Ampel-Showdown am Mittwoch - Im Ampel-Drama spitzt sich das Habeck-Lindner-Duell zu - an vier Punkten knallt es

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Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP)Carsten Koall/dpa

Statt das Einende zu betonen, ätzen Lindner und Habeck nur noch gegeneinander. Die Zukunftspläne für Deutschland von FDP und Grünen sind kaum miteinander vereinbar. Ausgerechnet verworrene Kompromisslösungen früherer Ampel-Streits erschweren jetzt eine Einigung.

Es gab einmal eine Zeit, in der die Ampel-Koalitionäre mehr das Einende als das Trennende betonten. Als sie im November 2021 den Koalitionsvertrag vorstellten, ging es viel um den gemeinsamen Fortschrittsglauben. FDP-Chef Christian Lindner kündigte an, dass die Regierungspartner sich nicht dadurch begrenzen würden, was unvereinbar zwischen ihnen sei. Vielmehr wolle man sich ergänzen und eine „Koalition der komplementären Politik“ verfolgen.

Hört man sich heute die Reden zum Geburtsmoment der Ampel an, wirken sie wie aus einer anderen Welt. Am vergangenen Freitag, noch bevor Lindners Wirtschaftswende-Konzept öffentlich wurde, nahm sich der Finanzminister im Podcast „Hotel Matze“ fast zwei Stunden Zeit, um grundsätzlich über seine Verantwortung im Ampel-Streit zu sprechen. Was er sagte, könnte kaum weiter von seinen Ausführungen im November 2021 entfernt sein.

Lindner ätzt gegen Habeck: „Es ist ein Gegensatz“

„Er hat einen vollkommen anderen Zugang zu wirtschaftspolitischen Fragen“, schoss Lindner gegen Wirtschaftsminister Habeck. Und ätzte gleich weiter: „Es ist nicht ergänzend, sondern es ist ein Gegensatz.“ Nette Worte über den Grünen zu finden, fällt dem FDP-Chef schwer. Das hört sich dann so an: Mit Habeck habe er „menschlich kein Problem“, er sei „ein fleißiger Mann“ mit „Überzeugungen“.

Dass die Koalition auf dem Höhepunkt ihrer Krise angekommen ist, hat auch mit den Konflikten zwischen Habeck und Lindner und ihren „Überzeugungen“ zu tun. In den vergangenen Wochen haben die beiden Minister in Papieren ihre Konzepte für einen wirtschaftlichen Aufschwung präsentiert. In ihnen werden die Unterschiede deutlich.

Habeck betonte die vermeintlichen Erfolge der Regierung und die Kraft der Wirtschaft. Der „Impuls für eine Modernisierungsagenda“ des Wirtschaftsministers hat durchweg einen positiven Ton. Lindner widmete den Stärken der Wirtschaft nur einen einzigen Satz am Anfang des Papiers, dann wendet er sich schnell dem Negativen zu.

An diesen Punkten knallt es zwischen FDP und Grünen

So unterschiedlich die Perspektiven auf die Lage Deutschlands, so verschieden sind auch die Lösungsansätze. Lindner will zentrale Punkte aus seinem Konzept umgesetzt sehen, sonst hat die Ampel vermutlich keine Zukunft mehr. An mehreren Punkten könnten sich die Grünen aber sperren:

  • Bürgergeld: Lindner sieht die Bürgergeld-Regelsätze über dem Bedarf und will sie daher grundsätzlich senken. Zudem will er verstärkt auf Sanktionen setzen. Das ist den Grünen nicht zu vermitteln. Und auch in der SPD regt sich Widerstand: Der Wirtschaftsflügel der Partei hat laut „Bild“ in einem Papier „Kürzungen im Bereich der sozialen Sicherheit“ zur roten Linie erklärt.

  • Subventionen: Lindner kritisiert, dass die Wirtschaft sich aktuell „an den Vorstellungen und Zukunftsideen der Politik ausrichten“ soll, die mit Subventionen dann „Gewinner und Verlierer“ festlegt. Eine solche „Technologieselektion“ will die FDP beenden – Wirtschaftsminister Habeck hingegen wirbt für Subventionen durch einen „Deutschlandfonds“. Auch Kanzler Scholz will weiter Geld verteilen.

  • Migration: Lindner fordert, dass die Flüchtlingsgruppe der subsidiär Schutzberechtigten künftig kein Bürgergeld mehr erhalten soll. Zum Beispiel Syrer und Afghanen würden dann weniger Geld als deutsche Staatsbürger erhalten. Habeck hat zwar immer wieder für einen härteren Asylkurs seiner Partei geworben und teilweise Unterstützung erhalten. Lindners Vorstoß können die Grünen aber kaum mittragen.

  • Soli und Haushalt: Lindner will den Solidaritätszuschlag endgültig abschaffen. Zugleich läuft eine Klage von sechs FDP-Politikern gegen den Soli vor dem Bundesverfassungsgericht. So oder so: Fällt die Abgabe, würde das den Haushalt für 2025 mit 4,5 Milliarden Euro belasten, rechnet Lindner selbst vor. Das gesamte Haushaltsloch würde dann mehr als 26 Milliarden Euro betragen. Wie das gestopft werden soll, würde ganz allgemein zu Streit mit Grünen und SPD führen.

Habeck will „den halben Meter mehr gehen“

Zumindest in einem Punkt zeigte Habeck am Dienstag aber Kompromissbereitschaft: Durch den Wegfall der Subventionen für die Chip-Fabrik von Intel sind zehn Milliarden Euro freigeworden. Eigentlich sind sie für den Klima- und Transformationsfonds vorgesehen, doch der Wirtschaftsminister bietet nun an, sie zur Reduzierung der Haushaltslücke zu nutzen.

Er wolle „den halben Meter mehr gehen, um es den anderen zu ermöglichen, auch diesen halben Meter mehr zu gehen“, sagte Habeck. Ausreichen wird das aber vermutlich nicht – weder um tragbaren Haushalt zu verabschieden noch um die Koalition zu retten.

Verworrene Kompromisse statt „komplementäre Politik“

Dafür bräuchte es in den Sechs-Augen-Gesprächen zwischen Scholz, Habeck und Lindner und schließlich beim Koalitionsausschuss am Mittwoch noch einmal einen Kraftakt. Doch genau solche Krisengipfel der Ampel und ihre mühsam erarbeiteten Kompromisse haben die Koalition in die Lage gebracht, in der sie jetzt ist.

Immer wieder haben die drei Parteien in Verhandlungen Themen miteinander politisch verknüpft, die inhaltlich nichts miteinander zu tun haben. Jeder sollte einen Erfolg vermelden können, aber auch eine Niederlage einstecken müssen. Doch allzu oft musste in Regierung und Bundestag dann ein Gesetz nachverhandelt werden. So haben sich zahlreiche Gesetze und Konflikte aufgestaut. Das war dann die praktische Umsetzung der „Koalition der komplementären Politik“.

Das erste Mal hat das Konstrukt schwere Schäden im November 2023 erlitten, fast genau zwei Jahre nach der Vorstellung des Koalitionsvertrags. Das Bundesverfassungsgericht hatte den Nachtragshaushalt der Ampel für 2021 für nichtig erklärt. Es folgten weitere verworrene Kompromisslösungen.

Der Terminkalender bestimmt mögliche Bruchstellen

Ein Jahr später, wieder im November, erschwert das Gewirr an Streitpunkten nun eine schnelle Lösung in den Haushaltsverhandlungen für 2025. Sie könnten zur Sollbruchstelle der Regierung werden. Will man im Zeitplan bleiben, muss die Ampel bis Sonntag eine Einigung finden, am Montag muss die Regierung ihre letzten Änderungswünsche dem Parlament vorlegen, am 14. November klärt der Haushaltsausschuss bis tief in die Nacht hinein die letzten strittigen Fragen. Am 29. November wird dann final abgestimmt.

Große Abweichungen davon kann man sich nicht erlauben, weil der Bundesrat spätestens am 20. Dezember grünes Licht für den Haushalt geben müsste. Das Datum fällt zusammen mit dem Ende der Herbstzeit – und damit der Zeit, die Lindner der Koalition gegeben hat, um Klarheit über ihre Zukunft zu schaffen. Realistischer ist aber eher, dass die Entscheidung schon im November fällt. Steht der Haushalt im Bundestag, wäre wohl nur noch die Abstimmung über das Rentenpaket im Dezember eine gute Möglichkeit zum Bruch.

Habeck dürfte zwiegespalten auf ein Ampel-Aus blicken

Lindners wie auch Habecks persönliches Schicksal hängen an dieser Entscheidung. Der grüne Wirtschaftsminister muss in diesen Tagen nicht nur das Ampel-Chaos lösen, sondern sich auch zu seiner persönlichen Zukunft äußern. Vor dem Grünen-Parteitag Mitte November muss Habeck seinen Willen zur Kanzlerkandidatur erklären . Scheitert die Ampel und es kommt zu vorgezogenen Neuwahlen, müsste er mit einer Partei in den Wahlkampf ziehen, die nur bedingt kampagnenfähig ist und sich personell gerade erst neu findet.

Zugleich könnte sich Habeck aber auch als derjenige verkaufen, der bis zuletzt kompromissbereit war, um die politische Stabilität in Deutschland zu wahren. Nach Ende der Koalition könnte er zudem seine politischen Ideen offensiver bewerben, ohne Rücksicht auf die FDP zu nehmen. Habeck dürfte also zwiegespalten auf ein Ampel-Aus blicken.

Bonuspunkte für Sprengmeister Lindner bei der Bundestagswahl?

Für Lindner und die FDP war eine zentrale Frage der vergangenen Monate: Nützt der Ausstieg aus der Koalition mehr bei einer vorgezogenen Neuwahl als dass er schadet? Trotz schlechter Umfragewerte war das lange nicht klar zu beantworten. Mittlerweile liegen die Liberalen wie festgetackert unter fünf Prozent in den Umfragen, die Ampel wird so negativ bewertet, dass ihr Sprengmeister auf Bonuspunkte bei Wähler hoffen könnte. Lindner könnte sich dann beim erneuten Einzug der FDP in den Bundestag wahrscheinlich als Parteichef halten. Riskant ist das Unterfangen aber allemal.

Eines könnte die beiden Widersacher aber bald einen: Nach einer Bundestagswahl – vorgezogen oder regulär – könnten sie nach derzeitigen Umfragewerten wohl in der Opposition landen. Eine Neuauflage der Großen Koalition scheint vielen in SPD und CDU als wahrscheinliches Szenario. Möglicherweise werden zusätzlich noch die FDP oder die Grünen gebraucht. Dass beide sich wieder gemeinsam in einer Koalition finden werden, gilt als nahezu ausgeschlossen. Habeck und Lindner müssten sich dann keine Gedanken mehr darüber machen, wie sie Gegensätzliches zusammenbringen.