Werbung

Die Ampel-Koalition setzt in der Entwicklungspolitik nun vor allem auf Investitionen in den Klimaschutz

Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, spricht beim Bund-Länder-Forum ihrer Partei zum Beginn der Urabstimmung über den Koalitionsvertrag mit SPD und FDP zur Bildung einer Bundesregierung.
Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, spricht beim Bund-Länder-Forum ihrer Partei zum Beginn der Urabstimmung über den Koalitionsvertrag mit SPD und FDP zur Bildung einer Bundesregierung.

Es ist eine Frage des Budgets. 6,7 Milliarden Tonnen CO2 darf Deutschland noch ausstoßen, wenn es das Pariser Klimaabkommen einhalten will, errechnete im vergangenen Jahr der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SUR). Das würde bedeuten, die Bundesrepublik müsste zwischen 2030 und 2035 klimaneutral sein – zehn bis 15 Jahre früher, als die neue Ampel-Regierung es sich zum Ziel gemacht hat.

Viele Klimaforscher – etwa Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) – kommen deshalb zu dem Ergebnis, dass SPD, Grüne und FDP den 1,5-Grad-Pfad und die Pariser Klimaziele rechnerisch nicht einhalten werden. Auch, wenn die Ampel-Parteien das bei der Vorstellung ihres Koalitionsvertrags behauptet hatten.

Der Grund für die verschiedenen Ansichten von Wissenschaft und Politik: Die Ampel-Parteien definieren ihre Klimaziele und -politik nicht anhand des vom SUR errechneten CO2-Budgets für Deutschland. "Wir legen – anders als Fridays for Future zum Beispiel – nicht das Konzept des CO2-Budgets pro Kopf zugrunde", teilten die Grünen dazu in Reaktion auf Quaschnings Kritik der ARD mit. "Täte man dies, müsste Deutschland bereits 2030 CO2-neutral sein."

Mit den Klima-Maßnahmen im Koalitionsvertrag wäre das nicht möglich. Die Ampel-Koalition rechnet nach Informationen von Business Insider eher damit, die CO2-Emissionen bis 2030 um 67 Prozent zu senken. Klimaneutral soll Deutschland "spätestens 2045" werden. Also lange, nachdem das Klimabudget aufgebraucht ist.

Trickst sich die Ampel also um Paris-konformen Klimaschutz? Nein, sagten die Grünen der ARD, die Koalition habe ehrgeizige Ziele vorgelegt. Die Partei verwies zudem auf die geplante Klima-Außenpolitik der Koalition, die CO2-Einsparungen in Schwellen- und Entwicklungsländern ermögliche. Redet sich die zukünftige Regierung also die nationalen Klimaziele durch Klimapolitik im Ausland schön?

Ampel-Koalition will "Klima- und Entwicklungspartnerschaften" schließen

Zumindest will sie den Kampf gegen den Klimawandel stärker als globale Aufgabe – auch Deutschlands – definieren. "Um als Weltgemeinschaft überhaupt noch auf den 1,5-Grad-Pfad kommen zu können, brauchen wir nicht nur massive Technologiesprünge, sondern auch einen Technologietransfer", sagte die Grünen-Vorsitzende und designierte Außenministerin Annalena Baerbock am Mittwoch der "taz". "Es reicht also nicht mehr, darauf zu schauen, dass jedes Land seine eigenen Klimaziele angeht, sondern wir müssen endlich unsere Kräfte bündeln." Die anstehende G7-Präsidentschaft solle "zur Startrampe für Klimapartnerschaften und einen für alle Staaten offenen Klimaclub wird."

Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien ist festgehalten, wie diese Partnerschaften und die generelle Klimapolitik von SPD, Grünen und FDP aussehen soll:

  • "Wir wollen sicherstellen, dass Deutschland seine internationalen Verpflichtungen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und Internationalen Klimafinanzierung erfüllt", heißt es im Vertrag. Konkret heißt das: 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) sollen für Entwicklungsarbeit ausgegeben werden. Zusätzlich soll es weitere Mittel für internationale Klimafinanzierungen geben.

  • Über "Klima- und Entwicklungspartnerschaften" sollen "Wissens- und Technologietransfer", der Ausbau Erneuerbarer Energien sowie nachhaltiger Infrastruktur in Partnerländern gefördert werden.

  • Um die internationalen Klimaziele zu erreichen, will die Ampel global in Aufforstung und den Erhalt von Wäldern und Mooren investieren.

  • Auch mit Staaten, mit denen keine engen Partnerschaften bestehen, will die Ampel in Sachen Klimaschutz kooperieren. Mit Russland soll stärker zu Zukunftsthemen wie Wasserstoff zusammengearbeitet werden; in Ländern im Nahen und Mittleren Osten sollen "demokratische Transformationsprozesse" gefördert "technologische Innovationen in der Region vorangetrieben" werden.

Heißt: SPD, Grüne und FDP wollen Geld, Zeit und Wissen im Ausland investieren, um dort CO2-Emissionen zu reduzieren. Aber werden diese Reduktionen dann auf die deutschen Klimaziele angerechnet? Die FDP hatte das in den Koalitionsverhandlungen nach Informationen von Business Insider zunächst gefordert, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. "Energieaußenpolitik rechtfertigt keine höheren Emissionen im Inland", heißt es dazu aus Grünen-Kreisen.

Und doch, dass die Ampel-Parteien es grundsätzlich ablehnen, ihre Klimapolitik an einem global abgestimmten CO2-Budget für Deutschland zu orientieren, heißt, dass Deutschland seiner internationalen Verantwortung in der Klimapolitik aus Sicht vieler nicht verantwortlich werden kann. Nicht nur aufstrebende Industriestaaten wie Indien und China argumentieren auf internationalen Klimagipfeln, dass die westlichen Industriestaaten in den vergangenen Jahrzehnten ihre CO2-Budgets aufgebraucht hätten – und nun die Schwellenländer an der Reihe seien. Klimaforscher Quaschning sagte dazu der ARD: "Sich entwickelnde Länder werden derartige Rechnungen nicht akzeptieren. Wenn jeder so argumentiert, dann ist das [Pariser] Klimaschutzabkommen gescheitert."