Alltagsrassismus: Spuckattacke an Wiener Straßenbahn-Haltestelle löst Debatte aus

Eine junge Muslimin wurde beleidigt und angespuckt, als sie auf die Straßenbahn wartete (Symbolbild: Getty Images)
Eine junge Muslimin wurde beleidigt und angespuckt, als sie auf die Straßenbahn wartete (Symbolbild: Getty Images)

Seit dem Wochenende hat ein Internetvideo in Österreich die Debatte über Alltagsrassismus befeuert.

Aufgenommen wurde es von einer jungen Muslimin, die an einer Straßenbahnhaltestelle von einer älteren Frau wegen ihres Kopftuchs wüst beschimpft und schließlich angespuckt wurde.

Vor den im Video gezeigten Szenen habe die Muslimin auf die Straßenbahn gewartet, die Frau habe hinter ihr gestanden und unvermittelt begonnen, sie zu beschimpfen, erklärt Antirassismusaktivistin Asma Aiad, die das Video veröffentlicht hat. Das Opfer der Attacke ist eine Freundin Aiads, die anonym bleiben möchte.

Als die junge Frau die Rassistin konfrontierte, reagierte diese mit weiteren Beschimpfungen, woraufhin die Muslimin den weiteren Verlauf mit ihrem Handy dokumentierte:

Das Video schockiert insbesondere durch die Wortwahl der älteren Frau, die ihr Opfer hemmungslos rassistisch beleidigt und bedroht. Dabei verweist sie wiederholt auf die an der Regierung beteiligte rechte FPÖ: “Die FPÖ schmeißt euch alle raus!”. Die jüngere Frau kontert zunächst noch relativ gelassen und verweist darauf, dass auch sie gebürtige Österreicherin ist. Nach dem unappetitlichen Tiefpunkt, der Spuckattacke bei Eintreffen der Straßenbahn, verliert sie jedoch hörbar die Nerven.

Wie Aiad in ihrem Posting als “tröstend” anmerkt, haben sich während der Auseinandersetzung, anders als bei vielen ähnlichen Vorfällen, mehrere Umstehende mit der jungen Frau solidarisch gezeigt.

Ein Mann versuchte zunächst zu schlichten und stellte sich dann zwischen die Rassistin und ihr Opfer, nachdem er selbst ebenfalls beleidigt wurde. Auch gegen Ende sind Stimmen zu hören, die Partei für die Muslimin ergreifen. Nach der Spuck-Attacke seien mehrere Menschen nicht in die Straßenbahn gestiegen und bei der jungen Frau geblieben, um sie zu trösten und ihr Taschentücher zu geben, berichtet Aiad Yahoo Nachrichten.

Die Rassistin wurde nach dem Vorfall angezeigt, in den sozialen Netzwerken meldeten sich mehrere Menschen, die sie, obwohl ihr Gesicht im Video unkenntlich gemacht wurde, etwa anhand ihrer Stimme von früheren Angriffen wiedererkannt haben. Unter anderem habe sie eine Jüdin antisemitisch beleidigt, als sie sich mit Freunden auf Hebräisch unterhalten hatte.

Kritik an Täter-Opfer-Umkehr

Einige Kommentatoren relativieren den Vorfall dagegen mit Verweis auf die mutmaßliche geistige Verfassung der Angreiferin. Es wird spekuliert, dass sie womöglich obdachlos sei und unter psychischen Problemen leide.

Eine solche Argumentation lenke die Diskussion in die falsche Richtung, erklärt Aiad dazu. Die Täterin werde zum Opfer gemacht und die notwendige Debatte über den Rassismus im Land delegitimiert: “Wenn wir jeden rassistischen, islamophoben, antisemitischen Fall als geistige Verwirrtheit einer kranken Person abtun, gibt es keinen strukturellen Rassismus zu diskutieren, keine rechte Regierung, die eine solch aggressive und übergriffige Atmosphäre befeuert und anfacht.”

Aiad verweist dabei auf zwei weitere Videos aus den vergangenen Tagen, in denen zu sehen ist, wie ein Taxifahrer rassistisch beleidigt und angespuckt wird, und wie ein Busfahrer einem schwarzen Schüler die Mitfahrt verweigert. Vorfälle dieser Art haben seit der Regierungsbeteiligung der FPÖ spürbar zugenommen. Die österreichische Beratungsstelle ZARA meldet in ihrem kürzlich erschienenen Bericht für das Jahr 2018 312 rassistische Vorfälle im öffentlichen Raum – fast doppelt so viele, wie im Vorjahr.

Aiad betont dabei, dass sich das Problem nicht nur auf die FPÖ beschränke: Auch andere Regierungsmitglieder würden durch problematische Äußerungen Hetze und Angst in der Gesellschaft bestärken.

Dass Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) den Angriff nach den ersten Berichten verurteilte, begrüßt Aiad. Doch den Worten müssten auch Taten folgen: “Es muss bewusst etwas gegen Rassismus gemacht werden und es muss auch bewusst ein Plan dagegen erarbeitet werden”, sagt sie Yahoo Nachrichten. Auch müsse die Regierung hinterfragen, wo ihr eigenes Handeln rassistisch und diskriminierend sei, denn das komme noch viel zu häufig vor.

Neue Empowerment-Initiative

Zudem ergreift Aiad zusammen mit anderen Aktivisten und Organisationen selbst die Initiative. Als Reaktion auf die Attacke startete sie eine Crowdfunding-Aktion, mit der Projekte zur Ermächtigung und Unterstützung von von Rassismus betroffenen Frauen finanziert werden sollen.

“Das Crowdfunding ist entstanden, weil wir gesehen haben und uns so viele Nachrichten erreicht haben, dass viele, sowohl Musliminnen als auch andere Menschen, die wegen ihrer Sprache oder ihres Aussehens diskriminiert oder rassistisch angemacht werden, nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Es fehlt ihnen an Räumen, wo sie sich austauschen können, wo sie sich empowern können.” Hier soll das neue Projekt Abhilfe schaffen. Geplant sind etwa Vorträge, Workshops und Seminare mit Expertinnen und Experten, aber auch Möglichkeiten für gegenseitigen Austausch und Unterstützung.

Als positives Signal wertet Aiad bereits den großen Zuspruch, den die Crowdfunding-Aktion erfährt, die bereits ein Drittel ihres Spendenziels von 10.000 Euro erreicht hat. Zahlreiche andere Organisationen und Prominente haben die Aktion bereits auf ihren Social-Media-Kanälen geteilt. “Das sind natürlich super Zeichen, auch für die Öffentlichkeit, dass so ein Projekt unterstützt gehört.” Das helfe auch ihrer Freundin, die erniedrigende Erfahrung zu verarbeiten: “Ich glaube, dass das Crowdfunding gerade uns beide motiviert, da was in die richtige Richtung zu machen.”