Allianz-Vorstand Günther Thallinger - „Die Transformation ist keine Herausforderung - es wird immer einfacher“

Allianz-Vorstand Günther Thallinger am Donnerstag auf der DLD Nature<span class="copyright">Michaela Stache für DLD / Hubert Burda Media</span>
Allianz-Vorstand Günther Thallinger am Donnerstag auf der DLD NatureMichaela Stache für DLD / Hubert Burda Media

Was kostet uns der Klimawandel? Und wie bekommt die Wirtschaft die grüne Transformation hin? Als Vorstand beim Allianz-Konzern muss sich Günther Thallinger tagtäglich mit den ganz großen Fragen beschäftigen. Seine These lautet jedoch: Deutschland überschätzt maßlos, wie schwer die grüne Wende wird. Ein Gespräch am Rande der Konferenz DLD Nature.

FOCUS online Earth: Herr Thallinger, als wir sprechen, ist es Donnerstag und für das Wochenende kündigen sich schwere Unwetter an, die zum Teil auch Deutschland treffen sollen. Blicken Sie als Versicherungskonzern da mit Sorge drauf?

Günther Thallinger: Zunächst einmal nehmen wir das wahr und bereiten uns entsprechend vor. Denn es kann ja tatsächlich etwas Schlimmeres passieren. Registrierte Kundinnen und Kunden erhalten eine Warn-SMS von uns, falls für sie vor Ort ein Unwetter droht. So können sie sich und ihre Wertgegenstände rechtzeitig in Sicherheit bringen.

Neben dieser Prävention aktivieren wir unsere Schadenteams: Unsere Leute müssen im Fall der Fälle vor Ort sein, wir müssen schnell handeln. Und das geht recht tief. Die ganze Maschine muss vorbereitet sein, damit unsere Kunden schnell ihre Schäden bezahlt bekommen. Das kann auch Wochenendarbeit bedeuten. Und natürlich kann es sein, dass es die Vorbereitung am Ende dann doch nicht gebraucht hat. Aber da sind wir dann auch nicht unglücklich drüber.

Werden solche Sondereinsätze mit dem Klimawandel häufiger? Was früher als „Jahrhunderthochwasser“ galt, fühlt sich mittlerweile nicht mehr wie eines an.

Thallinger: Dass es häufiger wird, das ist, glaube ich, völlig unbestritten. Es ist natürlich so, dass die wettergetriebenen Vorfälle und damit natürlich auch die Schäden zunehmen, sowohl in der Frequenz als auch in der Größenordnung. Die Höhe der versicherten Schäden weltweit durch Naturkatastrophen liegt jetzt zum fünften Jahr in Folge bei 100 Milliarden Euro. Das ist schon außerordentlich, das war früher nicht so.

Da wird nicht überall in der Finanzdienstleistungsindustrie eine ehrliche Diskussion darüber geführt, aber natürlich müssen da gerade Versicherungen aktiv werden - und das auch langfristig. Was sind Maßnahmen, wie wir Häuser vor Extremregen schützen können? Was können wir tun, damit gewisse Bäche nicht plötzlich über die Ufer treten? Risikoberatung für unsere Versicherungsnehmer haben wir schon immer gemacht, aber mittlerweile ist sie deutlich bedeutsamer geworden. Weil sie wesentlich mehr Versicherungsnehmer betrifft.

Wenn Sie sagen, dass Sie als Dienstleister aktiv werden „müssen“, dann gilt das auch in Ihrem eigenen Interesse, oder? Inwiefern bedrohen die sich verändernden Klimabedingungen Ihr Geschäftsmodell?

Thallinger: Kalifornien ist ein typisches Beispiel. Dort gibt es mittlerweile so viele Waldbrände, dass man die Häuser gegen diese Gefahr nicht mehr schützen kann. Eine Versicherung funktioniert ja so, dass ein großer Kreis an Menschen zusammenkommt und sagt: Wir möchten uns vor diesem Ereignis schützen. Und als Versicherer hat man dann diese klassischen Diversifikationseffekte, dass nicht jeder diesen Schaden auch erleiden wird - damit lässt sich dann für den einzelnen Betroffenen der Schaden finanziell abdecken.

Wenn jetzt aber bestimmte Ereignisse sehr häufig werden, funktioniert dieses Diversifikationsprinzip nicht mehr. Und das ist natürlich etwas, das uns Versicherern Sorgen macht. Wenn wir die Prämien für Versicherungen immer weiter erhöhen müssen, damit das Prinzip noch funktioniert, schließt das ein Geschäft mit Versicherungen irgendwann aus. Sie haben also Recht: Sich für Veränderungen zu engagieren, ist auch im ureigensten Geschäftssinn notwendig.

Aber was kann ein Versicherungs- und Investmentkonzern wie die Allianz tun, um diese Veränderungen herbeizuführen? Sie können ja schlecht damit anfangen, keine Diesel-Autos mehr zu versichern.

Thallinger: Wir glauben, dass es immer ein schlechtes Vorgehen ist, etwas grundsätzlich auszuschließen. Dann heben wir uns einfach in eine Parallelwelt und nehmen an der Lösungsfindung nicht mehr teil. Trotzdem ist uns natürlich klar, dass wir bestimmte Formen von wirtschaftlichen Prozessen so nicht beibehalten können. Auch wenn es manche Leute anders sehen mögen, ist es zum Beispiel eindeutig: Wir können mit Verbrennungsmotoren nicht einfach weitermachen.

Als Versicherer können wir auch beim Beheben von Schäden am Auto dazu motivieren, nicht neue Materialien zu verwenden, sondern Materialien aus dem Kreislauf zu nutzen.  Und da leisten auch wir als Allianz unseren Beitrag. Seit April 2024 verwerten wir geeignete Fahrzeuge mit Totalschaden nur noch durch zertifizierte Verwerter, die sich verpflichtet haben, die Fahrzeugteile bevorzugt dem heimischen Reparaturmarkt zur Verfügung zu stellen.

Bei Autos kann man sich das noch gut vorstellen. Aber die Allianz ist auch ein Investment-Konzern, mit Beteiligungen an vielen anderen Unternehmen. Gibt es da überhaupt einen Hebel?

Thallinger: Als Investor können wir schon so etwas Ähnliches machen. Wir können natürlich mit den Unternehmen, die wir finanzieren, eine Diskussion darüber führen, welche Form von Transformation sie tatsächlich vorhaben und dass wir dort Engagement erwarten. Und wenn es dieses Engagement nicht gibt, ziehen wir uns eben zurück. Damit haben wir schon einen gewissen Hebel, weil wir ein recht großer Investor sind. Wir sind schon jemand, der am Kapitalmarkt eine gewisse Wirkung erzielt, und die Leute wollen mit uns auch wirklich darüber diskutieren.

Sind das dann oft unangenehme Diskussionen?

Thallinger: Ach, das ist halt Transformation. Wir haben zur Transformation die Meinung, dass sie dramatisch viel billiger ist als das Nichtstun. Es gibt diese berühmte Schätzung des Historikers Yuval Noah Harari, dass jedes Land ungefähr zwei Prozent des Bruttosozialproduktes braucht, um eine Transformation umzusetzen.

Mir gefällt auch der Vergleich mit Bruttoinvestments. Diese lagen 2023 in Deutschland bei ungefähr 900 Milliarden Euro pro Jahr, für die Transformation brauchen wir pro Jahr etwa 60 bis 100 Milliarden Euro. Das heißt, wir brauchen zehn Prozent der deutschen Bruttoinvestments pro Jahr für die Transformation. Das erscheint mir durchaus machbar. Da haben wir schon ganz andere Dinge gemacht, mit ganz anderen Einsätzen. Die Transformation wird, was ihren Aufwand und ihren Schwierigkeitsgrad angeht, wirklich unglaublich groß gemacht in Deutschland.

Günther Thallinger am Donnerstag auf der Bühne der DLD Nature mit Biodiversitäts-Expertin Frauke Fischer<span class="copyright">Dominik Gigler für DLD / Hubert Burda Media</span>
Günther Thallinger am Donnerstag auf der Bühne der DLD Nature mit Biodiversitäts-Expertin Frauke FischerDominik Gigler für DLD / Hubert Burda Media

Hat Deutschland in Ihren Augen ein Debattenproblem, was die Transformation angeht? Als Nachrichtenleserin oder -leser schluckt man natürlich erstmal beim Anblick von Schlagzeilen wie: „Die Transformation wird 100 Milliarden Euro im Jahr kosten.“

Thallinger: Ja, es gibt absolut ein Debattenproblem. Die 100 Milliarden müssen wir ja auch als Investition betrachten. Das ist die Summe, die wir investieren müssen, damit wir eine Wirtschaft haben, die wesentlich stabiler ist, wesentlich weniger riskant, die gesünderes Leben für uns bietet und die auch noch billiger ist. Da erscheint mir der Investment Case jetzt nicht so dramatisch schwierig. Das kann man schon machen.

Aber warum tun wir es dann nicht?

Thallinger: Wir müssen es halt einfach mal so darstellen. Wenn natürlich viele Leute oder viele Medien ohne jeden Kontext kommunizieren: „Bis 2045 brauchen wir 1500 Milliarden oder sogar 2000 Milliarden" - dann ist das intellektuell richtig verlogen. Da fällt ja auch gerne unter den Tisch, dass wir für die Subvention von fossilen Brennstoffen in Deutschland 40 bis 60 Milliarden pro Jahr ausgeben. Davon ließe sich ja auch ein Teil für die Transformation abzwacken.

Was dann aber schnell zu Verteilungsdebatten führt.

Thallinger: Man muss natürlich damit anfangen, manche Dinge anders zu denken. Im Luftverkehr haben wir zum Beispiel das Chicagoer Abkommen von 1944, durch das Kerosin im internationalen Flugverkehr nicht besteuert wird. Das könnten wir vielleicht mal anders denken, nach 80 Jahren. Dann besteuern wir Kerosin ähnlich wie Diesel - macht schon mal fünf bis acht Milliarden.

Da werden vielleicht ein paar Leute weniger fliegen, aber wir müssen uns auch ehrlich machen. So eine Kerosinsteuer würde die Ticketpreise ungefähr um zehn bis zwanzig Prozent erhöhen. Nach dem Ende der Corona-Pandemie sind die Preise für Flüge nach Italien um 70 Prozent hochgegangen. Allerdings scheint es mir so zu sein, dass die Menschen sich durchaus weiterhin noch Flüge nach Italien leisten.

Aber sehen Sie den politischen Mut dafür gegeben?

Thallinger: Da geht auf alle Fälle was. Ich glaube, die gegenwärtige Regierung hat da auch tatsächlich einiges sehr gut angestoßen. Wir nehmen in Deutschland mit dem CO2-Preis derzeit circa 20 bis 25 Milliarden Euro im Jahr ein. Das kann man super für ein Wohngeld nutzen – hat die Regierung ja gemacht – oder vielleicht für so was wie ein Klimageld, das dann an die Bevölkerung zurückfließt. Das hätte auch gleich den großen Vorteil, dass wir mal diese Form von Ungleichheit, die es ja gibt beim Thema Klima, ein bisschen anfassen. Wer besonders viele Emissionen produziert - also vor allem die oberen Einkommensschichten - zahlt dann eben drauf und andere mögen sogar vielleicht daran verdienen. Finde ich total in Ordnung.

Es muss da eine Form von sozialer Gerechtigkeit geben, vor allem wenn wir irgendwann die Subventionen herausnehmen. Wenn wir uns die 40 bis 60 Milliarden Euro für fossile Subventionen sparen, sind zwei Drittel der nötigen Mittel schon da. Deswegen verstehe ich nicht, worüber die Leute sprechen, wenn sie das Gefühl haben, diese Transformation ist eine wahnsinnige Herausforderung. Es wird im Gegenteil immer einfacher, wenn wir mal richtig anfangen.

Trotzdem wird die öffentliche Debatte immer giftiger - Stichwort Heizgesetz, Stichwort Verbrenner. Woran machen Sie das fest?

Thallinger: An der Stelle sollte ich vielleicht anmerken, dass ich Österreicher bin. Ich bin nur Gastarbeiter hier (lacht). Aber aus Sicht von jemandem, der sehr dankbar ist, dass er hier arbeiten darf, ist das eine rein politisch getriebene Diskussion. Es ist wirklich verblüffend, dass uns allen klar ist, dass wir diese Transformation eingehen müssen, und trotzdem diskutieren wir in Deutschland noch über die Wärmepumpe.

Ich mag diesen alten Witz sehr gerne: Was haben das Tempolimit auf Autobahnen und die Wärmepumpe gemeinsam? Sie funktionieren überall auf der Welt, nur nicht in Deutschland. Vielleicht machen wir uns da mal Gedanken darüber.

Angesichts der Krise bei VW wird auch derzeit viel über Subventionen für E-Autos diskutiert. Aber sind Subventionen nicht ineffizient? Sollten wir am Ende des Tages einfach den Markt entscheiden lassen, flankiert von einem starken CO2-Preis? Oder braucht es Subventionen in Ihren Augen weiterhin?

Thallinger: Ich glaube wirklich, dass ein CO2-Preis sehr viel Sinn ergibt. Ich glaube aber nicht, dass er das einzige Mittel ist. Elektrisch betriebene Autos sind eine mentale Umstellung, die aber dramatisch viel leichter fällt, wenn es eine Form der Unterstützung gibt. Das sollten wir einfach machen. Wir müssen nur die kritische Masse erreichen, so wie Norwegen zum Beispiel. Dort ist es völlig normal, dass man ein elektrisches Auto kauft. Es sollte auch bei uns völlig normal sein. Andererseits braucht es auch den CO2-Preis, um sicherzustellen, dass Fliegen zum Beispiel teurer ist als Bahnfahren. Es gibt immer noch Menschen, die fliegen von München nach Berlin.

Dürfen Sie das noch bei der Allianz? Also für Geschäftsreisen von München nach Berlin fliegen?

Thallinger: Da haben wir ein ganz klares Vorgehen: Diese Form von Fliegerei ist nicht sinnvoll. Insgesamt spart man da nicht mal Zeit. Und trotzdem machen es viele Leute noch. Das finde ich total faszinierend.

Sie kommen aus dem Investmentbereich und haben dort viel mit anderen großen Unternehmen zu tun. Wie stehen Sie zu den Beschwerden, dass die Klima-Auflagen der EU zu gewaltiger Bürokratie für die Wirtschaft führen - Stichwort Nachhaltigkeits-Berichterstattung, Stichwort Lieferkettengesetz?

Thallinger: Das finde ich ganz witzig: Natürlich gibt es immer irgendwo Ineffizienzen. Aber viele Leute, die über zu viel Bürokratie schimpfen, könnten durchaus auch mal im eigenen Unternehmen schauen, ob sie da nicht ein paar Ineffizienzen eliminieren können. Lustigerweise gelingt das oft nicht mal im eigenen Unternehmen, aber bei der supranationalen Politik, die wesentlich komplexer ist, fordert man dann sofort Bürokratieabbau ein. Das muss man schon in Relation setzen. Bei bestimmten Themen muss man vorsichtig sein mit den Forderungen.

Sie glauben also, es braucht die Klima-Bürokratie? Beim CO2-Grenzausgleichssystem CBAM kommen Firmen zum Beispiel oft in die Situation, dass sie den Behörden Daten liefern sollen, die es gar nicht gibt.

Thallinger: Insgesamt gibt es sicherlich zu viel Bürokratie, und man kann sicherlich immer besser werden. Und natürlich gibt es auch Initiativen, die eher weniger erfolgreich sind - die EU-Taxonomie ist ein Beispiel. Aber Ziel muss am Ende sein, dass Nachhaltigkeit zum Teil unternehmerischer Entscheidungsfindung wird. Dass die Nachhaltigkeit etwa zum Faktor wird, wenn ein Investor entscheiden muss, ob er Geld in ein Unternehmen steckt oder nicht. Und dafür müssen wir all die relevanten Informationen entsprechend aufbereiten. Da braucht es Informationspools, Datenquellen, Prozesse.

Der Markt ist in dieser Hinsicht derzeit dramatisch ineffizient. Finanzielle Daten muss ein Unternehmen öffentlich machen, damit Analysten zum Beispiel Anlage-Empfehlungen geben können. Bei nicht-finanziellen Daten gibt es diesen Zwang noch nicht. Wir müssen mit Unternehmen teilweise diskutieren, damit sie Daten zur Nachhaltigkeit und ihrem Transformationsplan offenlegen. Das ändert sich aber jetzt durch regulatorische Anforderungen der EU. CSRD ist die Direktive dazu. Diese sollten wir unterstützen und nicht: „Oh, wir haben jetzt neue Berichtspflichten. Das ist aber ein großer Aufwand, dass ich mir diese Informationen besorge.“ Ja, was soll es denn sonst sein?

Klingt so, als würden Sie diese Beschwerde oft vernehmen.

Thallinger: Ja, das höre ich immer wieder, aber ich reagiere jedes Mal gleich. Ich sage immer: „Ja, was habt ihr denn gedacht?" Wir haben jahrzehntelang so getan, als wäre Nachhaltigkeit kein Faktor. Jetzt stellt man fest, welche massiven Probleme uns dadurch entstehen. Und jetzt müssen wir uns halt die Informationen beschaffen, die uns jahrzehntelang egal waren. Ist das schwer? Ja sicher, klar ist das schwer. Wird es dadurch aber leichter, das Problem zu lösen? Ich sage: Ja.

Herr Thallinger, vielen Dank für das Gespräch.

Über die DLD Nature: Die DLD Nature Conference bringt Personen zusammen, um die Herausforderungen des Naturschutzes und des Verlustes der biologischen Vielfalt frontal anzugehen. Sie stellt die neuesten technologischen Fortschritte vor und zeigt bewährte Verfahren aus verschiedenen Branchen, um zu demonstrieren, wie Innovation und Zusammenarbeit den Weg zu einem gesünderen Planeten e bnen können. Die DLD ist eine Konferenz von Hubert Burda Media, wozu auch FOCUS online gehört.

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