Alanis Morissette: "Wegen der Musik bin ich noch am Leben"

Mit "Such Pretty Forks In The Road" veröffentlicht Alanis Morissette endlich wieder neue Musik. (Bild: Shelby Duncan/Sony Music)
Mit "Such Pretty Forks In The Road" veröffentlicht Alanis Morissette endlich wieder neue Musik. (Bild: Shelby Duncan/Sony Music)

Vor 25 Jahren bewies die damals erst 21-jährige Alanis Morissette (46) mit "Jagged Little Pill" der Musikwelt, dass sich kommerziell erfolgreiche Rockmusik nicht in schablonenhaftem Genre-Denken bewegen muss. Beeinflusst vom Grunge der Neunziger und klassischen Singer/Songwritern wie Bob Dylan (79), verarbeitete Morissette in den zwölf Songs ihre Komplexe, Ängste und Verzweiflung. Die Low-Budget-Aufnahme wurde anfangs von sämtlichen Plattenfirmen abgelehnt, und als man sie dann doch veröffentlichte, stand die Musikindustrie Kopf.

"Jagged Little Pill" bescherte der noch sehr jungen Kanadierin unheimlich großen Erfolg, es ist mit über 25 Millionen offiziell verkauften Tonträgern weltweit eines der meistverkauften Alben aller Zeiten. Mit ihrer ersten Platte seit acht Jahren, "Such Pretty Forks In The Road", will die 46-Jährige nun aber nach vorne schauen. Alanis Morissette sprach darüber im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news - und erklärte, warum sie ohne die Musik nicht überlebt hätte.

Alanis Morissette, willkommen zurück. Kommen Sie gerne nach Deutschland?

Alanis Morissette: Ich liebe es. Ich habe hier gelebt als ich sehr klein war, so zwischen drei und sechs Jahren. Mit meinem Zwillingsbruder habe ich fließend deutsch gesprochen, meine Eltern konnten überhaupt kein Deutsch. Stellen Sie sich zwei Geschwister vor, die deutsch miteinander reden während sich ihre Eltern die ganze Zeit fragen: "Was haben sie da gesagt?" Ich liebe es hier zu sein, es fühlt sich auf eine gewisse Art nach Heimat an.

Haben Sie irgendwelche Erinnerungen an diese Zeit?

Morissette: Oh ja, ich habe sehr viele Erinnerungen. "Kinderschule" (lacht) und den Lehrer - beide Lehrer. Und meine Eltern haben haufenweise Fotos gemacht. Also viele gute Erinnerungen.

Ihr neues Album "Such Pretty Forks In The Road" ist ein sehr emotionales und melancholisches, aber auch ein sehr kraftvolles. Wie kam es zu dieser Platte?

Morissette: Ich habe es zusammen mit Mike Farrell geschrieben - jeden Song sehr schnell, in ungefähr 20 Minuten. Ich habe also die ganze Geschichte durchlebt und als wir dann anfingen, darüber zu schreiben, hat es sich einfach kanalisiert. Ich nenne es mein Piano-Album, weil alle Demos nur aus Piano, Vocals und Lyrics bestanden. Und als ich mir eines Tages die Abfolge der Songs anschaute, dachte ich mir: "Oh diese Platte ist melancholisch", aber mit diesem kleinen Funken Hoffnung darin. Es fühlte sich so an, als würde ich über etwas sehr Dunkles singen und gleichzeitig Platz für das Licht lassen.

Die eher melancholische Stimmung und traurigen Texte waren schon immer ein roter Faden in Ihrem Songwriting. Glauben Sie, dass glückliche Menschen ohne jegliche Konflikte gute Songwriter sein können?

Morissette: Ich weiß nicht, ob diese Leute existieren. Ich kenne niemanden der - wenn er wirklich ehrlich zu sich selbst ist - behaupten kann: "Ach alles ist perfekt." Ich denke Liebe, Wut, Angst und Traurigkeit sind alle großartige Impulsgeber. Der Song "Ablaze" zum Beispiel: Immer wenn ich betrübt war oder mich nicht geliebt gefühlt habe, egal ob wegen meiner Kinder, meines Mannes oder Menschen, die ich damals gedatet habe: Es ist leichter in Verblendung zu schreiben. Grundsätzlich ist es leichter zu schreiben, wenn ich einfach aufzeichne, was passiert. Aber bei diesem Album habe ich nicht wirklich über Themen nachgedacht bevor ich angefangen habe, sondern es auf mich zukommen lassen. Und als es fertig war dachte ich: "Oh, das ist ganz schön intensiv."

Neben Ihrem neuen Album feiert in diesem Jahr auch "Jagged Little Pill" 25-jähriges Jubiläum. Es ist definitiv Ihr Erfolgreichstes, aber ist es auch das Wichtigste für Sie persönlich?

Morissette: Nein... aber ich liebe es trotzdem. Und das Gute daran ist, dass ich die Songs immer noch singen kann, obwohl ich sie ja schon mit 19 geschrieben habe. Die Tatsache, dass ich hinter den Themen und Werten und allem, was ich damals gefühlt habe, stehen kann - das ist fantastisch!

Im Nachhinein betrachtet: Sie waren damals Anfang zwanzig. Was macht der frühe Erfolg mit einer jungen Frau? Wünschten Sie, es wäre alles nicht so schnell gegangen?

Morissette: Oh ja, und in der Unterhaltungsindustrie zu sein und ein Plattenlabel als Zehnjährige zu haben, und das ganze Schauspielern und Tanzen und Singen. Gott sei Dank, ich hatte eine Menge gute Therapie - ich bin glücklich, am Leben zu sein. Ruhm ist eine eigenartige, befremdliche Sache. Naiverweise dachte ich, dass man all diese Freunde kennenlernen und bekommen würde. Und im Grunde war es nicht ganz das, was ich mir vorgestellt habe. Es war alles ein wenig einsamer, um es einfach auszudrücken.

Die kommenden Monate werden überaus produktiv für Sie. Das ist bestimmt ein befreiendes Gefühl nach all den schweren Momenten, durch die Sie die letzte Zeit gehen mussten und teilweise immer noch gehen. Hilft dieser Ausblick?

Morissette: Ich habe mir eine Menge persönlicher Träume erfüllt, was mir über die letzten Jahre mit den drei Kindern geholfen hat. Das hat mich geerdet. Und die Menge an Menschlichkeit, die man mir auf Tour entgegenbringt und all die neuen Menschen - das mag ich sehr. Ich liebe den Reiz des Neuen und das Reisen. Es gibt einfach so viele großartige Dinge.

Und Musik kann eine unglaubliche Bereicherung sein...

Morissette: Ja, eine große Kraft. Es hat mich so sehr am Leben gehalten. Das ist der Grund, warum ich lebendig zu sein der Musik zuschreibe.

Und nicht zu vergessen die Unterstützung durch Ihren Mann.

Morissette: Ja! Ich meine, ich kann das nicht ohne Familie machen, weil ich mich an einem gewissen Punkt fragen musste: "Okay, mache ich Karriere oder werde ich Mutter?" Und es war eine dieser Entscheidungen, die ich nicht treffen konnte, keine Chance. Denn ich wurde sowohl als Mutter, als auch als Künstlerin geboren. Ich brauchte also eine Partnerschaft und eine familiäre Ordnung. Offen gesagt, eine tourende Gemeinde, die es mir erlaubte, bei all den typischen Sachen aufzutauchen. Und es funktioniert. Ich bin zwar müde und erschöpft, aber ich kann damit umgehen.

Ihr Song "Ironic" hat später für akademische Diskussionen gesorgt. Wenn das einem Musiker heute passieren würde, wäre seine Karriere wahrscheinlich für immer ruiniert. Ist es deutlich schwieriger und härter für junge Künstler im Musikgeschäft heutzutage?

Morissette: Es gibt mehr Vorgänge, die auf der Oberfläche stattfinden. Und in welchem Ausmaß auch immer ein Künstler etwas dazu beitragen kann - der Fokus liegt so stark auf dem Äußeren, Ästhetik, Sexualisierung, Eitelkeit. Das ist meiner Meinung nach alles sehr brutal. Wenn es nämlich immer außen passiert, wird es nicht lange halten. Wenn ich also Leute leiden sehe, ist es aufgrund ihrer Persönlichkeit und Seele. Egal ob es junge Künstler sind, männlich oder weiblich. Es wäre toll, von wenigstens ein oder zwei Menschen umgeben zu sein, die sich dafür interessieren, wie man sich fühlt.

Würden Sie jemandem eine Karriere in diesem Geschäft empfehlen?

Morissette: Das hängt von der Person ab. Ich verstehe, wenn jemand so viel Begabung und viele Talente besitzt, dass es eine zwingende Notwendigkeit ist, sich auszudrücken. Ich würde niemandem, der dazu geboren ist, davon abraten. Es geht um das Ausmaß, wie man in der Öffentlichkeit steht und offen gestanden, wie es sich mit Likes und solchen Dingen verhält. In zwanzig Jahren habe ich keinen einzigen Kommentar gelesen. Ich würde allen, die im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, davon abraten, ihre Kritiken zu lesen. Das ist ein unmittelbarer Killer für's Selbstwertgefühl. Sprecht mit euren Freunden, wenn ihr eine Meinung zu etwas hören wollt. Die Menschen, die euch lieben, werden es euch sagen.

Sind Sie denn momentan zuversichtlich, was Ihr eigenes Selbstvertrauen betrifft?

Morissette: Ja, da gibt es eine gewisse Kraft zurzeit. Ich meine, es existiert eine gewisse Ausdauer, die schon immer da war, aber ich fühle mich deutlich belastbarer. Ich muss auf Holz klopfen, wenn ich das sage. Und wenn mich bestimmte Dinge herausfordern, geht es schneller, sie zu bewältigen.