"Alles, was ich über Schwule wusste, war falsch": TV-Doku beleuchtet Evangelikale in den USA

Alkohol trinken, rauchen oder über andere Leute lästern ... So was ist in unserer Gesellschaft völlig normal. In den USA gelten diese "weltlichen Dinge" vielerorts als Sünde. Wie verbreitet Evangelikale und ihr radikaler Glaube tatsächlich sind, beschreibt eine sehenswerte ZDFinfo-Dokumentation.

Wenn Kaplan Mark O'Donnell in der Memorial Baptist Church in Louisa im US-Bundestaat Virginia seine Predigt hält, hat er nicht nur seine Bibel immer in greifbarer Nähe, sondern auch seine Knarre. "Ich trage die Waffe, weil es zum Job eines Pastors gehört, seine Herde zu behüten. Spirituell und physisch", erklärt der erzkonservative und strenge Priester. "Ich nehme das sehr ernst." Für ihn sind Homosexualität, Lügen und Diebstahl schwere Sünden - und jeder, der eine solche Verfehlung begeht, werde "in der Hölle schmoren". - Wer glaubt, dass es sich bei Mark O'Donnell um einen Einzelfall handelt, der irrt. Mehr als 60 Millionen Menschen der USA sind Evangelikale; sie sind damit die größte Religionsgruppe in den Staaten. Viele von ihnen lehnen wissenschaftliche Fakten ab - sie nehmen die Schöpfungsgeschichte der Bibel ernst und halten den Urknall und die Evolution für eine Lüge. Tatsächlich sollen einer Umfrage zufolge 40 Prozent der Amerikaner daran glauben, dass die Erde vor 6.000 Jahren innerhalb von sechs Tagen geschaffen worden ist.

Filmemacherin Sarah Fournier spricht in der ZDFinfo-Dokumentation "Bibeltreue Supermacht - Evangelikale in den USA" (2019) mit überzeugten Evangelikalen, deren Leben stark von ihrem Glauben geprägt ist. In dem knapp 45 Minuten langen Beitrag, der am Dienstag, 28. Juli, 19.30 Uhr, ausgestrahlt wird, bietet sie Einblicke in eine teilweise fanatische Gesellschaft in vor allem ländlichen Regionen, in der die Kirche und die Bibel einen sehr hohen Stellenwert einnehmen. Dazu besucht sie unter anderem eine christliche Schule, das "Museum der Schöpfung", einen christlichen Themenpark mit nachgebauter Arche Noah, oder auch das Creation-Festival auf einer Farm in Pennsylvania.

Eine Date mit der Angebeteten - vor den Augen der Eltern

Letzteres ist mit 60.000 Musikfans Amerikas größtes christliches Festival. Die meisten der Anwesenden sind jünger als 25 Jahre, so auch die 18-jährige Zoey. Sie hat sich dazu entschlossen, sich vor dem Start des Festivals taufen zu lassen, um "wiedergeboren" zu werden, wie sie vor laufender Kamera beteuert. Nach der Tauf-Zeremonie wird gefeiert - in Anwesenheit Gottes, und ohne Drogen oder Alkohol. "Ganz ehrlich: Ich habe Drogen und Alkohol probiert, und nichts kommt an das heran, was ich jetzt fühle", erzählt die Schülerin.

Generell ist Abstinenz eine strenge Regel der Evangelikalen. "Weltliche Dinge" wie Klatsch und Tratsch, Alkohol trinken, rauchen, Drogen nehmen, über andere Menschen zu reden sowie Abtreibung und Homosexualität gelten für sie als Sünde. Sogar Sex vor der Ehe ist ein absolutes Tabu. "Man kann Freunde oder Eltern zu einer Verabredung mitnehmen. Dann vermeidet man die Versuchung", berichtet ein Schüler der Privatschule First Academy in Leesburg in Florida. An dieser Schule lernt jede Klasse täglich eine Stunde lang die Bibel auswendig.

Doch was passiert, wenn jemand dem Glauben den Rücken kehrt? Auch das beleuchtet der sehenswerte ZDFinfo-Beitrag: Der 28-jährige Brian wuchs mit der Kirche auf, doch im Laufe seines Studiums lernte er die Wissenschaft sowie ein atheistisches Mädchen kennen, und sein bester Freund outete sich als schwul. "Alles, was ich über Schwule wusste, war falsch", musste Brian feststellen. Er trennte sich von der Kirche.

Atheisten gelten, ähnlich wie Homosexuelle, als Sünder

Doch viele Atheisten werden wie Abtrünnige behandelt und ausgestoßen. Sie gelten als Sünder, die ihre Kultur verraten, daher halten viele ihren Ausstieg vor der Familie geheim. "Es ist ein Stigma, vor allem in Texas, nicht religiös zu sein. Das ist fast, wie wenn jemand schwul ist und sich vor der Familie outen muss", berichtet ein Veranstalter einer Atheisten-Versammlung. Auch Brians Mutter hat Schwierigkeiten damit, seine Abkehr von der Kirche zu akzeptieren: "Ich will nicht, dass er eine Ewigkeit in der Hölle verbringen muss. Ich würde alles opfern, damit er in den Himmel kommt."

Viele US-Bürger halten die Atheisten für ein nationales Problem, das man zur Not auch mit Gewalt und Waffen lösen muss. Der bewaffnete Kaplan Mark O'Donnell geht regelmäßig mit den Polizisten auf Streife, "um verlorene Schafe zur Herde" zurückzuführen. In der Dokumentation halten sie eine "Sünderin" auf: Die 20-jährige Courtney sitzt in einem Auto, das stark nach Marihuana riecht. Kaplan O'Donnell nutzt den Moment, um seine eindringlichen Worte direkt an sie zu richten: "Ich glaube, Gott hat Sie heute Abend zu uns geführt. Es ist, als ob Gott sagt: 'Ich liebe dich, und ich möchte, dass du einen anderen Weg einschlägst'. Das hier sollte Sie wirklich wachrütteln. Ich hoffe, Sie werden sich an die Handschellen und die Angst vor dem Gefängnis erinnern." Es ist eine radikale Sichtweise, die die Dokumentation einfängt, bei der man sich unweigerlich fragt, wo das noch hinführen mag.