„Aktuell wird viel Quatsch gemacht“ - Architekt schlägt „Einfaches Bauen“ vor, um Wohnkrise zu mildern

Beim Haus- und Wohnungsbau werde in Deutschland zu viel fehleranfällige Technik verbaut, sagt ein Architekt.<span class="copyright">dpa/Christian Charisius/dpa/Symbolbild</span>
Beim Haus- und Wohnungsbau werde in Deutschland zu viel fehleranfällige Technik verbaut, sagt ein Architekt.dpa/Christian Charisius/dpa/Symbolbild

Noch immer stockt der Wohnungsbau in Deutschland gewaltig. Zudem wird der Kreis derer, die überhaupt noch einen Bau finanzieren können, immer kleiner. Ein Architekt plädiert deshalb dafür, sich endlich von hochtechnisierten Gebäuden zu verabschieden und auf „Einfaches Bauen“ zu vertrauen.

Smarte Heizungen, smarte Lüftungen, smarte Haustüren – so ziemlich alles an einer Immobilie kann heute smart sein. Nur das Bauen selbst ist es nicht mehr, sagt der Architekt und gelernte Zimmermann Florian Nagler. Wer in Deutschland baut, hat eine gigantische Auswahl an Optionen – Fußbodenheizung, Doppel- und Dreifachverglasung, Kücheninsel, Wärmepumpe, und so weiter. Dazu kommen aber auch noch irrsinnig viele Normen und Vorschriften.

Im Interview mit der „WirtschaftsWoche“ plädiert Nagler, der vom „Deutschen Architektenblatt“ mit dem Titel „Vereinfacher“ gekürt wurde, für ein völlig anderes Bauen: „Es geht um Innovation durch Reduktion, also darum, auf alles zu verzichten, was sich in den vergangenen Jahren nur begrenzt bewährt hat.“

Architekt fordert „Verzicht auf anfällige technische Ausstattung“

Jedes neue technische Problem, sagt Nagler, habe man mit mehr Technik lösen wollen. „Das Ergebnis sind hochtechnisierte, extrem komplizierte Gebäude, die in der Praxis für den Bauherren oder die Nutzer kaum in den Griff zu bekommen sind und fortlaufend Probleme bereiten“, erklärt der Fachmann.

Denn während das Haus an sich „ein paar 100 Jahre“ stehen kann, muss die Technik schon nach 25 Jahren erneuert werden. Naglers Vorschlag: Erst das bauliche Potenzial voll nutzen, und „Technik nur da einsetzen, wo es unbedingt erforderlich ist“.

Mit seinen eigenen Projekten wolle er zeigen, wie man simple und robuste Häuser bauen kann, so der Architekt weiter gegenüber der „WirtschaftsWoche“. Heißt konkret: „Hohe Decken, kompakte Grundrisse, wenige unterschiedliche Baustoffe und den Verzicht auf anfällige technische Ausstattung.“ Das seien beispielsweise elektronisch gesteuerte Jalousien.

Nichtsdestotrotz sollen die Häuser auch gegenwärtigen Standards und Ansprüchen genügen. Nagler erklärt ebenso, dass es oft auch die Architekten selbst seien, die Probleme verursachen: „Ein vollverglastes Haus funktioniert eben leider nur mit viel Haustechnik, weil es sonst im Sommer unerträglich heiß darin wird.“

Wohnungsbau hinkt Zielen der Bundesregierung weiter hinterher

Nagler spricht sich nicht als Erster für ein Umdenken beim Bau aus. Seit Jahren schon werden in Deutschland viel weniger Wohnungen gebaut, als gebraucht werden. 2023 wurden lediglich gut 294.000 Einheiten fertiggestellt, so Daten des Statistischen Bundesamts . Der sogenannte Bauüberhang verringerte sich damit auf 826.800 Wohnungen, wovon 390.900 bereits im Bau sind.

Allerdings war dafür auch ein herber Rückgang der Baugenehmigungen von 26,7 Prozent verantwortlich. Und: Ziel der Bundesregierung ist eigentlich, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu schaffen. Dieses Ziel wird mittlerweile seit Jahren deutlich verfehlt.

Eine Hürde dabei, betonen Architekten und Marktexperten immer wieder, sei das komplizierte Baurecht, welches sich zu alledem noch erheblich zwischen den einzelnen Bundesländern unterscheiden kann. Aber eben auch die Kritikpunkte Naglers werden häufig genannt – überbordende Technik und der Anspruch, aus jedem Gebäude ein Unikat zu machen.

Diverse Bauexperten sprechen sich daher seit geraumer Zeit für eine Rückkehr zum Gedanken des „Plattenbaus“ aus. Zwar sind die standardisierten Blöcke, vor allem in Ostdeutschland, verschrien. Aber: Die Gebäude waren günstig, schnell gebaut und leicht zu bewirtschaften.

Neuer „Gebäudetyp E“ schafft neue Freiheiten

Nagler lobt daher die Pläne für einen „Gebäudetyp E“, welche die Bundesländer und Bauministerin Klara Geywitz (SPD) entwickelt haben. „Die Idee dahinter ist, nur das zu bauen, was man wirklich braucht, und dass in der Folge der Häuserbau einfacher, schneller und kostengünstiger werden könnte. Für mich steckt da sehr viel Potenzial drin“, sagt Nagler.

Zwar stehe dieses Verfahren bislang nur professionellen Bauherren offen. Dennoch schaffe es neue Freiheiten: „Das Ziel des Gebäudetyps E ist auch nicht, absichtlich gegen so viele Baunormen wie möglich zu verstoßen. Es geht darum, einfachere – und günstigere – Lösungen zu finden und bei sich widersprechenden Vorschriften zu einer sinnvollen Lösung kommen zu können.“

So riskiere Nagler nun nicht mehr, dass ein Gutachter später das Missachten einer DIN-Norm feststellt, und dadurch eine Klage folgt, obwohl kein Schaden vorliege, erklärt der Architekt gegenüber der „WirtschaftsWoche“.

Mit seinem Konzept des „Einfachen Bauens“ könne Wohnraum, ähnlich wie beim „modularen“ und „seriellen“ Bauen wieder günstiger geschaffen werden. Am meisten Geld spare man nämlich, indem die Ansprüche zurückgedreht werden – „das ist unser Hauptproblem: dass wir ständig unsere Ansprüche nach oben schrauben.“

Fachmann nennt Sanierung von Millionen Häusern „illusorisch“

Zum Teil komme das bei der Industrie nicht gut an. Immerhin hätten die Firmen schon Unsummen investiert, um beispielsweise „Fertigteilstürze mit integrierten Rollladenkästen“ zu entwickeln. Auf der anderen Seite, erklärt Nagler, seien auch viele Bauunternehmen von den unzähligen Vorschriften genervt, zumal teilweise vorher schon klar sei, ob etwas funktioniere oder nicht. „Einfaches Bauen“ wiederum sei weniger fehleranfällig.

Beim Thema Sanierung – was in den folgenden Jahren ebenfalls viele Hausbesitzer beschäftigen dürfte – gebe es ebenso Potenzial, sagt Nagler. Es sei „illusorisch“, alle 16 Millionen sanierungsbedürftige Gebäude in Deutschland auf einen gewissen Standard zu bringen. „Dafür gibt es weder das Geld, noch die Materialien, noch das Personal.“

Schon mit wenigen simplen Maßnahmen aber könne man viel rausholen – etwa mit einer Dämmung der Kellerdecke oder der Ertüchtigung der Fenster. Einen pauschalen Tipp für alle Hausherren, die sanieren wollen, hat der Experte indes nicht: „Wir werden nicht umhinkommen, uns mit jedem einzelnen Haus eingehend zu beschäftigen.“

Jedoch mahnt Nagler davor, dass beim Umbau oder der Sanierung „aktuell auch viel Quatsch gemacht wird“ – beispielsweise, weil für Fördergelder die ein oder andere Maßnahme unbedingt umgesetzt wird. Seines Erachtens wäre es sinnvoller, ein Ziel zu definieren, und den Weg dorthin den Besitzern selbst zu überlassen.