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Als Deutscher in der Türkei inhaftiert – und jetzt?

Nach Angaben des Auswärtigen Amtes befinden sich derzeit 58 deutsche Staatsbürger in Haft. Können sie auf Hilfe von der deutschen Botschaft oder dem Konsulat vor Ort hoffen, kann die „konsularische Betreuung“ auch eine Freilassung bewirken und warum sind Doppelstaatler bei einer Verhaftung häufig im Nachteil? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Derzeit befinden sich 58 Deutsche in türkischen Gefängnissen (Bild: ADEM ALTAN/AFP/Getty Images)
Derzeit befinden sich 58 Deutsche in türkischen Gefängnissen (Bild: ADEM ALTAN/AFP/Getty Images)

Deniz Yücel und Mesale Tolu, die beide mittlerweile wieder in Deutschland sind, kennen viele noch aus den Schlagzeilen. Doch auch die Schicksale von Hozan Cane, Patrick Kraicker und 56 weiteren Deutschen berühren: Sie alle befinden sich in türkischer Haft. Wie viele von ihnen aus politischen Gründen festgehalten werden, ist unklar: Die angelasteten Vergehen sind unterschiedlich, auffällig häufig handelt es sich – wie bei Hozan Cane und Patrick Kraicker - jedoch um den Vorwurf der Unterstützung von Terrororganisationen. Ein Vorgehen, das der türkische Innenminister Süleyman Soylu sogar angekündigt hatte und das von Kritikern als „Geiselpolitik“ bezeichnet wird: Er wolle gezielt Urlauber verhaften lassen, die der Terrorpropaganda verdächtig seien.

Geiselpolitik“ und Anti-Terror-Gesetz

Einem Bericht der „Tagesschau“ zufolge sagte Soylu bei einer Wahlkampfveranstaltung im März 2019 wörtlich: "Es gibt Leute, die in Europa oder in Deutschland an Kundgebungen einer Terrororganisation teilnehmen und dann nach Antalya, Bodrum und Mugla kommen, um Urlaub zu machen. Für die haben wir jetzt Maßnahmen ergriffen. Die sollen ruhig kommen, dann werden sie bei der Einreise abgefangen und yala - ab geht's mit ihnen."

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Dem türkischen Anti-Terror-Gesetz zufolge können Verdächtige bis zu sieben Jahre festgehalten werden. In seinen Reise- und Sicherheitshinweisen für das Land Türkei geht das Auswärtige Amt auf dieses Risiko ein, wenn es schreibt: „Festnahmen, Strafverfolgung oder Ausreisesperre deutscher Staatsangehöriger erfolgten [...] vielfach in Zusammenhang mit regierungskritischen Stellungnahmen in den sozialen Medien, vermehrt auch aufgrund des Vorwurfs des im türkischen Strafrecht vorgesehenen Tatbestands der Präsidentenbeleidigung.“ Explizit wird deshalb unter anderem gewarnt, dass „regierungskritische Äußerungen in sozialen Medien, auch wenn sie länger zurückliegen, aber auch das Teilen oder ‚Liken’ eines fremden Beitrags, Anlass für strafrechtliche Maßnahmen der türkischen Sicherheitsbehörden sein können.“

Was geschieht mit Deutschen, die im Urlaub oder auf Geschäftsreisen in der Türkei verhaftet werden, welche Möglichkeiten hat das Auswärtige Amt und wo sind die Grenzen der deutschen Auslandsvertretungen?

In der Türkei inhaftiert - und dann? Die wichtigsten Fragen und Antworten

Kann ein Verhafteter davon ausgehen, dass das Auswärtige Amt von der Festnahme erfährt?

„Die Behörden des Empfangsstaats, in diesem Fall der Türkei, sind nach Art. 36 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen verpflichtet, die deutschen Vertretungen auf Wunsch festgenommener deutscher Staatsangehöriger über deren Festnahme zu informieren“, heißt es dazu von Seiten des Auswärtigen Amtes auf Anfrage von YAHOO. Einen Sonderfall stellen Doppelstaatler dar: „Nicht informieren müssen sie über die Festnahme deutscher Staatsangehöriger, die gleichzeitig die türkische Staatsangehörigkeit besitzen, oder deutscher Staatsangehöriger, die eine Unterrichtung nicht wünschen“, heißt es dazu weiter. Und: „Die Art und Weise der Unterrichtung richtet sich dabei stets nach den Bedingungen im Einzelfall.“

Ersthilfe: Was kann die Auslandsvertretung ad hoc für den Inhaftierten tun?

Zunächst einmal: Das Wiener Übereinkommen gibt den konsularischen Vertretungen das Recht, mit Inhaftierten ihres Landes Kontakt aufzunehmen – zum Beispiel in Form von Telefonaten, Briefen, Faxen oder auch persönlichen Besuchen. Die Auslandsvertretung kann sich über Haftbedingungen, Verpflegung und gesundheitliche Betreuung informieren und Kontakt zu Angehörigen zu Hause halten. Allerdings sind die Möglichkeiten, die der Konsulatsangehörige konkret hat, auch etwa davon abhängig, ob die Festnahme in der Nähe einer Botschaft stattfand oder im entlegenen Grenzgebirge. Entsprechend heißt es auch vom Auswärtigen Amt, dass sich die Betreuung von deutschen Häftlingen stets nach den Bedingungen und Erfordernissen im Einzelfall [richtet].“

Das deutsche Konsulat ist eine Anlaufstelle für Betroffene und deren Angehörige (Bild: OZAN KOSE/AFP/Getty Images)
Das deutsche Konsulat ist eine Anlaufstelle für Betroffene und deren Angehörige (Bild: OZAN KOSE/AFP/Getty Images)

Was beinhaltet die „Konsularische Betreuung“?

Die sogenannte „Konsularische Betreuung“ soll den Inhaftierten mit Rat und Tat zur Seite stehen – in Form von sprachlicher und kultureller Vermittlung über die Beschaffung von Hygieneartikeln bis hin zur Weiterleitung von Nachrichten an die Familie zu Hause. So heißt es auf der Website des Auswärtigen Amts zu den konkreten Hilfestellungen im Rahmen der Betreuung: „Oft geht es um ganz konkrete Probleme: Wie finde ich einen Anwalt? Wie kann ich einen Arzt sehen? Wie erhalte ich benötigte Medikamente? Wie lauten die Regeln in der Haftanstalt? Wie kann ich meine Brille reparieren lassen? Welche Möglichkeiten gibt es für Verwandte, Geld an mich zu überweisen? Wie kann ich Dritte zur Vertretung meiner Interessen in Deutschland (z.B. Kündigung von Verträgen) bevollmächtigen?“ Allerdings sind die Möglichkeiten dieser Betreuung in der Praxis ebenfalls von Fall zu Fall verschieden – und auch davon abhängig, ob der Inhaftierte diese Betreuung überhaupt wünscht. Auf Anfrage von YAHOO bestätigte das Auswärtige Amt: „Zu allen deutschen Staatsangehörigen in türkischer Haft besteht grundsätzlich konsularischer Zugang.“

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Kann die Botschaft auch die Verteidigung vor Gericht übernehmen?

Die Botschaft oder das Konsulat kann grundsätzlich auf ein rechtsstaatliches Verfahren hinwirken, „insbesondere darauf, dass es einen Verteidiger gibt und dass das Strafverfahren nach rechtsstaatlichen Prinzipien verläuft“, wie es auf der Website des Auswärtigen Amts heißt. Allerdings ist die Auslandsvertretung weder am Verfahren beteiligt noch können sie Einfluss auf das Verfahren nehmen. Entsprechend können sie ggf. zwar Kontakte zu Anwälten herstellen, aber nicht selbst vor Gericht verteidigen, bei der Beweisaufnahme helfen oder gar eine Freilassung bewirken. Immerhin: „In Einzelfällen können Vertreter von Botschaften oder Konsulaten als Beobachter an Gerichtsverhandlungen teilnehmen.“

Warum sind die Möglichkeiten der Auslandsvertretung für Doppelstaatler begrenzt?

Per se kann ein Doppelstaatler, also ein deutscher Bürger mit zweiter Staatsangehörigkeit, der im Land seiner zweiten Staatsangehörigkeit mit dem Gesetz im Konflikt kommt, auf weniger Unterstützung aus Deutschland hoffen. Die Behörden des Zweitlandes betrachten ihn als eigenen Staatsbürger und sind völkerrechtlich nicht verpflichtet, Unterstützung durch eine Botschaft zuzulassen. Manche Länder lassen dies aus Kulanz dennoch zu. Ein Doppelstaatler mit deutscher und türkischer Staatsangehörigkeit, der in der Türkei verhaftet wird, hat nach Angaben des Auswärtigen Amts keinen Anspruch auf konsularische Betreuung.