Ampel-Parteien abgestraft - Daten zeigen erstmals, wie Muslime wählen – zwei Parteien sind überraschend stark
Muslime haben in Deutschland bei der Europawahl anders abgestimmt als die Gesamtbevölkerung. Davon profitiert unter anderem eine Partei mit Nähe zu Erdoğan. In der Bewertung der Ampel sind sich Muslime und andere Wähler aber ziemlich einig.
Über das Wahlverhalten von Muslimen in Deutschland gibt es allerlei Spekulationen. Wählen sie eher links, weil diese Parteien in Migration und Integration vor allem Chancen sehen? Oder wählen sie eher konservativ, weil das ihrer Grundhaltung in einigen Fragen entspricht? Erstmals gibt es nun Daten zu einer großen Wahl in Deutschland, die die Parteipräferenzen von Muslimen zeigen.
Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtet, hat die Forschungsgruppe Wahlen bei der Europawahl im Juni die Urnengängerinnen und Urnengänger nach ihrer Konfession und explizit auch nach der islamischen Religionszugehörigkeit gefragt. Selbstverständlich ist das nicht: Das große Meinungsforschungsinstitut infratest-dimap hat dieses Merkmal früher abgefragt, es dann aber aus der Liste gestrichen. In den offiziellen Wahlstatistiken sind zur Konfession ebenfalls keine Angaben zu finden.
Auch die Forschungsgruppe Wahlen stand bei der Untersuchung vor einem Problem. In Ostdeutschland haben schlichtweg zu wenig Muslime abgestimmt, um eine verlässliche Statistik zu veröffentlichen. Für den Westen ist das bei der Europawahl jedoch erstmals gelungen.
BSW und DAVA sind die überraschenden Wahlsieger
Die Ergebnisse zeigen laut „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, dass das Wahlverhalten der Muslime teilweise stark von dem der Gesamtbevölkerung abweicht. Wahlsieger im Westen mit jeweils 17 Prozent sind nämlich das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und die Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch (DAVA).
Beide Parteien sind noch relativ jung. Während das BSW vor allem dank der Frontfrau Sahra Wagenknecht große Bekanntheit erlangt hat, ist die DAVA in der Gesamtbevölkerung eher unbekannt. Dort erhielt es nur 0,4 Prozent der Stimmen.
Hinter der Vereinigung sehen Kritikerinnen und Kritiker einen Ableger der türkischen Regierungspartei AKP. Die DAVA-Gründung ist also möglicherweise ein Versuch des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, durch türkeistämmige Menschen Einfluss auf Deutschland zu nehmen.
DAVA punktet mit Nähe zu Erdoğan und Kritik an Islamfeindlichkeit
Die DAVA setzt aber nicht nur auf die türkische Community. Sie prangert beispielsweise „Islamfeindlichkeit“ an und setzt sich für „Vielfalt“ ein. Damit soll die breitere Wählergruppe der Muslime angesprochen werden, die zwar wenig mit türkischem Nationalismus anfangen kann, sich aber in Deutschland diskriminiert fühlt.
Dieses Muster bestätigt auch Islamwissenschaftler Mathias Rohe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Er hält das Abschneiden der DAVA aber für überraschend schwach im Vergleich zur Aufmerksamkeit, die die Partei anfänglich erhalten hatte. Man müsse daher keine Angst vor der Partei in Deutschland haben.
Muslime sehen im BSW-Programm ein attraktives Angebot
Für das starke Abschneiden des BSW – 17 Prozent bei Muslimen im Vergleich zu 6,2 Prozent insgesamt – sieht Rohe ein für Einwanderungsländer typisches Phänomen: „Die Letzten, die gekommen sind, sind die Ersten, die dagegen sind, dass noch mehr nachkommen.“
Denkbar ist außerdem, dass beim BSW gleich mehrere interessante Faktoren für einige Muslime zusammenkommen: Neben der restriktiven Zuwanderungspolitik spricht sich die Wagenknecht-Partei zum Beispiel auch gegen „Trans-Ideologie“ aus – konservativen Muslimen dürfte das gefallen. Gleichzeitig dürfte muslimischen Einwanderern, die ökonomisch schwächer aufgestellt sind, die Forderung nach einem starken Sozialstaat entgegenkommen.
Muslime strafen Ampel-Parteien ab
Diese Kombination findet sich bei den etablierten Parteien kaum. Entsprechend schwach ist auch ihr Abschneiden bei Muslimen in Westdeutschland: Die CDU erreichte bei der Europawahl 15 Prozent, die SPD 13 Prozent, die Linke 8 Prozent und die Grünen 7 Prozent. Abgeschlagen mit jeweils 3 Prozent sind FDP und AfD. Übrig bleibt ein relativ hoher Wert von 19 Prozent der Muslime, die für sonstige Parteien gestimmt haben.
Im allgemeinen Trend zeigt sich allerdings eine Ähnlichkeit zwischen Muslimen und der Gesamtbevölkerung: Im Vergleich zur Europawahl 2019 wurden die drei Ampel-Parteien deutlich abgestraft. Für die SPD ist das besonders bitter: Früheren Untersuchungen zufolge genoss sie lange Zeit ein hohes Vertrauen bei Zuwanderern.