300 weitere Beratungsstellen, Infos per Push und bürokratiefrei: Familienkassenchef nennt erstmals Details, wie er die Kindergrundsicherung umsetzen will
In nur wenigen Tagen entscheidet sich, ob die Ampel-Koalition ihren Streit um die Kindergrundsicherung beilegen kann oder nicht.
Vorausgegangen war ein monatelanger Streit um die Finanzierung des Projekts zwischen FDP und Grünen: Inzwischen hat Familienministerin Lisa Paus (Grüne) ihren Gesetzentwurf für die Kindergrundsicherung vorgelegt, in dem sie zunächst 3,5 Milliarden Euro im für das Startjahr 2025 fordert. Vorgemerkt sind derzeit allerdings nur zwei Milliarden Euro – laut Finanzminister Christian Lindner (FDP) als "Platzhalter". Auf der gemeinsamen Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg will man sich nun einigen.
Doch neben den politischen Diskussionen zu den Kosten der Kindergrundsicherung, werden nun auch Vorwürfe laut, die Kindergrundsicherung könne zu viel Bürokratie mit sich bringen. Einem Vorwurf, dem Karsten Bunk, Chef der Familienkasse bei der Bundesagentur für Arbeit (BA), widerspricht. Seine Behörde soll nach den bisherigen Plänen die Kindergrundsicherung zu Familien in Deutschland bringen. Im Interview erklärt er, wie die Familienkasse dafür deutschlandweit umbauen will und welche Beratung Eltern erwarten dürfen.
Business Insider (BI): Ihre Behörde, die Familienkasse, wird mit der Umsetzung der Kindergrundsicherung betraut sein. Dafür soll es auch eine flächendeckende Beratung geben. Doch aktuell gibt es lediglich 115 Standorte, in einigen Bundesländern wie Schleswig-Holstein ganz besonders wenige. Wie lösen Sie dieses Problem?
Karsten Bunk: Wenn wir den gesetzlichen Auftrag für die Kindergrundsicherung bekommen, werden wir Leistungszahlungen in einer bundesweiten Institution bündeln und dann in jeder Stadt und in jedem Landeskreis mit einer Anlaufstelle für Information und Beratung versehen. Nach meiner Rechnung brauchen wir mit der Kindergrundsicherung etwa 405 lokale Anlaufstellen, also rund 300 Beratungsstellen mehr als bislang.
Diese neuen Stellen nennen wir "Familiencenter", also die erste Adresse für Familienangelegenheiten. Bislang mussten Familien an vielen Stellen Anträge stellen, um irgendeine Leistung erfüllt zu bekommen. Das Familiencenter bündelt dann alles. Alles, was Eltern über ihren Leistungen wissen müssen, sollen sie dort erfahren. Dafür wollen wir auch mit anderen Behörden zusammenarbeiten, zum Beispiel mit lokalen Bildungs- und Teilhabe-Stellen.
BI: Trotzdem müssen Eltern ja bislang noch ergänzend zu Jobcentern, wenn das Existenzminimum nicht gedeckt ist. Mit der Familienkasse kommt also noch eine weitere Behörde ins Spiel, also mehr Bürokratie, weil es Doppelstrukturen mit den Familiencentern gibt.
Bunk: Es entstehen keine Doppelstrukturen, weil wir dem Bundesfamilienministerium und dem Bundesarbeitsministerium zwischenzeitlich als Bundesagentur für Arbeit (BA) eine Rechtsergänzung vorgeschlagen haben. Es soll keinerlei Sonderfälle mehr geben, in denen die Leute doch in die Jobcenter geschickt werden, wenn die Familienleistungen nicht für das Existenzminimum ausreichen.
BI: Können Sie denn sicherstellen, dass die rund 300 mehr Beratungsstellen rechtzeitig fertig werden und es dort auch genügend Personal gibt?
Bunk: Die Bundesagentur für Arbeit verfügt über 600 Dienstgebäude in ganz Deutschland. Überall, wo wir da Platz finden, werden wir ein Familiencenter einrichten. Natürlich werden wir zu Beginn der Kindergrundsicherung mehr Personal brauchen als jetzt in der Familienkasse. Aktuell stehen wir bei knapp 5800 Mitarbeitenden. Für die Kindergrundsicherung könnten es anfangs zwischenzeitlich auch mal 7000 bis 8000 werden. Spätestens, wenn die Sachbearbeitung aber weiter nachhaltig automatisiert werden kann, werden wir dort auch weiter Stellen abbauen können.
BI: Welche Vereinfachung wird die geplante Kindergrundsicherung konkret bringen?
Bunk: Bisher mussten zum Beispiel Kindergeld oder Kinderzuschlag getrennt in der Familienkasse beantragt werden, weil man die steuerrechtlichen Daten aus dem einen Antrag für Kindergeld nicht mit den sozialrechtlichen Daten des Kinderzuschlags zusammenführen und nutzen durfte. Eltern mussten gleich mehrmals zur Familienkasse oder anderen Institutionen und mehrfach Anträge ausfüllen. Mit der Kindergrundsicherung wird es nur noch einen geben. Zudem soll er zusätzlich den Regelsatz im Bürgergeld sowie Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepakets und eine Wohnkostenpauschale bündeln. Das heißt: Menschen können jetzt alle Leistungen auf einmal beantragen und wir unterstützen jeden Weg des Zugangs mit Beratung.
BI: Gab es vorher denn keine Beratung?
Bunk: Nur zum Kinderzuschlag, vor allem über unsere erfolgreiche Videoberatung, die es zum Beispiel zum Bürgergeld noch nicht gibt. Bisher war es der Familienkasse nicht erlaubt zum Kindergeld zu beraten, weil es steuerrechtlich nicht zugelassen ist. Es ist nur Steuerberatern und Wirtschaftsunternehmern erlaubt zum Kindergeld zu beraten. Dabei ist das bei vielen Fragen essenziell: Zum Beispiel, wer in Patch-Work-Familien der Berechtigte für das Kindergeld ist, gerade in den Konstellationen, in denen die Eltern getrennt sind und sich nicht einigen können.
BI: Wie sieht die konkrete Beratung in Familiencentern oder über Videoberatung dann bei der Kindergrundsicherung aus?
Bunk: Wir helfen den Leuten beim erstmaligen Ausfüllen des Antrags, persönlich, telefonisch und im Internet über Videoberatung zu allen Leistungen. Darin erklären wir ihnen, welche Ansprüche sie haben. Also, ob ihnen der Garantie- oder auch der Zusatzbetrag zusteht und ob sie Anspruch auf Bildungs-und Teilhabeleistungen haben. Eltern stehen also nicht mehr länger in der Holschuld mit langwierigen Anträgen, sondern der Staat steht in der Bringschuld.
BI: Wird das Angebot über die Beratung hinausgehen?
Bunk: Ja, wird es. Wir wollen die Eltern per Push-Nachricht über die Kindergrundsicherung informieren. Dafür werden wir unser Internetportal künftig so aufstellen, dass es auf Basis des Kindergrundsicherungschecks zwölf-monatige Bewilligungspakete aller Leistungen ausrechnen kann und als Push-Nachricht zuschickt.
Auch über den Garantie-Betrag, dem bisherigen Kindergeld, wollen wir über Push-Nachrichten informieren, wenn es rechtlich erlaubt wird. Und man kann in jeder Phase des Lebens regelmäßig weitere Push-Nachrichten schicken, welche Leistungen es jetzt wieder geben kann.
Das ist ein großer Vorteil, weil viele Eltern aktuell überhaupt erstmal identifizieren müssen, welche Leistungen, etwa Kinderzuschlag, es gibt und wo und wie sie diese beantragen müssen.
BI: Wann werden Eltern mit diesen digitalen Angeboten, aber auch mit Beratungen vor Ort in den Familiencentern, rechnen können?
Bunk: Ursprünglich hatten wir gesagt, wir brauchen knapp zwei Jahre Vorlauf bis zum Inkrafttreten der Kindergrundsicherung. Darüber sind wir jetzt schon hinaus. Ich glaube aber, wir werden bis Ende 2025 in allen Landkreisen und Städten eine Anlaufstelle für die Kindergrundsicherung eingerichtet haben. Das Internetportal noch früher. Selbst wenn die Kindergrundsicherung erst später als dem 1. Januar 2025 in Kraft tritt, können wir erstmal mit weniger Standorten anfangen. Wichtig ist nur, dass das Gesetz jetzt zustande kommt, weil es uns die nötigen Rahmenbedingungen für die weitere Vorbereitung ermöglicht.
BI: Im Gesetzentwurf von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) sind aktuell 3,5 Milliarden Euro Budget für die Kindergrundsicherungsleistungen vorgesehen und 0,5 Milliarden Euro für die Umsetzung. Reicht das, um das Konzept der Familiencenter mit Anlaufstellen umzusetzen?
Nach meinen Einschätzungen werden wir mit den 0,5 Milliarden Euro Erfüllungsaufwand hinkommen.