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Rechter Terror: 40 Jahre Oktoberfestattentat - “Horrorbild“

Beim Oktoberfestattentat vor 40 Jahren starben 13 Menschen, über 200 wurden verletzt. Jahrzehnte wurde der größte rechtsextreme Anschlag der bundesdeutschen Geschichte als unpolitische Tat eines Einzelnen abgetan. Erstmals kommt nun zum Gedenken der Bundespräsident.

ARCHIV - 16.02.2012, Bayern, München: Blumen stecken an einem Denkmal, das an die Opfer des Attentats auf das Oktoberfest erinnert, am Haupteingang der Theresienwiese. Bei dem rechtsterroristischen Anschlag am 26.09.1980 starben 13 Menschen, darunter der Attentäter, mehr als 200 wurden verletzt. Foto: picture alliance / dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Blumen stecken an einem Denkmal, das an die Opfer des Attentats auf das Oktoberfest erinnert, am Haupteingang der Theresienwiese. (Bild: picture alliance / dpa) +++ dpa-Bildfunk +++

München (dpa) - Eine Stichflamme, ein Knall, Funken - dann mitten im bierseligen Oktoberfestausklang schreiende Menschen: Am 26. September 1980 um 22.19 Uhr explodieren am Wiesn-Haupteingang 1,39 Kilogramm TNT. Schrauben und Nägel erhöhen die Zerstörungskraft. Die Bombe reißt zwölf Festgäste in den Tod und verletzt mehr als 200. Auch der rechtsextreme Bombenleger Gundolf Köhler stirbt. Es ist der schwerste rechtsterroristische Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik.

Oktoberfestattentat: Bombenleger wollte Führerstaat

Eltern verlieren ihre Kinder, Liebende ihre Partner. Viele bleiben für ihr ganzes Leben gezeichnet. Robert Höckmayr (52), damals zwölf Jahre alt, wurde 42 Mal operiert; noch immer hat er Splitter im Körper. «Ich bin noch gelaufen, aber ich habe meinen Körper nicht mehr gespürt», erinnert er sich. Um ihn «ein Trümmerfeld» mit menschlichen Körpern und zerfetzten Kleidungsstücken. «Es war ein Horrorbild.» Er und seine Geschwister wollen Papier und die Stäbe der Zuckerwatte wegwerfen, als die Bombe in einem Papierkorb explodiert.

“Diese Schreie gingen mir durch Mark und Bein”

Zwei kleine Geschwister sterben vor seinen Augen. Die Eltern und zwei weitere Geschwister überleben. Die Schwester und der Bruder können laut Höckmayr die Folgen des Attentats nicht verarbeiten, sie begehen Suizid. Dimitrios Lagkadinos, damals 17, verliert beide Beine. Seine Freundin stirbt. Seine Trommelfelle seien gerissen gewesen, dennoch habe er die Schreie der Menschen gehört, sagte er der «Süddeutschen Zeitung». «Diese Schreie gingen mir durch Mark und Bein.»

ARCHIV - 26.09.1980, Bayern, München: Ein Sarg wird vom verwüsteten Tatort beim Oktoberfest weggetragen. Bei dem schlimmsten rechtsterroristischen Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik am 26.09.1980 starben 13 Menschen, darunter der Attentäter, mehr als 200 wurden verletzt. Foto: Frank Leonhardt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Ein Sarg wird vom verwüsteten Tatort beim Oktoberfest weggetragen. Bei dem schlimmsten rechtsterroristischen Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik am 26.09.1980 starben 13 Menschen, darunter der Attentäter, mehr als 200 wurden verletzt. (Bild: Frank Leonhardt/dpa)

Noch in der Nacht werden die Spuren der Tat beseitigt. Der Boden, den die Bombe aufgerissen hat und auf dem gerade noch Tote und Verletzte lagen, wird asphaltiert. Knapp 13 Stunden später strömen wieder Gäste auf die Wiesn, es wird getrunken und gefeiert - während Ärzte in Kliniken um das Leben von Verletzten ringen.

Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) schiebt indirekt Linken und Liberalen Mitschuld zu. Bald werden Ermittler von einem Einzeltäter sprechen, der aus Liebeskummer und privatem Frust handelte - obwohl der Geologie-Student Anhänger der verbotenen rechtsextremen «Wehrsportgruppe Hoffmann» war.

“Es ist völlig unmöglich, das zu vergessen”

Jahrzehntelang war es vor allem die DGB-Jugend, die das Gedenken zum Jahrestag aufrecht erhielt. Dieses Jahr wird ein neuer Gedenkort eröffnet. Bei der Zeremonie werden nicht wie sonst erste Festgäste vorbeilaufen - das Oktoberfest ist coronabedingt abgesagt. Wie üblich kommt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Mit Markus Söder (CSU) ist aber erstmals ein bayerischer Ministerpräsident dabei - und als erstes Staatsoberhaupt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Oktoberfestattentat: Bundesanwaltschaft sieht keine Ermittlungsansätze mehr

«Dass der Bundespräsident kommt, ist sehr erfreulich», sagt Renate Martinez. Sie überlebte knapp. Fünf Monate lag sie im Krankenhaus; sie ist heute gehbehindert. «Abgesehen davon, dass einem jeden Tag etwas wehtut: Es ist völlig unmöglich, das zu vergessen», sagt die 73-Jährige. Sie begrüßt, dass nun die rechtsextreme Motivation erwiesen ist. «Wichtig ist vor allem die Anerkennung - wenn wir auch noch Geld bekommen, gut und schön.» Denn mit dem Jahrestag werden wieder Forderungen nach einem Entschädigungsfonds für der Opfer laut. Martinez hatte sich an der Seite anderer, allen voran Opferanwalt Werner Dietrich und der Journalist Ulrich Chaussy, für die Wiederaufnahme der Ermittlungen eingesetzt.

Mitglieder der "Wehrsportgruppe Hoffmann" in uniformähnlicher Kluft am 16. Juli 1978 auf dem Grundstück von Karl-Heinz Hoffmann in Ermreuth bei Nürnberg. Bundesinnenminister Gerhart Baum hat am 30. Januar 1980 in Übereinstimmung mit den Innenministern der Länder die rechtsradikale "Wehrsportgruppe Hoffmann" verboten. Die Polizei durchsuchte daraufhin die Villa des "Führers" der Wehrsportgruppe in Heroldsberg, ein von Karl-Heinz Hoffmann gemietetes Schloß in Ermreuth sowie Wohnungen von Mitgliedern der "Wehrsportgruppe Hoffmann" in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Dabei wurden unter anderem ein Panzer, eine Zwei-Zentner-Flack, Uniformen, Stahlhelme, Würgehölzer und rechtsextremes Propagandamaterial sichergestellt.      (Photo by Schnoerrer/picture alliance via Getty Images)
Mitglieder der "Wehrsportgruppe Hoffmann" in uniformähnlicher Kluft am 16. Juli 1978 auf dem Grundstück von Karl-Heinz Hoffmann in Ermreuth bei Nürnberg. (Bild: Schnoerrer/picture alliance via Getty Images)

Denn bei den ersten Ermittlungen gab es zahlreiche Pannen: Zeugen wurden nicht ausreichend gehört, ein Fragment einer Hand verschwand spurlos. 48 Zigarettenstummel aus Köhlers Auto wurden vernichtet - heute hätten DNA-Spuren Hinweise liefern können. 504 Asservate wurden laut Dietrich vernichtet - angeblich aus Platzmangel. Die Akten wurden rasch geschlossen, das Verfahren eingestellt.

Damalige Bundestagswahl sollte beeinflusst werden

Im Juli stellte die Bundesanwaltschaft nach gut fünfeinhalbjährigen neuen Untersuchungen klar: Der Bombenleger Köhler wollte die damalige Bundestagswahl beeinflussen - und wünschte sich einen Führerstaat nach dem Vorbild des Nationalsozialismus. Schon früh war spekuliert worden, dass der Anschlag Linksextremen zugeschoben und so die sozialliberale Koalition diskreditiert werden sollte. Bei der Wahl am 5. Oktober, zehn Tage nach der Tat, trat Strauß als Unionskandidat gegen Kanzler Helmut Schmidt (SPD) an - Schmidt wurde bestätigt.

(GERMANY OUT) Kreditvermittler zur Messe eingereist. Leipzig (Bezirk Leipzig) DDR, 01. 09. 1985. Foto (v.l.): Kurt Masur (58), Franz-Josef Strauß (CSU), Sigrid Schalck-Golodkowski (SED) bei Rundgang im Gewandhaus. Die durch Bayerns Ministerpräsident eingefädelten Milliardenkredite für die DDR sind das Gesprächsthema der Messe. Die Ehrenbegleitung des im Privatflugzeug angereisten Ex-Hardliners übernahm der Staatssekretär für Außenhandel und Chef der Kommerziellen Koordinierung (KoKo).   (Photo by Mehner/ullstein bild via Getty Images)
Franz-Josef Strauß (Mitte) bei einem Auftritt im Jahr 1985. (Bild: Mehner/ullstein bild via Getty Images)

Köhler habe «vor der Gewaltanwendung zur Durchsetzung seiner demokratie- und verfassungsfeindlichen Einstellung» nicht zurückgeschreckt, zitierte Dietrich aus der Einstellungsverfügung aus Karlsruhe. Mit seinem dritten Wiederaufnahmeantrag hatte er 2014 die von vielen geforderten Ermittlungen in Gang gebracht - etwa eineinhalb Jahre nach Beginn des Prozesses um die rechtsextremen Morde des NSU. Die Rufe nach Aufklärung waren damals noch lauter geworden. Bis heute glauben viele nicht, dass Köhler die Tat allein beging. Konkrete Ansätze zur Verfolgung etwaiger Hintermänner oder Komplizen wurden aber auch nach Prüfung Hunderter Spuren nicht gefunden.

Bürgermeister Reiter: “Enttäuschend und bedauerlich”

«Es ist sehr enttäuschend und bedauerlich, dass die Hintergründe des Oktoberfestattentats knapp 40 Jahre nach der grausamen Mordtat trotz intensiver Ermittlungen nicht mehr vollständig aufgeklärt werden konnten», sagt OB Reiter. «Meine Gedanken sind in erster Linie bei den Überlebenden und ihren Angehörigen. Gerade für sie wäre es wichtig gewesen, endlich Klarheit über die genauen Tathintergründe und mögliche Mittäter zu erhalten.»

Ulrich Chaussy, der vier Jahrzehnte zum Wiesnattentat recherchierte, spannt auch den Bogen zum Doppelmord von Erlangen an Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke im Dezember 1980 - dem ersten gezielten antisemitischen Mordanschlag in Nachkriegsdeutschland. Jeweils hätten tote Einzeltäter am Ende der Ermittlungen gestanden, weder rechtsextreme Netzwerke noch das Hasspotenzial des Antisemitismus seien ernst genommen worden.

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