AfD lebt von diffusen Abstiegsängsten

Weder Gutverdiener noch Gewerkschaftsmitglieder sind immun gegen die Verlockungen der Partei AfD vom rechten Rand. Das zeigt eine neue gewerkschaftsnahe Studie. Für den DGB-Chef liegen die Konsequenzen auf der Hand.

Die Lage ist gut, aber es gibt Sorgen, dass es bald abwärts geht. Das ist der politische und wirtschaftliche Nährboden, auf dem die AfD gedeiht – zumindest wenn man einer neuen Studie im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung glaubt. Demnach ist der typische Wähler der Rechtspopulisten eher männlich, häufig Arbeiter und er hat einen eher niedrigeren Bildungsgrad. Keine entscheidende Rolle spielt dagegen die Einkommenssituation. Auch Reiche machen ihr Kreuz bei der AfD.

„Kontrollsorgen, Abstiegsangst, Angst vor der Arbeitslosigkeit und Verunsicherung über die Zukunft fördern laut dieser Studie nachweislich den Zulauf zu den Rechtspopulisten“, kommentierte Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und des Vorstands der Böckler-Stiftung, die Ergebnisse. Beunruhigend für Hoffmann: Auch Gewerkschaftsmitglieder sind keineswegs immun gegen die Verlockungen vom rechten Rand.

Für die Studie hat ein Team rund um den Berliner Wahlforscher Richard Hilmer und die Paderborner Soziologin Bettina Kohlrausch von Mitte Januar bis Anfang Februar 2017 knapp 5.000 Wahlberechtigte zu politischen Einstellungen, Wertorientierungen und Sichtweisen auf die Arbeitswelt befragt.

Demnach bezeichnen drei von vier Befragten die wirtschaftliche Lage als gut oder sehr gut. Bei gut der Hälfte trifft das auch für die eigene finanzielle Situation zu. Die wirtschaftliche Lage solle gar nicht schlecht geredet werden, sagte Hoffmann am Mittwoch bei der Vorstellung der Ergebnisse in Berlin. Aber es gebe diffuse Zukunftsängste, die den Bürgern Sorge bereiteten. So stimmen 53 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass die Gesellschaft immer weiter auseinandertreibt. Mehr als die Hälfte sorgt sich um die Zukunft der eigenen Kinder, knapp die Hälfte hat Zweifel, ob ihre Altersversorgung ausreichen wird.

Globalisierung und Digitalisierung sorgen für zusätzliche Verunsicherung. Hinzu kommt ein Vertrauensverlust in die staatlichen Organisationen. So sind 49 Prozent der Befragten der Ansicht, die Politik tue für sie persönlich weniger als für andere Bevölkerungsgruppen. „Die Deutschen sehen sich heute weit stärker als früher auf sich selbst zurückgeworfen“, sagte Wahlforscher Hilmer.

Besonders verbreitet ist dieses Gefühl laut der Studie bei jenen, die bei der Bundestagswahl 2013 ihr Kreuz bei der AfD gemacht haben. Von ihnen sorgen sich fast zwei Drittel um die eigene Alterssicherung, von allen Befragten gibt das nur jeder zweite an. Auch mit Blick auf die finanzielle Situation oder die Zukunft der eigenen Kinder sind die AfD-Wähler überdurchschnittlich beunruhigt. Besonders deutlich ist der Unterschied bei der Frage nach Kriminalität und Gewalt im Wohnumfeld.

Deutlich wird aber insgesamt, dass sich die AfD-Wählerschaft eher von diffusen Ängsten als von realen Erfahrungen leiten lässt. So bekennt sich jemand, der selbst arbeitslos war oder ist, nicht signifikant häufiger zu den Rechtspopulisten als jemand, der bisher keine Erfahrungen mit dem Jobverlust gemacht hat. Wer aber das Gefühl hat, durch die die Globalisierung seinen Job zu verlieren, weil über sein Leben „irgendwo draußen in der Welt“ entschieden wird, der macht sein Kreuzchen mit höherer Wahrscheinlichkeit bei der AfD als jemand der angibt, selbst über sein Leben bestimmen zu können.

DGB-Chef Hoffmann zieht aus den Ergebnissen den Schluss, dass sich den Rechtspopulisten das Wasser abgraben lässt, wenn für Ordnung auf dem Arbeitsmarkt gesorgt wird. Prekäre Beschäftigung, sachgrundlose Befristungen, ein Absinken des Rentenniveaus oder die Ungerechtigkeit, dass die Arbeitnehmer mehr ins Gesundheitssystem einzahlten als die Arbeitgeber, schürten Abstiegsängste. „Das auf sich selbst Zurückgeworfensein deckt sich nicht mit unserer Vorstellung von sozialer Marktwirtschaft“, sagte Hoffmann.

Allerdings sind es keinesfalls nur die Abgehängten, die mit den Rechtsaußen sympathisieren. So liegt das Durchschnittseinkommen der AfD-Wähler mit 1664 Euro nur knapp unter dem Durchschnitt aller Befragten. Fünf Prozent von ihnen verdienen sogar 4000 Euro und mehr im Monat – ein Prozentpunkt mehr als bei allen befragten. „Der AfD ist es gelungen, die besser gestellten Besserverdiener aus der Lucke-Ära zu halten“, sagte Hilmer. Bernd Lucke, der die Partei als eurokritische Bewegung mitbegründet hatte, war 2015 im Streit ausgetreten.

Wie ein höheres Gehalt macht auch die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft nicht immun gegen Anfälligkeit für Rechtspopulismus. So hatte eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) jüngst gezeigt, dass von den abhängig Beschäftigten mit AfD-Präferenz 24 Prozent einer Gewerkschaft angehören. Nur bei den Anhängern der Linken ist die Gewerkschaftszugehörigkeit noch ausgeprägter.

Wahlforscher Hilmer führt dies aber vor allem darauf zurück, dass vor allem männliche Arbeiter AfD wählen, die auch unter den Gewerkschaftsmitgliedern überproportional vertreten sind. Bei gleicher Ausgangslage was das Einkommen, die berufliche Position, den Bildungsabschluss oder das Alter angehe, mache es bei der Wahrscheinlichkeit, AfD zu wählen, keinen Unterschied, ob jemand Gewerkschaftsmitglied ist oder nicht, betonte Hoffmann.

KONTEXT

Das AfD-Programm zur Bundestagswahl 2017

Demokratie

Die AfD sieht die Demokratie in Deutschland in Gefahr. Sie warnt: "Heimlicher Souverän in Deutschland ist eine kleine, machtvolle politische Oligarchie, die sich in den bestehenden politischen Parteien ausgebildet hat."

Zuwanderung und Asyl

Eine "ungeregelte Massenimmigration in unser Land und in unsere Sozialsysteme durch überwiegend beruflich unqualifizierte Asylbewerber ist sofort zu beenden." Integration sei eine Bringschuld der Migranten. Diese müssten sich "anpassen".

Islam, Kirchen, Religion

Die AfD will verhindern, "dass sich abgeschottete islamische Parallelgesellschaften weiter ausbreiten". Ein Antrag, Kirchensteuern abzuschaffen, wurde abgelehnt. Ins Wahlprogramm aufgenommen ist aber die Forderung, Kirchenrepräsentanten wie Bischöfe nicht mehr aus Steuermitteln zu bezahlen. Eine Initiative der Nachwuchsorganisation Junge Alternative gegen eine medizinisch nicht indizierte Beschneidung von Jungen scheiterte. Parteivize Beatrix von Storch hatte mit Blick auf die jüdische Religionsgemeinschaft gemahnt, das sei "ein politisch völlig falsches Signal".

Frauen und Familie

Die AfD will die Deutschen motivieren, mehr Kinder in die Welt zu setzen, zum "Erhalt des eigenen Staatsvolks". Sie lehnt ein "Gendermainstreaming" ab. Die Partei fordert eine Meldepflicht für Abtreibungen. "Bei Nichterfolgen soll eine spürbare Strafe ausgesprochen werden." Und: "Schwerwiegendes Fehlverhalten gegen die eheliche Solidarität muss bei den Scheidungsfolgen wieder berücksichtigt werden." Familienpolitik solle sich immer am Bild Vater, Mutter, Kind orientieren. Die Delegierten votierten für einen Antrag, in dem das Alleinerziehen als ein "Notfall" bezeichnet wird und als "Ausdruck eines Scheiterns eines Lebensentwurfs". Eine "vorbehaltlose Förderung Alleinerziehender", wie sie von etablierten Parteien praktiziert werde, sei falsch.

Arbeit und Soziales

Die AfD spricht sich im Grundsatz für den Mindestlohn aus, will sich dazu aber noch genauer positionieren. Die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I solle abhängig werden von der Dauer der Erwerbstätigkeit zuvor. Wer als Rentner arbeiten möchte, soll das ohne Einschränkung seiner Rentenbezüge tun können. Bei einer Lebensarbeitszeit von 45 Jahren plädiert die AfD dafür, den Rentenanspruch "abschlagfrei" zu gewähren. Eine Stabilisierung der Sozialsysteme sei nur möglich, wenn "unsere begrenzten Mittel" nicht in eine "unverantwortliche Zuwanderungspolitik" gesteckt würden.

Wirtschaft

Deutschland soll den Euro-Raum verlassen. Für die Wiedereinführung einer neuen nationalen Währung - D-Mark - müssten rechtzeitig Vorkehrungen getroffen werden. Die AfD ist dagegen, dass Steuern und Abgaben "beliebig" erhöht werden können. Sie fordert eine Umsatzsteuersenkung um sieben Punkte.