Analyse zum Parteitag in Riesa - Bei Wutrede lässt Weidel einen entscheidenden AfD-Widerspruch ungelöst

Alice Weidel, Bundesvorsitzende der AfD, spricht auf dem Bundesparteitag ihrer Partei.<span class="copyright">Sebastian Kahnert/dpa</span>
Alice Weidel, Bundesvorsitzende der AfD, spricht auf dem Bundesparteitag ihrer Partei.Sebastian Kahnert/dpa

Alice Weidel ist offiziell Kanzlerkandidatin der AfD. Auf dem Parteitag in Riesa hält sie eine denkwürdige Wutrede: radikaler, aggressiver. Eine Analyse.

Alice Weidel wird Kanzlerkandidatin der AfD. Das hat die Partei am Samstag auf ihrem Parteitag in Riesa einstimmig beschlossen - per Akklamation. Die AfD-Chefin ist damit die erste Kanzlerkandidatin der Partei überhaupt und strebt erstmals seit Gründung der Partei vor knapp zwölf Jahren das wichtigste Amt in Deutschland an.

In ihrer Rede schlug sie einen sehr scharfen Ton an und machte deutlich, welche Machtambitionen die Partei nun verfolgt.

AfD-Parteitag: SA-Parole, in neuem Gewand

Doch schon der Wahlkampfslogan der AfD hat es in sich: „Alice für Deutschland“. So rief es der sächsische AfD-Landeschef und Gastgeber des Parteitages, Jörg Urban, mit einem breiten Grinsen den Parteimitgliedern zu: „Damit schließe ich mit dem Wahlspruch, mit dem wir in Sachsen in die Wahl gehen werden: Alice für Deutschland!“

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Und so skandierten es die 600 Delegierten nach der Abstimmung lautstark durch den Saal. Sie schwenkten schwarz-rot-goldene Fahnen und winkten ihrer Kanzlerkandidatin mit blauen Herzen zu.

Bundesparteitag der AfD in Riesa: Tino Chrupalla (l-r), Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender der AfD, Alexander Gauland (AfD) und Alice Weidel, Bundesvorsitzende der AfD, stehen nach der Nominierung Weidels zur Kanzlerkandidatin für die kommende Bundestagswahl auf der Bühne des AfD-Bundesparteitags.<span class="copyright">Sebastian Kahnert/dpa</span>

 

Der Slogan erinnert stark an eine Parole von Adolf Hitlers SA („Alles für Deutschland“), mit der zuletzt der Thüringer AfD-Chef und Rechtsextremist Björn Höcke für internationale Schlagzeilen und ein Gerichtsurteil sorgte und für deren Verwendung er bereits verurteilt wurde.

Nach der Verurteilung Höckes forderten AfD-Anhänger auf Demonstrationen schnell „Alice für Deutschland“. Die SA-Parole in neuem Gewand.

Video-Clip stimmt die Delegierten ein, dann kommt Weidels Auftritt

Es wird dunkel im Saal. Ein Wahlwerbespot wird eingespielt: „Wir waren mal ein reiches, ein glückliches Land“, heißt es darin. Von Klimageld ist die Rede, von Geld für Flüchtlinge, für Radwege in Peru. Deutschlandfahnen sind zu sehen, der Kölner Dom, das Brandenburger Tor. Das Licht geht an.

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Dann Weidels Auftritt. Acht Deutschlandfahnen zieren ihre rechte Bühnenseite, acht ihre linke. „Schwarz-Rot-Gold, liebe Freunde, Schwarz-Rot-Gold“, sagt sie zu Beginn. Pause. Jubel.

Es dauert nicht lange, da wendet sich die frisch gekürte Kanzlerkandidatin an den amerikanischen Multimilliardär Elon Musk und bedankt sich bei ihm. Denn der übertrage den AfD-Parteitag live auf X. Weidel will sich Musk offenbar als neuen reichen Unterstützer der Partei warm halten - die Zeit nimmt sie sich.

Kurz darauf macht sie klar, wer der größte Gegner ihrer Partei ist: die CDU. Die meiste Zeit ihrer Rede wettert sie gegen Friedrich Merz, Angela Merkel und die CDU selbst. Sie stellt die Partei als Heuchler dar. Sie sei eine „Betrügerpartei“, raunt sie. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe Deutschland auf einen falschen Weg gebracht, und der jetzige Vorsitzende Friedrich Merz führe diesen Weg fort.

„Abwertung der Konkurrenz gehört zu den bekannten Mustern des Populismus“

Der Politikwissenschaftler Oliver Lembcke von der Universität Bochum zeigt sich darüber wenig verwundert. „Die Abwertung der Konkurrenz gehört zu den bekannten Mustern des Populismus“, sagt er gegenüber FOCUS online. Die „Altparteien“ würden keinen Unterschied machen, weil sie kartellartig unter einer Decke steckten und Politik nur zum eigenen Vorteil machen würden. Das sei die zentrale Botschaft Weidels.

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Die Fokussierung auf die CDU solle zudem daran erinnern, dass die CDU, allen voran Merkel, die Ursache allen Übels sei. „Außerdem soll die eigene Machtambition deutlich werden: mit der Union um den Wahlsieg kämpfen.“

Weidel kündigte zudem an, sämtliche Subventionen und Förderprogramme für den Klimaschutz abschaffen zu wollen und das Erneuerbare-Energien-Gesetz abzuwickeln. Und dann wird es absurd: „Wenn wir am Ruder sind, reißen wir alle Windkraftwerke nieder. Nieder mit diesen Windmühlen der Schande!“, brüllt die AfD-Vorsitzende. Jubel im Saal. Dabei wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2024 in Deutschland rund 142 Terawattstunden Strom aus Windenergieanlagen erzeugt. Dies entspricht einem Anteil von rund 29 Prozent an der gesamten Bruttostromerzeugung in Deutschland.

Weidel kündigt ebenfalls vollmundig an, dass Deutschland unter Führung der AfD in der Europäischen Union aus dem Asylsystem aussteigen werde. Öl- und Gasheizungen sollen zudem gleichberechtigt zugelassen und die Gaspipeline Nord Stream wieder in Betrieb nehmen werden.

Weidel spricht viel davon, Freiheit in Deutschland zurückzugewinnen

Einer der meistgenutzten Begriffe in Weidels Rede ist Freiheit. Immer wieder spricht sie davon, diese wieder herbeiführen zu wollen. „Die zahlreichen Freiheitsbezüge stehen in einem Zusammenhang mit dem Musk-Gespräch auf X “, erklärt Lembcke.

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„In ihrem Gespräch mit dem Tesla-Chef auf X haben beide viel über den vermeintlichen Verlust von gesellschaftlicher Freiheit durch die Gängelung sogenannter ´woker Ideologien´ und von dem Verlust unternehmerischer Freiheit durch die Bürokratie und Überregulierung gesprochen.“ In ihrer Rede habe Weidel das nun aufgegriffen und würde sich an die Spitze all jener stellen wollen, die der überfälligen Deregulierung das Wort reden, so Lembcke weiter.

„Aus Weidels Sicht ist die AfD im Vergleich zur FDP die eigentliche disruptive Kraft. Im Grunde passt dieser von Musk inspirierte und von ihm zelebrierte libertäre Populismus für die AfD nicht wirklich.“

Dafür stehe sie viel zu sehr in der Tradition des Etatismus, der überall – und natürlich im Bereich der Migration – Sicherheit verspreche, sagt der Experte über diesen tiefen und zentralen Widerspruch. Zur Erklärung: Etatismus bezeichnet die Auffassung, dass der Staat eine zentrale Rolle in Wirtschaft und Gesellschaft spielen sollte, indem er aktiv reguliert, steuert und lenkt.

Weidels Rede: „Verrat am eigenen Land“ stehe im Vordergrund

Was Lembcke außerdem beobachten konnte: „Der Verrat am eigenen Land steht im Vordergrund bei Weidels Rede. Natürlich werden auch sämtliche AfD-Lieblingsthemen des Kulturkampfes bedient, so etwa die verfehlte Genderpolitik der ´queer-roten Kaderschmieden´“.

Das Ampel-Bashing, so Lembcke, sei jedoch nur die Hintergrundfolie, auf der die Unfähigkeit der anderen Parteien vorgeführt werden soll. Entscheidend sei für Weidel die Schuldzuweisung, dass unter Führung der CDU bewusst ein Zustand voranschreitender gesellschaftlicher Verwahrlosung herbeigeführt wurde, von dem nun die Union behaupte, dass sie diesen beseitigen wolle. Das mache sie zur „Betrügerpartei“, wie Weidel es formulierte.

Weidel spricht außerdem von Remigration. Diesen Begriff hatte sie lange gemieden. Der Grund: Rechtsextreme hatten ihn gekapert - allen voran der Österreicher Martin Sellner und die von ihm gegründete „Identitäre Bewegung“. Später folgte ihm die ganze Szene.

Und Weidel, jetzt Kanzlerkandidatin der AfD – in Riesa ruft sie nun den Delegierten entgegen: „Wenn es dann Remigration heißen soll, dann heißt es eben RE – MI -GRA – TION!“. Ein Novum.

Rassisten profitieren davon, dass der Begriff unterschiedlich interpretiert werden kann: Er kann sowohl die freiwillige Rückkehr von Migranten in ihre Herkunftsländer - wie in der Soziologie beschrieben - als auch die zwangsweise Abschiebung abgelehnter Asylbewerber oder ganzer ethnischer Gruppen bedeuten. Man kann es aber, wie Sellner, auch so verstehen, dass Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland geboren sind oder einen deutschen Pass haben, abgeschoben werden. Weidel weiß das alles – und bricht in Riesa mit ihrer Zurückhaltung.

Weidels Rhetorik ist radikaler, aggressiver

Insgesamt erinnert Weidels Rhetorik an Donald Trump, der bald wieder Präsident der USA sein wird. Ihr Ton ist radikaler, aggressiver als zuvor.

Schon seit einiger Zeit bemühe sich Weidel, ihr Image zu bereichern, meint Lembcke. Sie gelte als Taktikerin, die sich aus innerparteilichen Konflikten heraushalte. „Nun tritt sie mit einer dezidiert radikalen Sprache auf, die ihren Anspruch untermauern soll, die Nummer 1 in der AfD zu sein. Hinter ihr sollen sich alle vereinen können, eben auch die Meinungsführer des völkischen Flügels.“

Das Bild, dass Weidel von ihrem idealen Deutschland in ihrer Rede malt, ist ein anderes, jedoch in Wirklichkeit kein besseres, befindet Politikwissenschaftler Lembcke. Weidel stelle Deutschland so dar, als sei es dem Untergang geweiht. Dazu passe die Wahlempfehlung von Elon Musk, dass nur die AfD Deutschland noch retten könne. Allerdings biete der „Zukunftsplan“ der AfD, den Weidel in ihrer Rede hervorhob, wenig Neues: „Grenzen schließen und massenhaft abschieben“, so Lembcke.

Die Union klinge ähnlich im Wahlkampf; das ändere allerdings wenig daran, dass wesentliche Elemente einer solchen Politik gegen geltendes EU-Recht verstoßen, sagt der Experte.

„Während man bei Merz gespannt sein darf, wie er das Recht reformieren möchte, ohne den Rest an Solidarität bei den anderen Partnern in Europa zu verlieren, die man für die Rücknahme und Verteilung von Geflüchteten und Zugewanderten benötigt, stellt sich für die AfD angesichts der Brandmauer noch grundsätzlicher die Frage, mit wem sie auch nur Teile ihrer Politik umsetzen will.“ In dieser Hinsicht bleibe jede Stimme für die Partei auch weiterhin eine Stimme ohne Wert.

Weidels Auftritt findet schließlich großen Anklang im Saal. Die Wutrede der neuen Kanzlerkandidatin wird mit stehendem Beifall quittiert.