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Amelie Fried: Gefangen in der Hippie-Familie

India ist 13 - und hätte gerne einen anderen Namen. Und eine andere Familie. Zusammen mit ihren Eltern und ihrem Bruder Che wohnt sie - es ist Mitte der 70er Jahre - in einer deutschen Kleinstadt. Was sich für viele ihrer Altersgenossinnen wie ein Traum anhört, fühlt sich für India wie eine ewig andauernde Katastrophe an: Ihr Vater, ein Künstler, und ihre meditierende Mutter auf Sinnsuche lassen den beiden Kindern alle Freiheiten. Dabei wünschen sich India und Che in Amelie Frieds neuem Roman "Ich fühle was, was du nicht fühlst" (Heyne, 400 Seiten, 16,99 Euro) nichts mehr als Grenzen und fürsorgliche Eltern. Regelmäßige Mahlzeiten sind genauso Fehlanzeige wie anständige Kleidung. Dafür wird Indias erste Menstruation mit einer Zeremonie im Garten gefeiert...

Nicht das einzige, was India an ihren Eltern peinlich ist. Mit Kunst-Happenings und Meditations-Workshops erregt die Familie in dem kleinen Ort so viel Aufmerksamkeit, dass India in der Schule als Außenseiterin abgestempelt ist. Ihre einzige Freundin ist die Nachbarstochter, die in einer scheinbar heilen Familie aufwächst. Was India nicht ahnt: Gerade hinter diesem bürgerlichem Gegenentwurf zu ihrem eigenen Heim lauert ein viel größeres Grauen. Zunächst einmal ist India aber nur dankbar, dass sie bei den Nachbarn etwas zu essen bekommt - und Klavierstunden vom Vater ihrer Freundin, der zudem ihr Musiklehrer ist. Die 13-Jährige hat nämlich besondere Begabungen, sie ist nicht nur ein kleines Mathe-Wunder, sondern auch am Klavier ein großes Talent.

Eine Kette aus Problemen

In den Monaten, die der Leser an Indias Seite verbringt, verändert sich das Leben des Teenagers schlagartig: Sie entdeckt nicht nur die Musik, sondern auch Gefühle zu einem Jungen, ihre Eltern geraten in eine schwere Ehekrise, ein wohl gehütetes Familiengeheimnis kommt ans Tageslicht, ihr Bruder radikalisiert sich - und India versucht alles zu kitten. Bis der einzige Mensch, der ihr in dieser turbulenten Zeit Halt gibt, ihr Vertrauen auf schlimmste Weise missbraucht.

Im Kampf gegen die Windmühlen der Erwachsenenwelt lässt Amelie Fried ihre junge Protagonistin allerdings nicht im Selbstmitleid versinken - nur kurz hin und wieder darin verschnaufen. Scharfsinnig und mit liebevollen Spott analysiert die 13-Jährige die Welt der Erwachsenen und ihre anti-autoritäre Erziehung - ein Buch, das nachdenklich macht, verpackt als gute Unterhaltung.

Foto(s): © Annette Hornischer Fotografie, Heyne