Freud beschrieb in den 1920er Jahren die Psyche des Menschen als eine Art Bläschen, dessen Membran die empfindsame Innenwelt vor der gefährlichen Außenwelt schützt. Nimmt der Umweltdruck zu, kann dieses Bläschen „gereizt“ werden. Heute rückt die digitale Verfügbarkeit der Welt alles, was sich in ihr ereignet, in unseren Empfindungsradius und drückt von außen gegen unsere Membran.
Symptome und Folgen der Informationsüberflutung
Die Symptome der Überreizung sind vielfältig: Manche reagieren ängstlich und besorgt, fürchten sich vor der Zukunft und blicken pessimistisch nach vorne. Andere werden griesgrämig und missmutig. In der Psychiatrie spricht man von einer morosen Stimmung, benannt nach Moros, dem griechischen Gott des Untergangs. Als Folge dieses Stresszustandes wird man „dünnhäutig“ und verliert schneller die Fassung.
Die schlimmste Entwicklung ist jedoch die Habituation: Man wird welt- und nachrichtenmüde und zieht sich erschöpft zurück. Die „News Fatigue“ in Deutschland beträgt schon jetzt 50 Prozent, mit steigender Tendenz seit Jahren. Nur noch jeder Zweite interessiert sich überhaupt noch für das, was Medien berichten.
Strategien für einen gesunden Informationskonsum
Ein Totalverzicht auf Informationen ist weder nötig noch wünschenswert. Problematisch ist aber nicht nur die Menge, sondern auch die Art, wie wir Informationen konsumieren. Die Aufnahme geschieht heute oft in klitzekleinen Schnipseln – Informationen als „Konfetti“. Wir lesen an der Bushaltestelle, an der Kasse im Supermarkt oder während der Pause. Die Eindringtiefe bleibt oberflächlich, reicht aber dennoch, um emotional in Aufruhr zu geraten.
In einer Studie aus Deutschland mit 6.233 Probanden lag die kritische Schwelle während der Corona-Pandemie bei siebenmaligem Nachrichtenkonsum pro Tag. Oberhalb dieser Grenze war die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung von depressiven oder ängstlichen Gefühlen signifikant erhöht. Besser wäre es, den Konsum zu konzentrieren und nicht in winzig kleinen Portionen über den Tag zu verteilen. Suchen Sie sich eine ruhige Phase des Tages, in der Sie sich fokussiert und umfassend informieren und gehen Sie davor und danach auf Abstand.
Weihnachten als Chance für innere Ruhe
Vielleicht ermöglicht die Zeit um Weihnachten, für die Dauer von ein bis zwei Wochen vollständig auf den gewohnten Input zu verzichten. Das kann dazu beitragen, zu wirklicher innerer Ruhe zu kommen – gewissermaßen „Abschalten durch Ausschalten“. Nicht aus Desinteresse an der Welt, sondern weil unser Gehirn eine gelegentliche Pause von der Flut an negativen Informationen braucht, die mit ungeheurer emotionaler Wucht auf unsere Membran drückt.
Dann können innere Entzündungen wieder abheilen. Anschließend haben wir mehr Kraft, Probleme zu lösen und Herausforderungen zu bewältigen, statt ihnen ängstlich, aufgewühlt oder erschöpft entgegenzublicken. In diesem Sinne kann Weihnachten etwas Heilsames bedeuten – und das völlig rezeptfrei.