Nicht in die Abhängigkeit rutschen - Seit ich Paartherapeutin bin, habe ich 7 Dinge über die perfekte Beziehung gelernt
Was macht eine gute Liebesbeziehung aus? Beatrix Roidinger ist in ihrer Arbeit als Paar- und Sexualtherapeutin bereits in diverse Beziehungen eingetaucht. Und hat im Kontakt mit ihren Klienten erfahren, was eine Beziehung zusammenhält - und woran sie zerbrechen kann.
1. Zwischen Bindung und Autonomie: Die Balance in der Beziehung finden
Nähe, Bindung und Intimität sind die Grundpfeiler einer Liebesbeziehung – sie unterscheiden eine Partnerschaft von Freundschaften. Die meisten sehnen sich nach Sicherheit und Geborgenheit. Man möchte sich auf den Partner oder die Partnerin verlassen können. Vertrauen ist dabei der wichtigste Wert.
Schnell kann es in einer Beziehung aber zu symbiotisch werden. Plötzlich weiß man nicht mehr, wo man selbst aufhört und der andere beginnt. Dann meldet sich das Bedürfnis nach Autonomie – der Wunsch, eigene Wege zu gehen, Neues zu entdecken und sich weiterzuentwickeln.
Diese Gegensätze, Nähe und Eigenständigkeit, sind immer vorhanden. Zu viel Autonomie kann die emotionale Bindung schwächen, zu viel Nähe kann erdrücken. Der Schlüssel liegt im Wechsel: Vertrautheit, die Sicherheit bietet, und Distanz, die Neugier und Leidenschaft weckt. Jede Beziehung braucht diese Dynamik, um lebendig zu bleiben.
Die Art und Weise, wie wir Bindung und Autonomie erleben, wird stark von unseren frühkindlichen Erfahrungen geprägt. Diese Erlebnisse hinterlassen Spuren in unserer Persönlichkeit und beeinflussen unser späteres Verhalten in Beziehungen. Letztlich braucht es Mut, den anderen immer wieder loszulassen, um die Beziehung lebendig zu halten und sich gegenseitig neu zu entdecken.
2. Offen über (sexuelle) Wünsche und Bedürfnisse sprechen
Eine erfüllte Beziehung basiert auf ehrlicher Kommunikation – und das gilt besonders für sexuelle Wünsche und Bedürfnisse. Doch genau hier fällt es vielen schwer, offen zu sprechen. Statt Fantasien und Sehnsüchte zu teilen, arrangiert man sich oft stillschweigend im kleinsten gemeinsamen Nenner - aus Angst, der andere könnte ablehnend oder gar abwertend reagieren. Mit der Zeit gerät die Sexualität immer weiter in den Hintergrund. Leidenschaft schwindet und Frustration und Konflikte nehmen zu.
Offenheit bedeutet nicht nur, eigene Wünsche klar auszusprechen, sondern auch die des Partners oder der Partnerin anzuhören – und das, ohne zu urteilen. Unterschiede in den Vorstellungen und Wünschen, was einem sexuell Spaß macht, was einen erregt und Lust bereitet, sind ganz natürlich. Jedes Paar muss diese Unterscheide verhandeln. Wenn es das schafft, dann sind diese Unterscheide kein Hindernis, sondern eine Ressource.
Sie bieten die Möglichkeit, neue Facetten der Intimität zu entdecken. Voraussetzung dafür ist, dass beide sich die Zeit nehmen, den sexuellen Raum der Beziehung bewusst zu gestalten. Dann bleibt die Beziehung nicht nur emotional, sondern auch körperlich lebendig. Leider können die meisten Paare nicht konstruktiv über ihre gemeinsame Sexualität sprechen. Deshalb empfehle ich auch, sich Hilfe zu holen. Über die eigene Sexualität und die Paarsexualität zu sprechen, kann man lernen.
3. Verantwortung übernehmen – für sich selbst und die Beziehung
In jeder Beziehung gibt es Momente, in denen die Versuchung groß ist, dem anderen die Schuld für das eigene Unglück zu geben. Eine reife Partnerschaft basiert darauf, dass beide Verantwortung für sich selbst und ihre Gefühle übernehmen. In einer vitalen Beziehung sind beide bereit, an sich selbst zu arbeiten.
Das bedeutet, sich mit den eigenen Mustern auseinanderzusetzen, alte Verletzungen aufzuarbeiten und die Vergangenheit zu reflektieren. Es geht darum, in die persönliche Entwicklung zu investieren: Vielleicht macht man ein Coaching oder eine Therapie, besucht einen Selbsterfahrungsworkshop oder liest ein entsprechendes Buch.
Beide tragen jedenfalls gemeinsam die Verantwortung für das Gelingen oder Misslingen der Beziehung. In einer solchen Partnerschaft begegnet man sich nicht als Bedürftige, sondern als Erwachsene, die sich gegenseitig unterstützen. Dann kann man Gefühle und Bedürfnisse klar benennen, anstatt in Vorwürfen zu versinken.
4. Überhöhte Erwartungen: Warum kein Mensch alle Rollen erfüllen kann
In einer idealisierten Vorstellung von Liebe erwarten wir oft, dass unser Partner oder unsere Partnerin alle Rollen in unserem Leben einnimmt: beste/r Freund/in, Seelenverwandte/r, emotionaler Anker, Abenteuerbegleiter/in und leidenschaftliche/r Liebhaber/in zugleich. Diese überhöhten Erwartungen setzen jeden schnell unter Druck. Niemand kann all diese Bedürfnisse gleichzeitig und dauerhaft erfüllen.
Viele Menschen, insbesondere in langjährigen Beziehungen, neigen dazu, Freundschaften und andere soziale Verbindungen zu vernachlässigen. Das führt oft dazu, dass das gesamte emotionale Wohlbefinden von der Beziehung abhängt. Die Folge ist eine ungesunde Abhängigkeit, in der das gesamte Glück und alle Aktivitäten nur noch an die Partnerin oder den Partner gebunden sind.
5. Positive Interaktionen überwiegen lassen
Jede Beziehung hat ihre Höhen und Tiefen, aber entscheidend ist, wie wir im Alltag miteinander umgehen. Studien zeigen, dass in stabilen Partnerschaften die positiven Interaktionen überwiegen – selbst in schwierigen Zeiten. Es geht aber nicht darum, Konflikte zu vermeiden, sondern darum, dass die liebevollen, positiven Momente den Ton angeben.
Kleine Gesten der Zuneigung, wie ein Lächeln, ein Kompliment, ein aufmunterndes Wort, eine Berührung oder eine Umarmung, haben eine große Wirkung. Ebenso wichtig ist es, Dankbarkeit und Wertschätzung regelmäßig auszudrücken. Oft werden Dinge im Alltag als selbstverständlich hingenommen. Anerkennung und ein einfaches „Danke“ machen den Unterschied.
Wer sich regelmäßig bemüht, zugewandt, liebevoll und dankbar zu sein, trägt aktiv dazu bei, dass die Partnerschaft gelingt. Der erste Schritt ist die bewusste Entscheidung, das zu tun – und nicht darauf zu warten, dass der andere beginnt.
6. Neugierig auf den Partner bleiben
In langen Beziehungen entsteht oft die Vorstellung, den Partner vollständig zu kennen. Doch Menschen verändern sich ständig. Fragen wie „Was beschäftigt dich gerade?“ oder „Was hat dein Interesse geweckt?“ zeigen Interesse und fördern Nähe. Wer aufmerksam zuhört und (detailliert) nachfragt, signalisiert nicht nur Wertschätzung, sondern in diesen Gesprächen entwickeln sich beide weiter.
Neugier beugt auch der Routine des Alltags vor. Es geht nicht nur um große Veränderungen, sondern um das bewusste Wahrnehmen auch kleiner Entwicklungen und Veränderungen des jeweils anderen.
7. Gemeinsame Zeit statt Alltagstrott: Erlebnisse, die verbinden
Im hektischen Alltag gerät die qualitätsvolle Paarzeit schnell in den Hintergrund. Zwischen Arbeit, Verpflichtungen und dem täglichen Trott verliert sich oft das gemeinsame Erleben – und nicht selten verliert man sich dann als Paar. In diesen Phasen entsteht das Gefühl, nur noch nebeneinander zu funktionieren, anstatt miteinander zu leben. Viele erleben es so, als ob sie in einer WG oder als Geschwister zusammenleben.
Deshalb ist es umso wichtiger, gemeinsame Zeit bewusst einzuplanen. Das kann eine große Unternehmung wie eine Weltreise sein, ein neues gemeinsames Hobby oder auch kleine Auszeiten, in denen man den Partner oder die Partnerin und die Beziehung bewusst feiert. Wichtig ist, neben Routinen auch das Besondere, Einzigartige und Neue zu erleben. In diesem Zusammenhang könnte einem Paar folgende Frage helfen: “Wann haben wir zuletzt gemeinsam etwas zum ersten Mal gemacht?”
Gemeinsame Erlebnisse schweißen zusammen, bieten neuen Gesprächsstoff und schaffen lebendige, verbindende Räume. Und dabei kann man sich immer wieder neu entdecken. Denn man ist jemand anderer, wenn man zum ersten Mal gemeinsam das Tanzbein schwingt, ein fremdes Land erkundet oder einfach die Leichtigkeit eines Spaziergangs genießt.
Fazit
Eine erfüllende Beziehung gelingt mit dem richtigen Gleichgewicht zwischen Bindung und Autonomie, regelmäßiger Kommunikation und gemeinsamen Erlebnissen. Liebevolle Gesten, gegenseitige Wertschätzung und echtes Interesse für den anderen schaffen eine starke Verbindung.
Sex hebt eine Partnerschaft von anderen Beziehungen ab. Sex macht eine Partnerschaft zu etwas Besonderem. Deshalb lohnt es sich, in die Entwicklung der Paarsexualität zu investieren. Anstatt sich mit Kompromissen zufrieden zu geben, ist es ratsam, die Erotik aktiv zu gestalten.