Nach Ampel-Beben - Habeck als Kanzler? Experte fällt knallhartes Grünen-Urteil
Die Ampelkoalition ist Geschichte. Scholz wirft die FDP raus, die SPD selbst steht vor großen Herausforderungen. Welche Chancen die Sozialdemokraten jetzt noch haben und was der Bruch der Ampel für Habecks Kanzlerpläne bedeutet.
Auf der großen politischen Bühne Deutschlands geht es dramatisch zu. Nach dem Rauswurf der FDP aus der Ampel-Koalition durch Bundeskanzler Olaf Scholz steht das politische Berlin Kopf. Scholz will nun offenbar am 18. Dezember im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Die Bundestagswahl soll dann am 23. Februar 2025 stattfinden.
Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder gibt Einblicke in die Herausforderungen und Chancen, die sich für die Parteien in den kommenden Monaten ergeben könnten. Vor allem den Kanzler-Plänen von Robert Habeck erteilt er eine klare Absage.
FOCUS online: Herr Schroeder, der Kanzler hat die FDP aus der Ampel geschmissen. Die Ampel-Koalition ist nun Geschichte . Werden die Sozialdemokraten nun in den kommenden Monaten aus dem Chaos als Sieger hervorgehen können oder droht ihnen der freie Fall?
Wolfgang Schroeder: Die SPD muss erstens aus den Fehlern der Ampel-Regierung lernen und zweitens aus der Niederlage der Demokraten in den Vereinigten Staaten. Die Partei darf nicht glauben, dass ihre Profilbildung allein durch ein maximal linkes Programm zu erreichen ist. Sie muss sich stärker darauf konzentrieren, was die wirklichen Bedarfe der Mehrheitsbevölkerung sind und welche Errungenschaften unter den schwieriger werdenden Bedingungen verteidigt werden müssen.
Am Montag machten zwei SPD-Abgeordnete mit einem offenen Brief auf sich aufmerksam. Sie wollen Scholz zum Verzicht auf eine Kanzlerkandidatur bei Neuwahlen bewegen .
Schroeder: Die SPD muss darauf achten, nicht in eine schwierige Personaldebatte hineinzugleiten. Sollte Scholz den geordneten Übergang nicht gut hinbekommen, könnte das eine offene Debatte entfachen, wer an seiner Stelle Kanzlerkandidat wird.
Es gibt also sowohl enorme Risiken in den kommenden Monaten als auch Chancen für die SPD. Dabei muss sie aber auch beherzigen, dass Parteien nicht alleine wegen ihrer Kandidaten gewählt werden, sondern weil sie als Partei gut aufgestellt sind, ein attraktives Programm haben und gemeinsam handeln können.
„FDP leidet aber darunter, dass sie mit sich selbst nicht im Reinen ist“
Und die FDP? Droht sie nun in der Versenkung zu verschwinden, oder liegt für die Liberalen eine Chance darin, gefeuert worden zu sein?
Schroeder: Am Ende gilt, wie Volker Wissing sagte, dass man einen konstruktiven Anteil am gemeinsamen Gelingen haben muss. Die FDP leidet aber darunter, dass sie mit sich selbst nicht im Reinen ist und anscheinend nicht weiß, wer sie eigentlich ist und welche Rolle sie im Parteiensystem spielt. Und das ist schade, weil wir eine gute liberale Partei bräuchten. Dass es auch anders geht, zeigen die FDP-Fraktionen in den Länderregierungen. Sie bewähren sich dort durchaus als konstruktive Akteure.
„Für die Grünen ist es schwierig, gegen diese negativen Wahrnehmungen anzugehen“
Auch für die Grünen sieht es aktuellen Umfragen zufolge nicht rosig aus. Inwiefern könnten sie von der aktuellen Lage nun profitieren? Bietet sich hier eine Chance für Habeck seine Partei aus dem Umfragetief zu hieven?
Schroeder: Nein, das glaube ich nicht, weil die Grünen in einer gesellschaftlich schwierigen Lage sind. Sie werden maßgeblich verantwortlich dafür gemacht, dass die Gesellschaft zu starr und bürokratisch ist, die Wirtschaft nicht dynamisch ist und der Klimawandel zu eng und überstürzt angegangen wird.
Insofern ist es für die Partei gegenwärtig schwierig, gegen diese negativen Wahrnehmungen anzugehen. Sie versuchen das ein Stück weit, indem sie zu Maximalpositionen der frühen Jahre zurückkehren, wie man das möglicherweise auf dem bevorstehenden Wiesbadener Parteitag sehen wird.
Das heißt: Habecks Weg zur Kanzlerschaft ist mit dem Ampel-Bruch noch einmal steiniger geworden?
Schroeder: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Grünen ein Ergebnis erzielen, das über 12 Prozent hinausgeht. Dafür fehlen der Rückenwind und die gesellschaftliche Verankerung. Die Abneigung gegen die Grünen ist in den letzten drei Jahren enorm gewachsen. Trotzdem ist auch eine schwarz-grüne Koalition nicht gänzlich auszuschließen.
Heute wurde bekannt, dass Scholz offenbar die Vertrauensfrage am 18. Dezember plant im Bundestag zu stellen. Die Bundestagswahl soll dann am 23. Februar 2025 durchgeführt werden. Welche Konstellationen sind überhaupt noch denkbar? Die GroKo unter einem Kanzler Merz scheint so gut wie sicher, denn dass Scholz eine zweite Amtszeit bekommt, scheint aktuell ausgeschlossen.
Schroeder: Wir haben bei der Wahl 2021 gesehen, wie schnell sich die Dinge ändern können und wie volatil das Feld ist. Sicher ist also nichts. Man muss mit Spekulationen also vorsichtig sein.
Auf jeden Fall kann man hoffen, dass es jetzt zu einem inhaltlich pointierten Wahlkampf kommt, der konstruktive Angebote zur Bewältigung der verschiedenen Krisenlagen ins Licht rückt. Dabei sollte auch deutlich gemacht werden, was die Fehler der Vergangenheit waren und wie man diese in Zukunft besser angehen will.
Und die Grünen?
Schroeder: Für die Grünen können 12 Prozent durchaus ausreichen, um einen Platz in der Regierung zu finden. Aktuell ist es ein offenes Rennen. Die Union hat hier aber beste Chancen, als Sieger durchs Ziel zu gehen. Aber wenn wir an das Jahr 2005 zurückdenken. Damals war die Union weit vor der SPD gelegen, sehr siegessicher und musste sich am Ende fast der SPD geschlagen geben.
Wenn die Union den Eindruck erweckt, dass sie nunmehr den Sozialstaat maßgeblich abbauen will und zugleich keine wirklich tragfähigen Konzepte gegen die strukturelle Krise der deutschen Wirtschaft hat, könnte sich durchaus schnell wieder eine Abwärtsspirale andeuten. Dann könnte sich die SPD als Partei, die gleichermaßen die sozialen, ökonomischen und ökologischen Ziele im Sinne der Mehrheit der Gesellschaft verantwortet, auch wieder stabilisieren.
Insgesamt wird es von der Fähigkeit abhängen, den Wettbewerb auf die Mitte zu konzentrieren und die Themen zu adressieren, die für die Mehrheit der Menschen wichtig sind.
„Koalitionspartner müssen sich auf eine gemeinsame Arbeitsbasis einlasse“
Ursprung der Streitereien in der Ampel sind die unterschiedlichen Lager, aus denen die Parteien kommen. Wir hatten es mit einer Koalition zu tun, die zu unterschiedliche Vorstellungen von Staat und Wirtschaft hatte. Dann fehlte ihr plötzlich das Geld. Der Streit um den Haushalt hat die Konflikte schließlich eskalieren lassen. Was bedeutet das nun für künftige Koalitionen? Drohen Totgeburten, wenn kein Geld da ist, um solche Gräben zuzuschütten?
Schroeder: Für jede spezifische gesellschaftlich-ökonomische Lage braucht man auch eine entsprechende programmatische Aufstellung und ein dazu passendes Erwartungsmanagement. Die Koalitionspartner müssen sich auf eine gemeinsame Arbeitsbasis einlassen. Der maßgebliche Druck, der die Ampel enorm belastet hat, war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Verteilungsspielräume für die unterschiedlichen Projekte enorm eingeschränkt hat.
Eine neue Regierung muss klar erkennen, dass es einen enormen Investitionsbedarf in der Infrastruktur, im Verkehr, in Schulen, in Bildung und in Zukunftstechnologien gibt. Es ist genug Geld da, man muss nur priorisieren und die soziale, ökonomische und ökologische Dimension ausbalancieren, ist eine unzureichende Herangehensweise. Man braucht mehr Geld und eine bessere Steuerung.
Und gelingt das nicht, erwartet uns erneut Chaos wie in der Ampel?
Schroeder: Wenn man sich allein auf die ökonomische Dimension konzentriert, wie es teilweise von der FDP und Wirtschaftsseite getan wird, gefährdet man die gesellschaftliche Legitimation. Die Ministerpräsidenten aus den Ländern, auch von CDU-Seite, haben deutlich gemacht, dass sie die starre Schuldenbremse für Deutschland so nicht akzeptieren. Man braucht Geld für soziale und ökologische Investitionen, um die Bedarfe der Zukunft zu decken.
Klar ist auch, dass nicht nur die Streitereien innerhalb der Ampel die Radikalen von AfD und BSW gestärkt haben, auch der Bruch selbst dürfte ein gefundenes Fressen für sie sein. Alice Weidel hat gestern direkt klar gemacht, was jetzt auf andere Parteien zukommt. Sie betonte, die AfD werde jetzt CDU und FDP testen und einzelne Anträge einbringen, um ihre Positionierung auf die Probe zu stellen. Die politischen Ränder schnuppern offenbar mehr Morgenluft denn je.
Schroeder: Diese Parteien sehen viele Chancen, da sie aus den Schwierigkeiten der Gegenwart Honig saugen können. Sie versuchen sich so darzustellen, dass es nur mit ihnen Stärke, Kontrolle und Härte gibt. Da wird auch die Sehnsucht nach dem Autoritären bedient. Das sollte man nicht unterschätzen. Egal, wie die Wahlen ausgehen, es wird wieder eine Koalitionsregierung geben, die Kompromisse eingehen muss. Und die stärkste Kraft gegen Kompromisse sind einfache, kraftvolle Antworten von den Rändern.
Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Ränder stärker werden, in der jetzigen Lage nicht zu unterschätzen, zumal sich dies auch in die internationale Großwetterlage einordnet. Für die demokratische Mitte ist es eine enorme Herausforderung, den Parteienwettbewerb in der Mitte zu organisieren und gleichzeitig die Gemeinsamkeiten gegen die fundamentalen Ränder zu stärken.
„AfD und BSW besitzen in den Grundkoordinaten der Ausrichtung dieses Landes keine Anschlussfähigkeit“
Welche Rolle können denn AfD und BSW in der Koalitionsfindung spielen, also gibt es hier eine geringe Chance, dass die Union nach und nach die eigene Brandmauer auf Bundesebene abbauen wird?
Schroeder: Das halte ich zum jetzigen Zeitpunkt für vollkommen unrealistisch, weil beide Parteien – AfD und BSW – in den Grundkoordinaten der Ausrichtung dieses Landes keine Anschlussfähigkeit besitzen. Die Union kann und wird sich nicht auf eine antiwestliche Grundorientierung oder auf kompromissunfähige und verantwortungslose Politiker einlassen.
Also kann man davon ausgehen, dass eine Regierungsbeteiligung von AfD und BSW nach den Neuwahlen Wunschtraum der Rechten und Linken bleibt?
Schroeder: Auf jeden Fall, und das wissen beide Parteien auch. Ihr Horizont ist auf 2029 gerichtet, da sie davon ausgehen, derzeit keine Koalitionsfähigkeit zu besitzen. Sie werden weiterhin als Erpressungsparteien agieren, indem sie die anderen dazu zwingen, bestimmte Positionen zu verändern, ohne selbst Kompromiss- und Anschlussfähigkeit zu zeigen.
Dennoch kann sich die Lage verändern, denn wir befinden uns in einem Umbauprozess des politischen Systems und der Kräfteverhältnisse. Die Rechtsverschiebung ist im Europäischen Parlament deutlich erkennbar: 1994 hatten die Rechtsaußen-Parteien acht Prozent der Stimmen, heute sind es 26 Prozent. Weshalb es stark auf die Union ankommt, wie sie sich aufstellt – ob sie eine mittig-demokratische Linie verfolgt oder sich von populistischen Anmutungen verführen lässt.