Abgrenzung zur AfD - Sollte die Brandmauer fallen? Politologe schlägt neues CDU-Modell im Osten vor
Keine gemeinsame Sache mit der AfD machen - das ist die Grundidee hinter der sogenannten „Brandmauer“, die viele Parteien gegen die Rechtspopulisten errichtet haben. Aber sind Brandmauern nicht irgendwie undemokratisch? Was dafür spricht - und was dagegen.
Eine Brandmauer, auch Brandwand genannt, ist eine „Wand, die durch ihre besondere Beschaffenheit das Übergreifen von Feuer und Rauch von einem Gebäude oder Gebäudeteil zu einem anderen verhindern soll“. So steht es bei Wikipedia.
Das Wort hat es als Metapher inzwischen in die große Politik geschafft. Denn die etablierten Parteien machen sich für eine „Brandmauer gegen rechts“ stark. Meist ist damit die klare Abgrenzung von der AfD gemeint, um, bildlich gesprochen, zu verhindern, dass sie die Demokratie abfackelt.
Egal, ob SPD, Grüne, Linke, FDP oder CDU: Alle Parteispitzen schließen eine politische Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten aus. Jedenfalls offiziell, in Parteibeschlüssen oder entsprechenden Statements.
Auch das neue „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) will nicht mit der AfD koalieren - wenngleich sich Chefin Sahra Wagenknecht zuletzt für einen „anderen Umgang“ mit der Partei ausgesprochen hat.
Ist eine „Brandmauer gegen rechts“ undemokratisch?
Die viel debattierte „Brandmauer“ ist gerade vor dem Hintergrund der Landtagswahlen, die im September in Sachsen, Thüringen und Brandenburg anstehen, pikant. Immerhin kommt die AfD hier auf Umfragewerte von um die 30 Prozent.
Wenn daraus echte Wahlergebnisse werden, stellt sich die Frage, ob es legitim ist, die AfD-Abwehrhaltung, die die etablierten Parteien oft einnehmen, aufrechtzuerhalten. Gerade auch, weil offenbar viele Wähler hinter der Rechtsaußen-Partei stehen.
Der Politologe Christian Stecker von der Technischen Universität Darmstadt findet: „Die Grundidee der repräsentativen Demokratie ist, dass die Bürger ‚ihre‘ Parteien und Politiker wählen, um ihre Interessen im Parlament zu vertreten. Eine Brandmauer – also das bewusste Ausgrenzen einer bestimmten Partei, in diesem Fall der AfD – ist daher ein sehr problematisches Konstrukt.“
„Je höher die Brandmauer ist, desto schwieriger ist sie zu rechtfertigen“
Die Zusammenarbeit vehement zu verweigern, so erklärt er es, schließt einen Teil des demokratisch gewählten Parlaments von der politischen Mitgestaltung aus. Um ein Konzept wie die „Brandmauer“ aufrecht zu halten, braucht es daher starke Argumente.
„Je höher die Brandmauer ist, desto schwieriger ist sie zu rechtfertigen“, sagt Stecker zu FOCUS online. „Wenn man der Überzeugung ist, dass die AfD in wesentlichen Punkten antidemokratisch ist, dann scheint es sinnvoll, ihr den Zugang zu Regierungsämtern zu verwehren. An diesen Stellen könnte sie am effektivsten gegen die Demokratie arbeiten.“
Eine „Brandmauer mit Stacheldraht“ ist in den Augen des Politologen aber kaum demokratisch zu begründen. Das wäre der Fall, wenn eine Partei einen eigenen Vorschlag zurückhält, den sie ihren Wählern im Wahlprogramm versprochen hat, nur, weil er möglicherweise ausschließlich mit Unterstützung der AfD eine Mehrheit im Parlament finden würde.
„Hierbei geht es nicht um eine direkte Gefährdung der Demokratie, sondern vielmehr darum, demokratische Mehrheiten im Parlament im Interesse der eigenen Wähler zu realisieren.“
Brandmauer - brisant, mit Blick auf die Landtagswahlen
Steckers Punkt ist brisant, vor allem wegen der anstehenden Landtagswahlen. In Thüringen will die CDU zum Beispiel die Grunderwerbssteuer für selbstgenutztes Wohneigentum reduzieren. Im Programm steht:
„Wir wollen die Grunderwerbsteuer weiter auf 3,5 Prozent absenken. Auf Bundesebene werden wir uns dafür einsetzen, dass die Länder eigene Freibeträge für die Grunderwerbsteuer schaffen können, um Familien gänzlich von der Grunderwerbssteuer zu befreien.“
Die CDU hätte im neu gewählten Landtag aber voraussichtlich nur mit der AfD eine Mehrheit für diesen Vorschlag, meint Stecker mit Verweis auf den Wahl-O-Mat, dessen Thesen anhand vorliegender Wahlprogramme entwickelt und in der Regel von den jeweiligen Parteivorständen geprüft werden.
Stecker sagt: „Wenn die CDU dieses Projekt deswegen an einer kategorischen Brandmauer zerplatzen lässt, verliert sie vermutlich an Glaubwürdigkeit bei den Wählerinnen und Wählern, die sich nicht auf komplizierte Brandmauer-Arithmetik einlassen möchten.“
Seiner Meinung nach könne die Brandmauer bei einzelnen, konkreten Inhalten aufrechterhalten werden - aber nicht kategorisch. „Moderate Positionen werden nicht allein dadurch rechtsextrem, wenn AfD-Abgeordnete bei einer Abstimmung darüber ihre Hände heben.“
„Brandmauern sind nach wie vor wichtig“
Ganz anders sieht es Marcel Lewandowsky, ebenfalls Politologe und Autor mehrerer Bücher über Populismus. „Das Konzept der ‚Brandmauer‘ besagt, dass man nicht mit Parteien kooperiert, deren Programm im Widerspruch zu zentralen Werten der Demokratie steht“, sagt er zu FOCUS online.
„Das war in Deutschland lange Konsens, man denke etwa an den ‚Schweriner Weg‘, bei dem sich alle Parteien in Mecklenburg-Vorpommern gegen die NPD zusammenschlossen.“
Rechtspopulistische Parteien, so erklärt es Lewandowsky, wollen die Demokratie verändern, ihre Institutionen besetzen und eine nationalistische Kultur- und Bildungspolitik etablieren. Er betont auch, dass die AfD-Landesverbände in Thüringen und Sachsen als gesichert rechtsextrem gelten.
„Das heißt, viele ihrer Mitglieder, Abgeordneten und Funktionäre lehnen die Demokratie geradeheraus ab.“ Österreich oder die Niederlande würden zwar zeigen, dass Demokratien Regierungen, die von Rechtspopulisten angeführt werden, überstehen können.
„Aber das Risiko ist hoch, vor allem, wenn die Rechtspopulisten in einer Koalition besonders viele Stimmen haben. Insofern sind ‚Brandmauern‘ nach wie vor wichtig.“ Quasi, um zu verhindern, dass die Demokratie abfackelt, dass das AfD-Feuer zum Flächenbrand wird.
Lewandowsky: Brandmauern sind nicht undemokratisch
Lewandowsky findet Brandmauern deshalb auch nicht undemokratisch. Denn: „Mit wem Parteien eine Koalition bilden, entzieht sich dem direkten Votum der Wähler. Das ist Sache der Abgeordneten. Parteien können durchaus sagen, mit wem sie nicht zusammenarbeiten wollen.“
Trotzdem räumt er ein, dass beispielsweise für die CDU, die in Brandenburg, Sachsen und Thüringen zusammen mit der AfD die Wahlumfragen anführt, auf diese Weise eine Koalitionsoption wegbricht.
Interessant ist, dass das Konzept der „Brandmauer“ nach außen oft stark verteidigt wird. Auf kommunaler Ebene arbeiten Parteien aber offenbar immer wieder mit der AfD zusammen, wie der Politologe Wolfgang Schroeder, der am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und an der Universität Kassel arbeitet, zuletzt im Gespräch mit FOCUS online erklärte.
Brandmauern zum Teil bereits eingerissen
Mal geht es um die Wahl des Stadtratsvorsitzenden, mal um den Chefposten in einem kommunalen Ausschuss, mal um einen AfD-Antrag, für den gestimmt wird. Im Rahmen einer neuen Untersuchung, die er leitet, hätten sich „Hunderte Kommunen“ aufgetan, in denen die Grenzen verschwimmen, sagte Schroeder.
Das betrifft alle größeren Parteien, besonders aber die CDU. Eine neue Forsa-Umfrage im Auftrag des „Redaktionsnetzwerks Deutschland“ (RND) zeigt außerdem, dass 45 Prozent der CDU-Mitglieder eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht vollkommen ausschließen.
Dabei gibt es innerhalb der CDU einen sogenannten Unvereinbarkeitsbeschluss. Darin heißt es: „Jeder, der in der CDU für eine Annäherung oder gar Zusammenarbeit mit der AfD plädiert, muss wissen, dass er sich einer Partei annähert, die rechtsextremes Gedankengut, Antisemitismus und Rassismus in ihren Reihen bewusst duldet.“
Und weiter: „Die CDU lehnt jegliche Koalitionen oder ähnliche Formen der Zusammenarbeit mit der AfD ab.“ Diesen Beschluss bekräftigte CDU-Chef Friedrich Merz erst im Mai dieses Jahres bei einem Auftritt im ZDF.
„Abgrenzung zur AfD wirkte nicht glaubwürdig“
Zu den aktuellen Entwicklungen, die in vielen Kommunen zu erkennen sind, wollte sich Merz auf Nachfrage des „Spiegel“ nicht äußern. Ein Parteisprecher betonte lediglich, dass es keine Koalition oder eine ähnliche Zusammenarbeit mit der AfD oder der Linkspartei geben werde.
Die CDU Thüringen erklärte außerdem in einem schriftlichen Statement an FOCUS online, dass eine Koalition mit der Rechtsaußen-Partei nicht in Frage komme: „klares Nein“. Darüber hinaus bezeichnete sich die Partei als „Bollwerk gegen die AfD“.
Lewandowsky meint: „In der Union gab es immer Stimmen, die zumindest eine punktuelle Zusammenarbeit mit der AfD befürworteten. Mein Eindruck ist, dass die Bundesspitze hier nicht deutlich genug für ihre Strategie geworben hat.“
Seiner Meinung nach sollte sich die CDU deutlicher von der AfD abgrenzen. Gerade im Hinblick auf die anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. „Die CDU schlittert gerade in eine Zusammenarbeit mit der AfD. Das kann für die Union ein Problem werden, weil es für schwankende Wähler auch die Wahl der AfD attraktiver macht.“
Stecker schlägt besondere Konstellation vor
Stecker, der an der TU Darmstadt am Institut für Politikwissenschaft den Arbeitsbereich „Politisches System Deutschlands und Vergleich politischer Systeme“ leitet, spricht von einem schwierigen Spagat, in dem sich die Partei befindet. „Einerseits sollte sich die CDU klar von der in Teilen extremistischen Politik und Rhetorik der AfD abgrenzen“, sagt er.
Andererseits muss sie selbstbewusst ihre eigenen Positionen vertreten. Und es gibt durchaus inhaltliche Schnittmengen mit der AfD - zum Beispiel in der Sozial-, Migrations- oder Wirtschaftspolitik.
Sollte die CDU in Sachsen und Thüringen stärkste Kraft werden, könnte sie Steckers Meinung nach etwas Neues wagen: Als Minderheitsregierung offen sondieren, für welche moderaten Positionen sich wechselnde demokratische Mehrheiten finden lassen.
Mehrheiten mithilfe der AfD?
Das würde - wenn es inhaltlich passt - auch Mehrheiten einschließen, die mithilfe der AfD zustandekommen. „Für ein derart zersplittertes und polarisiertes Parteiensystem wie in Sachsen und Thüringen ist das eventuell das passendere Format politischer Zusammenarbeit“, sagt er.
Besser zumindest, „als immer größere Gegensätze in ein starres Koalitionskorsett einzuschnüren, daneben eine kategorische Brandmauer zu errichten und sich dann vor den entgeistert zuschauenden Wählerinnen und Wählern dauerhaft zu streiten“.