Abdul und Rames berichten - Abdul und Rames rechnen mit Bezahlkarte ab: „Katastrophe, funktioniert nur bei Lidl“
Die Bezahlkarte für Flüchtlinge soll in Deutschland bald flächendeckend eingeführt werden. In einigen Landkreisen gibt es sie bereits. Wir haben mit Rames (21) und Abdul (15) aus dem Landkreis Günzburg gesprochen, die die Karte bereits nutzen oder genutzt haben. Ihr Fazit ist eindeutig.
FOCUS online: Abdul und Rames, seit wann sind Sie in Deutschland?
Rames: Seit einem Jahr und neun Monaten.
Abdul: Seit einem Jahr und acht Monaten.
Rames: Ich komme aus Afghanistan.
Abdul: Und ich aus dem Irak.
Warum sind Sie hier?
Rames: Weil ich Sicherheit haben möchte. In meiner Heimat ist Krieg.
Abdul: Im Irak war es sehr gefährlich für uns. Unsere Familie hatte Schwierigkeiten mit einem Mann, der dann Regierungsverantwortung bekommen hat. Wir hatten Angst, dass dieser Mann meinen Vater umbringen würde. Wenn wir in den Irak zurückgehen würden, wäre das sehr gefährlich für uns. Sobald ich 18 bin, wird es auch für mich sehr gefährlich. Dann wollen sie nicht nur meinen Vater töten, sondern auch mich.
„Die Bezahlkarte ist eine Katastrophe! Jeder sieht sofort: Du bist Flüchtling“
Seit Ende März haben Sie beide die Bezahlkarte.
Rames: Ich hatte sie nur zwei Monate lang. Inzwischen arbeite ich und bekomme ein Gehalt.
Abdul: Ich habe die Karte. Pro Person und Monat gibt es jetzt nur noch 50 Euro in bar.
Rames: Bevor ich die Karte hatte, war alles bar. Bei mir waren das 460 Euro monatlich.
Die Einführung der Karte wird unter anderem mit Vorteilen für die Leistungsempfänger begründet. Ein Punkt dabei soll Zeitersparnis sein. Die Bezahlkarte wird nur einmalig abgeholt und dann Monat für Monat durch die Behörde mit Guthaben aufgeladen. Bislang mussten dagegen alle Geflüchteten an einem bestimmten Tag im Monat in der Behörde erscheinen – und das soll mit langen Wartezeiten verbunden gewesen sein. Stimmt das?
Rames: Ich musste schon mal 20 Minuten warten. Das war kein großes Problem. Ich habe vorher einen Brief bekommen, da stand die genaue Uhrzeit drin, zu der ich erscheinen muss. Wenn man pünktlich war, musste man nicht sehr lange warten.
Abdul: Ich war mit meinem Vater beim Amt. Das ging schnell, fünf Minuten vielleicht.
Rames: Das mit der Wartezeit ist ein schlechtes Argument.
Befürworter der Bezahlkarte sprechen von einem bequemen Zahlungsmittel.
Rames: Nein. Die Bezahlkarte ist eine einzige Katastrophe!
Warum?
Abdul: Man schämt sich. Jeder sieht sofort: Du bist ein Flüchtling.
„Viele schauen dich an und ihr Gesichtsausdruck sagt: Der will nicht arbeiten“
Ist das denn schlimm?
Abdul: Eigentlich nicht, aber viele schauen dich an und ihr Gesichtsausdruck sagt: Der will nicht arbeiten.
Rames: Das größte Problem ist, dass die Bezahlkarte nicht funktioniert. Ich habe das immer wieder erlebt.
Abdul: Ich auch. Erst diese Woche, im Schwimmbad. Mein Freund hat mir dann Geld geliehen. Hinterher sind wir zum Supermarkt gegangen, da habe ich mit der Bezahlkarte Chips für ihn gekauft. So konnte ich ihm die 2,50 Euro für den Freibadeintritt zurückgeben.
Rames: Das war dann aber nicht der V-Markt, oder? Da hatte ich mit der Bezahlkarte Probleme. Ich stand mit einem Korb voller Sachen an der Kasse, und dann hieß es: Das geht hier nicht. Also das mit der Karte. Das war mir sehr peinlich.
Und was haben Sie dann gemacht?
Rames: Ich hatte nichts mehr zu Essen zu Hause und wirklich Hunger. Also habe ich Freunde angerufen, die sind gekommen und haben mir Bargeld gegeben. Es war mir sehr unangenehm. Aber andere in der Flüchtlingsunterkunft nach Essen zu fragen, wäre auch sehr unangenehm gewesen.
„Bei Lidl hat es funktioniert. Aber an ganz vielen Orten funktioniert es nicht“
Wie haben Sie das dann mit dem Einkaufen gehandhabt?
Rames: Nur bei Lidl hat es funktioniert. Aber an ganz vielen Orten funktioniert es nicht. Bei Bäckereien, beim Friseur. Auch dort, wo es günstige Ware für Geflüchtete gibt, in Sozialkaufhäusern oder im Rot-Kreuz-Laden, wird die Bezahlkarte nicht akzeptiert.
Abdul: Bei uns an der Schule nehmen sie auch nur Bargeld. Für das Mittagessen oder auch für die Hausaufgabenbetreuung am Nachmittag. Mit der Karte kann man das nicht bezahlen.
Besuchen Sie die Hausaufgabenbetreuung regelmäßig und ist das notwendig?
Abdul: Ja, zu Hause, also in der Flüchtlingsunterkunft, sind wir zu sechst in einem Zimmer. Es ist eng und laut, ich kann da nicht in Ruhe arbeiten.
Rames: Auch für die Sprachkurse geht die Bezahlkarte nicht. Wenn wir mit einem Buch durch sind und ich das nächste brauche, muss ich es in bar bezahlen. Ich verstehe das nicht: Wir sollen uns integrieren, aber es wird uns schwer gemacht.
Abdul: Ausflüge und Klassenfahrten müssen in bar bezahlt werden. Mein Bruder war im letzten Monat vier Tage mit seiner Klasse unterwegs, 82 Euro. Das war wirklich schlimm für unsere Familie.
„Wenn es ums Überleben geht, lässt man sich doch nicht von einer Karte abschrecken“
Befürworter der Bezahlkarte sagen, dass durch sie der Anreiz für die Einwanderung gesenkt werden soll.
Abdul: Wenn es ums Überleben geht, lässt man sich doch nicht von einer solchen Karte abschrecken. Vor kurzem hat unsere Familie die Abschiebung bekommen. Aber wir können nicht zurück, wir haben Angst.
Und nun?
Abdul: Meine Eltern haben sich einen Anwalt genommen, der auf Asylrecht spezialisiert ist. Aber der muss auch mit Bargeld bezahlt werden. Die Anwälte haben keine Lesegeräte für diese Karten.
Noch ein Argument für die Bezahlkarte: Man möchte Geldzahlungen an Schleuser verhindern.
Abdul: Wir haben dem Helfer nur einmal was bezahlt, bei unserer Ankunft in Deutschland 2022. Man bezahlt nur, wenn die Flucht erfolgreich war. Wenn man bezahlt hat, ist es erledigt.
Gab es mehrere Fluchtversuche?
Abdul: Insgesamt drei. Wir hatten jedes Mal einen Helfer dabei. Das sind Leute, die die Wege kennen. Beim dritten Mal sind wir über die Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn gekommen. In Deutschland angekommen hat der Helfer 30.000 Euro bekommen.
Wovon haben Ihre Eltern das Geld genommen?
Abdul: Wir haben zu Hause im Irak alles verkauft, alles. Auch unser Haus. Meine Eltern haben dem Helfer alles gegeben, was sie hatten. Was soll das mit der Bezahlkarte zu tun haben? Das verstehe ich nicht.
„Ich habe jetzt eine EC-Karte bei der Sparkasse. Ich habe großes Glück gehabt“
Rames, Sie sind nun seit zwei Monaten bei einem großen Unternehmen als Maler angestellt …
Rames: Ja, ich habe jetzt eine EC-Karte. Bei der Sparkasse. Ich habe großes Glück gehabt.
Warum?
Rames: Ich musste sechs Monate warten, bis ich arbeiten durfte. Ich hatte schon einen Arbeitsvertrag, aber dann musste ich zum Arbeitsamt wegen der Arbeitserlaubnis. Es hat sehr lange gedauert, bis ich die Genehmigung bekommen habe. Viele Arbeitgeber wollen nicht so lange warten. Oft ist der Job dann weg.
Also ein großes Aufatmen.
Rames: Ja. Und endlich wieder ein Gefühl von Freiheit. Zum Beispiel, wenn ich in den Supermarkt gehe.
In den V-Markt, gehen Sie da jetzt wieder hin?
Rames: Ja. Mit der EC-Karte.
Und mit einem gewissen Stolz, wenn Sie die an der Kasse vorzeigen?
Rames: Nein, stolz bin ich nicht. Es ist etwas anderes. Ich habe keine Angst mehr, mich zu blamieren. Das ist das Gefühl, das ich habe.