Deutsche Bank – erst der Absturz, jetzt der Höhenflug
Die Märkte haben sich nach einem erneuten Schock der Deutschen Bank gefangen. Die Frage nach der Verfassung der größten Bank des Landes hat die Märkte derzeit fest im Griff. Doch während es in der ersten Handelshälfte heftige Verluste gab und es zu einem Ausverkauf kam, der sich nicht nur auf Branchentitel beschränkte, scheint die Frage ab dem Nachmittag nüchterner diskutiert worden zu sein. Am Ende glich der Freitagshandel einer regelechten Achterbahnfahrt. Im Frühhandel um bis zu neun Prozent auf ein neues Allzeithoch gestürzt, berappelten sich die Papiere der am Nachmittag, ehe sie im Späthandel sechs Prozent in die Höhe schossen.
Gerüchten zufolge soll die Strafzahlung ans US-Justizministerium 5,4 Milliarden Dollar betragen, was weit weg ist von den zuerst ausgerufenen 14 Milliarden Dollar. Anleger reagierten prompt, auch wenn die Nachricht noch unbestätigt ist und lediglich die Nachrichtenagentur AFP diese Summe nennt. Der Dax dreht von einer Zwei-Prozent-Talsohle ins Plus und notierte unmittelbar vor Handelsende ein Prozent fester bei 10.509 Punkten.
Der Wirbel um die Deutsche Bank sieht im Nachhinein nach einer Überreaktion aus. Zeitweise hatten Anleger das Gespenst einer Bankenkrise vor Augen – die größte Angst der Börsianer. Die abrupte Talfahrt samt Erholung zeigt eindrücklich, welcher Faktor entscheidend ist in der Welt der Banken: Vertrauen. Wie keine andere Branche hängt das Gedeih der Geldhäuser davon ab, wie Geschäftspartner, Investoren und Konkurrenz die Lage einschätzen – unabhängig davon, wie sich diese tatsächlich gestaltet. „Obwohl Viele der Einschätzung zustimmen, dass die Deutsche Bank ein solides Unternehmen ist, schien das Händler kaum zu interessieren“, stellte etwa Aktienmarkt-Experte Markus Huber vom Brokerhaus City of London fest.
Je länger die Spekulationen um die Deutsche Bank anhielten, desto größer sei die Gefahr eines Vertrauensverlustes in die gesamte Finanzbranche. Genau damit ließen sich laut Huber auch die hohen Kursverluste in dem Bereich erklären. Im Laufe des Freitags schienen die Akteure wieder Vertrauen zu fassen. Der Leitindex der Eurozone, der Euro-Stoxx-50 notierte 0,4 Prozent leichter bei 2980 Punkten. Auch der Bankenindex der Währungsunion konnte sich fangen und notierte nach vier Prozent nur noch ein Prozent unter Vortagsniveau.
Auslöser für den zweiten Kurssturz innerhalb der laufenden Woche war ein Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg, wonach bestimmte Hedgefonds teilweise überschüssige Geldbestände und Positionen reduziert hätten. Unter Berufung auf ein vorliegendes Dokument ist die Rede von etwa zehn Hedgefonds. Dazu zählen der 34 Milliarden Dollar schwere Fonds Millennium Partners, Rokos Capital Management (vier Milliarden Dollar) und Papula Investments (14 Milliarden Dollar), schreibt der Finanzinformationsdienst.
Die Deutsche Bank versucht die Lage zu entspannen und verweist auf ihr stattliches Liquiditätspolster. In einem Brief an seine Mitarbeiter mahnt Deutsche-Bank-Chef John Cryan zu Ruhe: „Zu keinem Zeitpunkt in den vergangenen zwei Jahrzehnten war die Deutsche Bank, was ihre Bilanz angeht, so sicher wie heute.“ Die Bundesregierung dementierte am Freitag erneut die Medienberichte, dass an einem Notfallplan gearbeitet werde. Als die befürchteten Meldungen von Krisensitzungen in der Politik oder dem Management ausblieben, beruhigte sich die Situation wieder.
Commerzbank am Ende der Verlierer des Tages
Die Turbulenzen bei der Deutschen Bank fanden vor genau zwei Wochen ihren Anfang. Die Forderung des US-Justizministeriums von bis zu 14 Milliarden Dollar – 12,5 Milliarden Euro – hatte die Märkte auf dem falschen Fuß erwischt. Es geht dabei um Schadens- und Strafzahlungen wegen umstrittener Hypothekengeschäfte vor dem Ausbruch der Finanzkrise. Zwar gehen Experten und Beteiligte davon aus, dass die tatsächliche Summe deutlich niedriger sein wird, als die derzeit ausgerufene – so war es schon in Prozessen gegen andere Banken der Fall gewesen. Die selbst erwartet eher eine Zahlung zwischen drei und zwei Milliarden.
Sollte die Summe jedoch höher ausfallen als die Rücklagen des Geldhauses, dürfte das problematisch werden. Das ist es, was die Anleger zurückschrecken lässt. Die Bank selbst hat insgesamt 5,5 Milliarden Euro für Rechtsstreitigkeiten zurückgestellt. Weitere bedeutende Rechtskosten sind noch unklar – etwa wegen Vorwürfen, im Russland-Geschäft gegen US-Sanktionen verstoßen zu haben.
Die Probleme der Deutschen Bank zogen die Aktienkurse der ganzen Branche in Mitleidenschaft. Im Dax verlor die Commerzbank schnell noch deutlicher als die Deutsche Bank selbst. Sie blieb mit einem Abschlag von 2,7 Prozent sowohl im Dax als auch im Bankenindex der Eurozone einsames Schlusslicht. Die italienischen Geldhäuser, ohnehin durch faule Kredite in Milliardenhöhe belastet, gerieten in den Abwärtssog, zeigten sich bei der schnellen Erholung aber umso fester.
Mit der Wende ins Plus konnte der Dax auch einen Teil seiner Wochenverluste aufholen. Im Vergleich zum Freitag der vergangenen Woche notierte der Dax nun zwei Prozent schwächer. Die zweite Frankfurter Reihe zeigte sich zum Wochenausklang weniger unter Druck als der große Bruder, gab am Ende aber im Gegensatz zu diesem nach. Die Nebenwerte des MDax notierten 0,1 Prozent leichter bei 21.470 Zählern, der TecDax rückte ein halbes Prozent vor auf 1793 Punkte.
In Tokio war der Nikkei anderthalb Prozent tiefer ins Wochenende gegangen. Der Dow-Jones-Index lief am Freitag erleichtert und gewann an der Wall Street 0,7 Prozent hinzu auf 18.269 Punkte, was sicherlich auch dazu beitrug, dass die Stimmung in Europa aufklarte.
Deutlicher Gewinner im Dax war Infineon. Spekulationen auf eine Fusionswelle in der Chipbranche ließen die Papiere mehr als zwölf Prozent in die Höhe schießen. Genährt wurden die Spekulationen Börsianern zufolge von Medienberichten, denen zufolge der US-Konzern Qualcomm den niederländischen Rivalen NXP übernehmen wolle. Die Transaktion könnte ein Volumen von mehr als 30 Milliarden Dollar haben.
KONTEXT
Wo die Deutsche Bank überall Ärger hat
US-Sanktionen
Schon länger steht die Deutsche Bank im Verdacht, gegen Sanktionen verstoßen zu haben, die die USA gegen Länder wie den Iran verhängt haben. Für die Missachtung von Sanktionen zahlte das Geldhaus im November 2015 bereits 260 Millionen US-Dollar. Die Bank hatte betont, sie habe sich bereits 2007 aus Iran-Geschäften zurückgezogen. Auch andere Finanzinstitute mussten für Vergleiche in der Sache bereits tief in die Tasche greifen: Die französische BNP Paribas zahlte knapp neun Milliarden Dollar, die Commerzbank 1,45 Milliarden Dollar.
Zinsskandal
Wegen der Manipulation wichtiger Referenzzinssätze wie Euribor und Libor musste die Deutsche Bank viel Geld abdrücken. Die EU-Kommission verhängte bereits Ende 2013 eine Strafe von 1,7 Milliarden Euro gegen sechs Großbanken, davon entfiel mit 725 Millionen Euro (990 Millionen US-Dollar) der Löwenanteil auf das Frankfurter Geldhaus. Die Behörden in Großbritannien und den USA brummten der Bank eine Rekordstrafe von 2,5 Milliarden Dollar auf, davon 2,175 Milliarden US-Dollar in den USA und 226,8 Millionen in Großbritannien.
Diese Beträge wurden bis auf 150 Millionen US-Dollar vollständig gezahlt, ein Urteil zu dem ausstehenden Betrag wird für den 7. Oktober 2016 erwartet. Die deutsche Finanzaufsicht Bafin hat in ihrem Bericht zur Zinsaffäre eine Reihe von Top-Managern scharf angegriffen und ihnen zu laxe interne Kontrollen beziehungsweise eine mangelnde Aufklärung der Tricksereien vorgeworfen. Darunter war auch Co-Vorstandschef Anshu Jain, der im Frühsommer 2015 sein Amt zur Verfügung stellte. Einen Zusammenhang zwischen dem Rücktritt und dem Bafin-Bericht wies die Bank allerdings zurück.
Mit vier mutmaßlich in den Zinsskandal verwickelten Händlern hat sich die Deutsche Bank in Frankfurt nach langem Hin und Her auf einen Vergleich geeinigt, der ebenfalls Geld kostete. Ob das Zinskapitel wirklich abgeschlossen ist, ist offen. In den USA könnten auch Sammelklagen von Anlegern gegen die Bank zugelassen werden. Sie müssen aber eindeutig nachweisen, dass ihnen durch die Manipulationen Nachteile entstanden sind.
US-Hypotheken
Ende 2013 zahlte die Deutsche Bank 1,4 Milliarden Euro (1,919 Milliarden US-Dollar) für die Beilegung ihres größten Rechtsstreits im Zusammenhang mit fragwürdigen Hypothekengeschäften in den USA. Das Institut soll vor der Finanzkrise beim Verkauf von Wertpapieren, die mit Hypotheken unterlegt sind, falsche Angaben gemacht haben. Andere Verfahren, die die amerikanischen Federal Housing Finance Agency (FHFA) gegen die Deutsche Bank und weitere Häuser angestrengt hatte, sind aus dem Vergleich jedoch ausgeklammert. Auch andere Klagen liegen noch auf dem Tisch und könnten potenziell viel Geld kosten.
CO2
Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelte gegen die Bank wegen des Verdachts der Umsatzsteuerhinterziehung im Zusammenhang mit dem Betrug mit CO2-Verschmutzungsrechten. Rund 500 bewaffnete Polizisten und Steuerfahnder hatten deshalb Ende 2012 den Hauptsitz der Bank in Frankfurt und andere Büros durchsucht. Ex-Co-Chef Fitschen und der langjährige Finanzvorstand Stefan Krause gehörten zu ursprünglich 25 Mitarbeitern der Bank, gegen die in der Affäre wegen schwerer Steuerhinterziehung ermittelt wurde. Denn Fitschen und Krause hatten die auf dem CO2-Betrug basierende Steuererklärung unterzeichnet. Im August 2015 erhob die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt schließlich gegen acht beteiligte Kundenbetreuer und Händler der Deutschen Bank Anklage wegen "bandenmäßiger Steuerhinterziehung". Im Juni 2016 verurteilte das Frankfurter Landgericht sechs ehemalige Beschäftigte der Deutschen Bank, weil sie die millionenschweren Steuerbetrügereien ermöglicht hatten.
Devisen und Derivate
Aufseher, darunter auch die Bafin, gehen dem Verdacht nach, dass Banken am billionenschweren Devisenmarkt ebenfalls getrickst haben. Einige internationale Großbanken haben in der Sache bereits milliardenschwere Vergleiche geschlossen. Die Deutsche Bank als einer der größten Devisenhändler der Welt allerdings noch nicht.
Sie hat Finanzkreisen zufolge aber mehrere Händler vom Dienst suspendiert. Sie stehen offenbar im Verdacht, an Referenzkursen gedreht zu haben. Die Bank ist beklagte in drei Sammelklagen in den USA und zwei kanadischen Sammelklagen, die im September 2015 erhoben wurden. Die Deutsche Bank hat erklärt, dass sie zur Aufklärung des Skandals mit verschiedenen Aufsichtsbehörden zusammenarbeitet und zudem eine interne Untersuchung gestartet hat. Diese Untersuchung ergab nach Angaben aus Finanzkreisen, dass es bislang keinerlei Hinweise auf Tricksereien bei den großen Währungen Euro, Dollar, Pfund und Yen gibt, wohl aber vereinzelt beim russischen Rubel und dem argentinischen Peso.
Vom Haken sind die Frankfurter aber nicht: In der US-Niederlassung der Bank installierte die New Yorker Finanzaufsicht DFS einen Kontrolleur, der sich Finanzkreisen zufolge nun schon seit einigen Monaten das elektronische Devisenhandelssystem genauer anschaut. Demnach sind Algorithmen der Plattform "Autobahn" Teil der Ermittlungen. Amerikanische und deutsche Aufseher gehen zudem dem Verdacht nach, dass Geldhäuser den viel beachteten Marktindex für Swap-Geschäfte (Isdafix) zu ihren Gunsten beeinflusst haben. Die Deutsche Bank hat für Zinsswap-Manipulationen bereits 50 Millionen US-Dollar zahlen müssen.
Geldwäsche in Russland
Im Juni 2015 war bekannt geworden, dass Ermittler rund um den Globus dem Verdacht nachgehen, russische Kunden könnten über die Deutsche Bank Rubel-Schwarzgeld im Wert von mindestens sechs Milliarden Dollar gewaschen haben. Die Bank hat versprochen, zur Aufarbeitung der Affäre mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Mehrere Mitarbeiter in der Moskauer Niederlassung wurden deshalb vor die Tür gesetzt, darunter auch der ehemalige Chef-Händler in Russland, Tim Wiswell.
Inzwischen hat die Affäre eine neue Dimension erreicht: Das US-Justizministerium und die Finanzbehörde von New York (DFS) prüfen laut einem Medienbericht, ob die Bank gegen Sanktionen verstoßen hat. Dabei gehe es auch um die Frage, ob Geschäfte mit Vertrauten von Russlands Präsident Wladimir Putin gemacht wurden und ob die Bank intern geeignete Vorkehrungen getroffen hat, um solche Verstöße zu verhindern.
US-Steuerstreit
Das US-Justizministerium ermittelt seit mehr als fünf Jahren gegen Finanzinstitute in der Schweiz wegen mutmaßlicher Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Am Haken haben die Behörden seit 2013 auch die Deutsche Bank. Deren Schweizer Tochter erstatte Selbstanzeige. Finanzkreisen zufolge hat sich die Deutsche Bank bei den US-Behörden gemeldet, weil sie den Verdacht hegte, einige US-Kunden könnten ihr Vermögen in der Schweiz vor dem heimischen Fiskus versteckt haben. Seither würden Daten an die USA geliefert und Anfragen beantwortet. Eine Strafzahlung könne die Bank damit aber wohl nicht abwenden, sondern nur auf einen Rabatt hoffen. Eine Entscheidung steht noch aus. Das Bußgeld kann sich auf bis zu 50 Prozent der versteckten Gelder belaufen. Bereits im Dezember 2010 hatte die Deutsche Bank 550 Millionen US-Dollar Strafzahlungen für Beihilfe zur Steuerhinterziehung zahlen müssen.