"Das ist absolut absurd, was in Deutschland gelungen ist"
Über viele Jahre hinweg war er ein fester Bestandteil der „Formel Deutsch“.
Zwischen 2000 und 2011 bestritt Nick Heidfeld für sechs verschiedene Teams 183 Rennen in der Formel 1 - nur Michael Schumacher, Sebastian Vettel, Nico Rosberg und Nico Hülkenberg prägten die Königsklasse aus deutscher Sicht länger.
Dem Motorsport ist der 46-Jährige, der in der Königsklasse 13 Mal aufs Podium fuhr, bis heute verbunden. Im SPORT1-Interview spricht er über seine aktuellen Projekte, seine Erfahrungen mit der knallharten Branchenkultur in der F1 und die heutige Lage der Königsklasse, speziell auch hierzulande.
Der ehemalige BMW-Pilot analysiert die Gründe, warum der Zuspruch für den Sport nicht mehr so groß ist wie früher - und was Mick Schumacher tun sollte, um mittelfristig wieder ein Stamm-Cockpit zu bekommen.
SPORT1: Herr Heidfeld, früher gaben Sie mit V10-Motoren Gas, jetzt kümmern Sie sich um den Elektro-Nachwuchs. Wie kommt das?
Nick Heidfeld: Ich fand das Projekt „ACE“ meines ehemaligen Formel-E-Teamchefs Dilbagh Gill so spannend, dass ich Co-Founder geworden bin. Die Grundidee: Wir wollen mit Elektroautos den Nachwuchs fördern - auch in Regionen, in denen Motorsport unterrepräsentiert ist. Dafür müssen die Kosten massiv runter. Mit Elektromotoren geht das: Ein Knopfdruck und der Antrieb hat z.B. nur noch 180 statt 250 kW.
SPORT1: Es geht also um Nachwuchsklassen für die Formel E?
Heidfeld: So wie es zwischen den Kart und der Formel 1 beispielsweise die Formel 4, Formel 3 und Formel 2 gibt, soll unsere Serie eine Einstiegsserie sein und die Lücke zur Formel E schließen. Jedes Team soll zwei Autos einsetzen und vier Fahrer. Zwei in der Juniorkategorie und zwei in der höheren Klasse. Unser Ziel ist es aber nicht nur, den Schritt in die Formel E zu ermöglichen, sondern auch in andere Rennserien. Es wird ein Sprintrennen ohne Energiesparen geben, aber grundsätzlich wird das Thema Energiemanagement auch bei uns eine große Rolle spielen.
SPORT1: An welche bestehende Plattform soll die Serie angekoppelt werden?
Heidfeld: Wir wollen in vier Regionen fahren, zunächst Europa und Asien, später auch Nord- und Südamerika. In jeder Region wollen wir bei zwei Rennen der Formel E dabei sein. Vier Rennen tragen wir selber aus - dann allerdings nicht auf Stadtkursen. Der Start ist für August 2024 geplant. Das ist sehr ambitioniert, aber wir geben Vollgas.
SPORT1: Wie schnell werden die Autos sein?
Heidfeld: Unsere Autos werden viel näher an der Formel E sein als die Formel 2 an der Formel 1. Wir peilen einen Rückstand von 3,5 Sekunden in der Championship-Kategorie an und nochmal 3,5 Sekunden bei den Challengern an.
SPORT1: Die Formel E hat sich allerdings immer noch nicht durchgesetzt bei etablierten Motorsportfans. Warum setzen Sie trotzdem auf eine Elektro-Nachwuchsserie?
Heidfeld: Wenn man sich in der Welt umschaut, ist das einfach die Richtung, in die es geht. Ich bekomme es natürlich auch mit, dass einige immer noch die Nase über Elektromotorsport rümpfen. Wandel braucht eben immer eine gewisse Zeit. Aber der technologische Fortschritt ist nicht aufzuhalten und wenn man sich die Mobilität weltweit anschaut - auch bei den Automobilherstellern - ist das zumindest im Moment die Richtung. Und die jüngeren Leute sind demgegenüber auch viel aufgeschlossener als alteingesessene Petrol Heads.
SPORT1: Und wie sehen Sie das?
Heidfeld: Ich finde es wichtig, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt. Ich liebe auch den alten Motorsport. Ich liebe den Zweitakter-Geruch im Fahrerlager. Ich liebe auch einen schreienden V10 in der Formel 1, aber trotzdem bin ich Formel E gefahren und unterstütze das Projekt. Auch bei der Formel E war der Widerstand am Anfang riesengroß und dann fanden viele es doch ziemlich gut.
SPORT1: Ist Motorsport ohne einen nachhaltigen Ansatz überhaupt noch möglich heutzutage?
Heidfeld: Möglich schon, zeitgemäß nicht. Gerade eine neue und moderne Rennserie sollte mit der Zeit gehen. Wir wollen uns nicht scheuen, in unserer ACE-Serie neue Ideen einzubringen. Ein Auto für zwei Rennserien. LEDs und Screens, um dem Zuschauer vereinfacht mehr Informationen über das Auto und das Rennen zu zeigen. Die Lenkkräfte so zu minimieren, dass eine stärkere Person keinen Vorteil hat. Da haben wir noch andere Ideen in der Pipeline.
SPORT1: Warum ist Nachwuchsförderung im Motorsport so wichtig?
Heidfeld: Das ist Ansichtssache. Es gibt mit Sicherheit Menschen, für die ist Motorsport nur Umweltverschmutzung. Ich mache das aber nicht, um die Umwelt zu verschmutzen, sondern weil ich Rennsport liebe und eine E-Nachwuchsserie ein Weg ist, diesen Sport nachhaltiger zu gestalten und auch nachhaltige und neue Technologien zu promote. Außerdem habe ich mich während meiner Karriere oft gefragt: Fährst du wirklich gegen die besten Fahrer auf Welt? Die Frage kann man klar mit ‚Nein‘ beantworten, speziell wenn man das auch mit Fußball vergleicht. Überall wird Fußball gespielt, das kostet fast nichts. Motorsport hingegen ist ein sehr elitärer Kreis. Wir wollen nicht nur Fahrern den Einstieg ermöglichen, sondern unter anderem auch Ingenieuren oder Mechanikern die Möglichkeit geben, sich im Motorsportbusiness zu etablieren.
SPORT1: In Deutschland herrscht eine Flaute beim Motorsportnachwuchs ...
Heidfeld: Ich finde es relativ normal, dass es nicht immer so weitergehen kann. Wir hatten nicht nur mit Michael Schumacher den ersten deutschen Formel-1-Weltmeister, sondern noch zwei danach: Sebastian Vettel und Nico Rosberg. Das ist absolut absurd, was in Deutschland gelungen ist. Auch wenn wir ein reiches Land sind mit vielen Autoherstellern, waren wir da extrem verwöhnt. Es ist vermessen zu glauben, dass immer wieder der Nächste kommt.
SPORT1: Was muss passieren, damit sich daran etwas ändert?
Heidfeld: Mir ist es wichtig, dass unsere ACE-Rennserie global die besten Talente findet; somit auch in Deutschland. Deshalb bin ich sehr froh, sagen zu können, dass wir bei unseren Gesprächen in Deutschland mit potenziellen Partnern, Firmen und Teams ein großes Interesse, einen großen Willen und natürlich auch ein über die Jahre gereiftes Wissen treffen, den Nachwuchs zu fördern.
SPORT1: Auch die Formel 1 generell kriselt in Deutschland, sie läuft zum Beispiel nur noch im Pay-TV. Was sind die Gründe und ist das möglicherweise nur eine Phase?
Heidfeld: Auch hier denke ich, dass man zumindest teilweise von einer Übersättigung sprechen kann. So wie es bei uns einen Schumacher-Boom gab, gab es diesen danach mit Alonso in Spanien und jetzt mit Verstappen in den Niederlanden. Alle Firmen müssen auf die Wirtschaftlichkeit schauen und somit muss sich eine Investition letztlich auszahlen. Natürlich würde ich mir auch wünschen, dass jeder alle Rennen inklusive Trainings und am besten noch ohne Werbung sehen kann. Aber genauso kann sich jeder denken, dass dies unrealistisch ist. Es gibt in verschiedenen Ländern verschiedene Varianten, die funktionieren. Im motorsportbegeisterten England läuft die Formel 1 auch mal im Pay-TV und hat trotzdem sehr viele Zuschauer.
SPORT1: Sie profitierten vom McLaren-Mercedes-Nachwuchsprogramm, fuhren den kleinen „Silberpfeil“ in der Formel 3000. Wie wichtig war das?
Heidfeld: Das war mit Sicherheit der wichtigste Schritt, aber es ist wie bei vielen anderen Sportlern, oder auch bei Musikern, wo es manchmal aussieht, als sei der Erfolg über Nacht gekommen. Da steckt viel Arbeit auch schon lange davor drin. Auf der anderen Seite war es aber auch ein riesiger Druck, ähnlich wie jetzt bei Mick Schumacher, auch wenn es bei ihm sicher noch mehr war. Es gab viele Neider. Aber das gehört zum Spiel dazu und man muss mit dem Druck trotzdem Leistung bringen, sonst ist man da am falschen Platz.
SPORT1: Sie haben damals sogar den Formel-1-McLaren getestet. Heute können Fans das Auto dank des Berliner Unternehmens GetYourGuide hautnah erleben. Bei dem Reise-Startup kann man eine Tour durchs McLaren Technology Center buchen. Wie finden Sie das?
Heidfeld: Super, weil der Fan so natürlich viel näher rankommt. Für mich war es damals auch etwas ganz Besonderes, für McLaren zu testen. Damals war ich noch relativ unbekannt und auch schüchtern. Einer der ersten Tests war in Monza. Da hatte sich Mika Häkkinen an der Hand verletzt und da durfte ich einspringen - und sich da in der Zeitenliste vor dem ein oder anderen zu sehen und auch gegen Mika und David (Coulthard; d. Red.) gut auszusehen, das war schon speziell und hat auch die Hoffnung genährt, möglichst bald in einem Formel-1-Auto zu sitzen. Aber ganz so schnell ging das dann doch nicht.
SPORT1: Weil die Formel 1 eben doch ein Haifischbecken ist?
Heidfeld: Für mich ist es das größte Haifischbecken, das es gibt. Aber man muss damit klarkommen, das ist ein Teil der Formel 1. Ich habe versucht, mich bestmöglich aus der Politik rauszuhalten. Was ich „leider“ aber in der Formel 1 gelernt habe, war, mich immer zu fragen: Wenn jemand etwas sagt - warum sagt der das?
SPORT1: Was würden Sie Mick Schumacher raten, damit er wieder den Weg zurück in die Formel 1 findet?
Heidfeld: Er muss er versuchen, immer einen Fuß in der Formel 1 zu behalten - und sei es nur als Testfahrer. Ich war damals bei Pirelli Testfahrer und bei Mercedes Ersatzfahrer. Wir sehen es ja auch bei Nico Hülkenberg. Der war schon drei Mal abgeschrieben und sitzt jetzt wieder fest im Sattel. Du musst immer dran glauben, an dich und an die Möglichkeit, darfst nicht zurückstecken und musst deine Chancen suchen. Ich hoffe und denke, dass Mick das macht und da auch die richtige Beratung hat.
SPORT1: Sie sind auch gegen Michael Schumacher gefahren. Jetzt hat die Formel 1 mit Max Verstappen einen neuen Superstar. Was halten Sie von ihm?
Heidfeld: Sehr beeindruckend. Das Talent stand bei Verstappen schon immer außer Frage. An der Rennstrecke sieht man bei ihm das Besondere, selbst im Vergleich zu anderen Topfahrern. Was mich noch mehr positiv überrascht hat; dass er aus seinen Fehlern gelernt und sich extrem weiterentwickelt hat. Er ist ein kompletter Formel-1-Pilot.
SPORT1: Bei welchen Fahrern haben Sie noch das Besondere gesehen?
Heidfeld: Bei ganz, ganz wenigen. Da war Michael. Ich habe damals in der Formel 3000 die Formel-1-Autos in Monaco beobachtet. Und ich sage auch heute: Man hätte damals alle Autos und alle Helme schwarz anmalen können und man hätte trotzdem Michael erkannt. Er fuhr einfach anders, hatte mehr Kontrolle, fuhr näher an die Leitplanken ran. Etwas ähnliches habe ich Jahre später bei Lewis Hamilton gesehen. Auch er hatte eine extreme Fahrzeugkontrolle, wenn auch etwas wilder. Und zum gleichen Zeitpunkt fiel mir Alonso auf. Der ist vielleicht nicht so nah an die Leitplanken gefahren, war aber unglaublich konstant und mit sehr viel Kontrolle. Nicht zu vergessen Sebastian Vettel in seiner Hochzeit. In den letzten Jahren hat er sich ja ein bisschen schwergetan, aber in seinem Red Bull fällt mir ein Qualifying in Istanbul ein, da habe ich eine Runde gesehen, da dachte ich: ‚Wow, absolut Wahnsinn.‘