Nach dem Ampel-Bruch: Was passiert ist, wo wir stehen und wie es weitergeht
Der 6. November 2024 wird in die Geschichte eingehen. Nicht nur, weil Donald Trump zum zweiten Mal zum Präsidenten der USA gewählt wurde, sondern auch, weil in Deutschland die Ampel-Koalition aus SPD, Grüne und FDP zerbrochen ist. Die erste Regierung nach 16 Jahren Angela Merkel und CDU, die erste Ampel-Regierung auf Bundesebene in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Etwa ein Jahr vor den geplanten Wahlen ist Schluss. Die Lichter der Ampel sind nach rund drei Jahren erloschen.
Was ist passiert
Die Streitigkeiten innerhalb der Koalition zogen sich schon eine ganze Weile. Immer wieder auch in der Öffentlichkeit. Beispiele: das lange Ringen um das Heizungsgesetz, die Kindergrundsicherung, die Migrationspolitik, das Rentenpaket und der Haushalt. Dabei hat die Ampel durchaus Erfolge vorzuweisen. So wurde die tiefe Energiepreiskrise nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine überwunden, die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro unterstützt, der Ausbau der erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne nahm spürbar Fahrt auf. Doch die Konflikte zwischen den Parteien nahmen immer mehr zu.
Die Schuld? Immer die anderen Koalitionspartner. Am Abend des 6. November entließ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dann Finanzminister Christian Lindner (FDP) und zerriss somit die Regierung. In der Debatte um den Bundeshaushalt für 2025 hatte Lindner vor ein paar Tagen ein Maßnahmenpapier vorgelegt, um die deutsche Wirtschaft zu stärken. Sowohl Scholz als auch Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) lehnten die Umsetzung ab und boten Lindner Alternativen an. Habeck sagte, es habe verschiedene Optionen gegebenen, Lücken im Haushalt zu schließen, ohne eine Notlage bei der Schuldenbremse auszurufen. Zu einer Lösung fanden die drei Parteien aber schlussendlich nicht.
Scholz trat noch am späten Abend vor die Presse, sprach von mehrfachem Vertrauensbruch, fehlender Kompromissbereitschaft und parteitaktischen Vorgängen. Eine Rede, die nicht nur kein gutes Haar an Lindner ließ, sondern ihm die komplette Schuld am Zerwürfnis gab. Lindner wolle unter anderem Steuersenkungen für Wohlhabend und Kürzungen bei den Renten. Das sei "nicht gerecht", sagte Scholz und nicht mit den Ampel-Vereinbarungen vereinbar. Scholz wolle Schaden vom Land abwenden und Deutschland das Verhalten des Finanzministers nicht länger zumuten.
Der Punkt, der den Konflikt zum Überlaufen brachte, war die Schuldenbremse. Scholz wollte eine Ausnahme bei der Schuldenbremse, um genug Geld für bezahlbare Energiekosten, die Sicherung von Arbeitsplätzen in der Industrie, Investitionsanreize für Unternehmen und weitere Hilfen für die Ukraine zu haben. Für Lindner war eine Aussetzung der Schuldenbremse aber nicht verhandelbar, das hatte er seit der Regierungsbildung immer wieder betont. In seiner Rede sagte er, Scholz habe von ihm verlangt, seinen Amtseid zu brechen. Er warf Scholz vorsätzlichen Koalitionsbruch vor. Scholz will mit der restlichen Regierung noch bis Ende des Jahres im Amt bleiben und weiterarbeiten.
Wo wir stehen
Lindner wurde einen Tag später von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier entlassen. Mit ihm ach die restlichen FDP-Minister: Justizminister Marco Buschmann und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Volker Wissing hingegen hat die FDP verlassen und bleibt daher auf dem Posten des Verkehrsministers. Zudem soll er in einer Doppelrolle nun auch bis zu den Neuwahlen als Justizminister agieren. Neuer Finanzminister ist der Scholz-Vertraute Jörg Kukies (SPD), der bisher als Kanzlerberater aufgetreten war. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) kümmert sich zusätzlich als Landwirtschaftsminister künftig auch um das Bildungsministerium und folgt somit auf Stark-Watzinger.
Die Union hat vom Kanzler eine sehr viel schnellere Reaktion gefordert, als angedacht. CDU-Chef und Oppositionsführer Friedrich Merz sagte, Scholz müsse die Vertrauensfrage spätestens kommende Woche stellen, nicht bis Mitte Januar warten. In einem Treffen wollte er mit dem Kanzler darüber beraten – das knapp halbstündige Gespräch verlief aber ergebnislos. Merz hatte der Unionsfraktion zufolge angeboten, jederzeit bereit zu sein, um über anstehende Tagesordnungspunkte oder Gesetze im Bundestag zu sprechen. Die Bedingung dafür: Scholz muss die Vertrauensfrage bereits in den nächsten Tagen stellen. Scholz wolle aber an seinem Zeitplan festhalten. Habeck würde eine Zusammenarbeit mit der Union jetzt begrüßen. Er glaube nicht, dass ihr das im Wahlkampf schaden würde. Es gehe darum, konkrete Probleme zu lösen, so Habeck.
Bundespräsident Steinmeier hatte bereits am Vormittag signalisiert, bereit zu sein, wenn Scholz die Vertrauensfrage vorziehen wolle. Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatte sich für die sofortige Vertrauensfrage ausgesprochen. Bis Januar zu warten, „wäre das arrogant und respektlos“, sagte er. FDP-Fraktionschef Christian Dürr ist ebenfalls für eine schnelle Entscheidung. Auch, weil seine Partei Scholz am Vorabend einen geordneten Rücktritt vorgeschlagen habe, um schnell zu Neuwahlen zu kommen.
Wie es jetzt weitergeht
Scholz will wichtige Gesetze, die keinen Aufschub duldeten, noch bis Jahresende zur Abstimmung im Bundestag stelle. Er nannte etwa den Abbau der sogenannten kalten Progression, damit die Bürger mehr Netto vom Brutto hätten, die Stabilisierung der Rente sowie Sofortmaßnahmen für die Industrie. Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will noch wichtige Gesetzesvorhaben umsetzen. Ganz klar sei: "Die Krankenhausreform, sie wird und sie muss kommen", sagte er beim Deutschen Pflegetag in Berlin. Käme sie nicht, würden in den nächsten zwei Jahren Hunderte Krankenhäuser in die Insolvenz gehen.
Lauterbach nannte auch Gesetzespläne für die Pflege, etwa zu mehr Kompetenzen für dringend benötigte Pflegekräfte. "Pflege kann mehr, als sie in Deutschland darf." Diese Zielsetzung werde von allen demokratischen Parteien im Bundestag begrüßt. Er sei daher «optimistisch, dass wir an dieser wichtigen gemeinsamen Baustelle weiterkommen werden".
Am 15. Januar will Scholz dann im Bundestag die Vertrauensfrage stellen – in der Erwartung, dass das Parlament ihm gerade nicht das Vertrauen ausspricht, er also keine Mehrheit bekommt. In diesem Fall kann der Kanzler den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen. Scholz sagte, der Bundestag könne den Weg für vorgezogene Neuwahlen freimachen. Diese könnten spätestens Ende März stattfinden.
Die große Frage ist nun allerdings, was aus dem Bundeshaushalt 2025 wird. Dafür gibt es keine Ampel-Mehrheit mehr. Es gilt als unwahrscheinlich, dass die Union nun für eine Mehrheit sorgt. Wird kein Haushalt beschlossen, würde ab Januar eine sogenannte vorläufige Haushaltsführung gelten. Dann sind vorerst nur Ausgaben möglich, die nötig sind, um die Verwaltung aufrechtzuerhalten und rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen.
In der Praxis kann das Finanzministerium den Ministerien aber bewilligen, pro Monat einen Prozentsatz der Mittel des noch nicht verabschiedeten Haushaltsentwurfs zu nutzen. Zudem droht eine weitere Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, denn auch im kommenden Jahr könnte die Konjunktur nicht in Fahrt kommen.
msk/dpa