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400 Überstunden pro Jahr – "Sklavengesetz" versetzt Ungarn in Aufruhr

 

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Viktor Orbáns Pläne könnten weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen. (Bild: Markku Ulander/Lehtikuva via AP)

Der Gewerkschaftsbund MASZSZ droht wegen der umstrittenen Arbeitsgesetzreform der rechtspopulistischen Regierung von Premier Viktor Orbán mit einem Generalstreik. Die Novelle, gegen welche die Arbeitnehmer Sturm laufen, soll am Mittwoch im Budapester Parlament beschlossen werden.

Eine Rücknahme der Reform erscheint unwahrscheinlich. Denn der seit 2010 regierende Premier, der im Parlament über eine Zweidrittel-Mehrheit verfügt, ist nicht dafür bekannt, sich schnell vom Protest der außerparlamentarischen Opposition beeindrucken zu lassen. Im Budapester Parlament hatte die Oppositionsparteien am Montag vergeblich versucht, die Gesetzesnovellierung mit 2800 Änderungsanträgen zu verhindern.

Am Dienstag reagierten die Gewerkschaften mit Straßensperren auf das von ihnen so genannte "Sklavengesetz". Betroffen waren beispielsweise der Audi-Standort Györ und die Industriestadt Pecs (Fünfkirchen).

Am Samstag waren mehrere tausend Teilnehmer in Budapest zu einer Großdemonstration zusammengekommen, die vom Gewerkschaftsbund MASZSZ organisiert worden war. Etliche trugen gelbe Warnwesten – nach französischem Vorbild. "Nun sollen wir zu noch mehr Überstunden, zu Sklavenarbeit gezwungen werden", kommentierte László Kordás, Chef des Gewerkschaftsbunds, das Vorhaben der Regierung. "Selbstverständlich freiwillig. In diesem Land gibt es für alles Geld, nur nicht für unsere Löhne", fügte er an.

Alles eine Frage des Geldes?

In Zukunft soll es Unternehmen erlaubt sein, die Mitarbeiter auf 400 Überstunden pro Jahr zu verpflichten – statt wie bisher auf maximal 250. Für Ausgleich oder Bezahlung der Überstunden können sich Arbeitgeber statt einem Jahr in Zukunft sogar drei Jahre Zeit lassen. Die Arbeitnehmer befürchten, dass durch die Hintertür die Sechstagewoche eingeführt werden könnte.

Während die Novellierung in der Industrie großes Lob findet, laufen die Arbeitnehmervertreter dagegen Sturm. Die IG Metall und die Gesamtbetriebsräte aus der deutschen Automobilindustrie und von Siemens sehen die Pläne zur Flexibilisierung der Arbeitszeit in Ungarn sehr kritisch. „Angeblich wollen ungarische Beschäftigte mehr Überstunden machen. Dies ist ein Indikator für zu niedrige Einkommen“, heißt es in einer Erklärung.

Im Vergleich zu Deutschland sind die Gewerkschaften in Ungarn traditionell schwach. Der geringe Organisationsgrad gilt insbesondere bei ausländischen Investoren als Pluspunkt für den Standort. Und die Arbeitgeber zeigen keine Angst: In Budapester Wirtschaftskreisen wird nicht davon ausgegangen, dass die Gewerkschaft einen Generalstreik auf die Beine stellen kann.

Die Opposition kritisiert, dass mit der Liberalisierung der Arbeitsgesetze insbesondere ausländische Konzerninteressen berücksichtigen werden. Vor allem deutsche Firmen drohen verstärkt ins Fadenkreuz der Novellierungsgegner zu kommen. Audi mit seinem Werk im westungarischen Györ und Daimler mit seiner Fabrik in Kecskemét zählen zu den größten Arbeitgebern des Landes.

Orbán argumentiert wirtschaftlich

Orbán weist die Kritik, ausländischen Wirtschaftsinteressen zu dienen, scharf zurück. Aus seiner Sicht ermöglicht die Gesetzesänderung jedem Ungarn die Möglichkeit, mehr zu arbeiten und mehr zu verdienen, so Orbán im regierungsfreundlichen Privatsender ATV.

Außenminister Péter Szijjártó sagte allerdings Ende November bei einem Besuch in Düsseldorf, dass "die in Ungarn investierenden NRW-Unternehmen eindeutig positiv auf die ungarischen Gesetzvorschläge reagiert haben, die die Wettbewerbsfähigkeit des Landes weiter verbessern und den zuvor als Herausforderung angesehenen Fachkräftemangel mildern". Wie deutsche Wirtschaftsvertreter in Budapest berichten, gab es den Wunsch nach einer Flexibilisierung der Arbeitszeit. Aber die exakte Novellierung sei allein die Sache der Politik gewesen.

Nach Meinung von ungarischen Insidern ist die Novellierung des Arbeitsgesetzes eine Reaktion auf den verstärkten Mangel an Fachkräften. In den meisten Landesteilen herrscht quasi Vollbeschäftigung. Mit der Ausweitung der Überstundenregelung können insbesondere Industriebetriebe künftig flexibler auf die Auftragslage reagieren.

Orbán hat immer wieder betont, wie wichtig ihm die Standortbedingungen in Ungarn seien, um das vergleichsweise hohe Wirtschaftswachstum zu halten. Im dritten Quartal stieg das Bruttoinlandsprodukt um 4,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, die Exporte sogar um 6,2 Prozent. Eine Belastung stellt nach wie vor die hohe Staatsverschuldung mit aktuell 73,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts dar.

Deutsche Firmen investieren fleißig

Der ungarische Kanzleramtsminister Gergely Gulyás sagte, Deutschland sei der wichtigste politische und wirtschaftliche Verbündete Ungarns, auch wenn es in vielen Fragen Meinungsunterschiede gebe. Auch Außenminister Szijjártó betonte zuletzt die traditionell exzellenten Beziehungen zwischen Ungarn und dem deutschen Maschinenbau. Nach seinen Angaben kommen 29 Prozent aller Investitionen aus Deutschland. Die Bundesrepublik ist mit Abstand der wichtigste Wirtschaftspartner für das zehn Millionen Einwohner große Land.

BMW hatte zuletzt angekündigt, im ostungarischen Debrecen eine neue Autofabrik errichten zu wollen. Die Münchner wollen rund eine Milliarde Euro in die Stadt mit 203.000 Einwohnern unweit der Grenze zu Rumänien investieren. Dort sollen mehr als 1000 Mitarbeiter jährlich bis zu 150.000 Autos produzieren. Auch Bosch hatte kürzlich angekündigt, in Ungarn abermals expandieren zu wollen. Der Stuttgarter Konzern wird Ende 2019 die neue Fabrik mit 1200 zusätzlichen Arbeitskräften eröffnen.